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Ungarn vor den Parlamentswahlen – Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung (Teil 1)

Enikő Enzsöl 2018.03.20.

Unter dem Titel „Ungarn vor den Parlamentswahlen“ wurde von Frank Spengler, Leiter des Konrad-Adenauer-Stiftung Auslandsbüros Ungarn und Bence Bauer LL.M, Projektkoordinator eine ausführliche Analyse zum anstehenden ungarischen Urnengang vorgelegt. Hierbei der erste Teil des Länderberichts der Konrad-Adenauer-Stiftung:

Am 8. April 2018 sind rund 8 Millionen Wahlberechtigte dazu aufgerufen, die Mitglieder der Ungarischen Nationalversammlung neu zu bestimmen. Die Regierungsparteien Fidesz-KDNP führen in allen Meinungsumfragen, doch entscheidend wird das Ergebnis der Wahl der Direktkandidaten sein. Die Wahlen werden auch als Vertrauensabstimmung über den Kurs von Ministerpräsident Viktor Orbán gewertet, der seit 2010 das Land wieder regiert und zuletzt 2014 mit einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit im Amt bestätigt wurde.

28 Jahre nach den ersten freien Wahlen in Ungarn wird wieder am 8. April der nationale Urnengang stattfinden. Der offizielle Wahlkampf beginnt immer 50 Tage vor dem vom Staatspräsidenten ausgerufenen Wahltermin. Mit der Fastenzeit wurde auch die heiße Phase des ungarischen Wahlkampfes eingeläutet. Mitte Februar startete wie jedes Jahr der politische Betrieb in Ungarn, die Parlamentsfraktionen hielten ihre Klausurtagungen ab und die Nationalversammlung tagte. Die ordentliche Sitzungsperiode umfasste aufgrund des anstehenden Wahlkampfes und der zu Ende gehenden Legislaturperiode jedoch nur zwei Tage, den 19. und 20. Februar. Die Abgeordneten reisten anschließend in ihre Wahlkreise, um auch die für die Nominierung als Wahlkreis-Direktkandidat notwendigen 500 Unterstützungsunterschriften einzuwerben. Alle Bewerber von Fidesz-KDNP konnten bereits am zweiten Tag die erforderlichen vollständigen Dokumente beim lokalen Wahlamt abgeben.

Am 18. Februar hielt Ministerpräsident Viktor Orbán seine 20. Rede zur „Lage der Nation“, mit der traditionell zum Jahresbeginn die politische Saison eingeläutet wird. „Ungarn zuerst“ war nicht nur das Motto dieser Rede, sondern ist auch die grundlegende Botschaft des Wahlkampfes der Regierungsparteien.

Seit der Wende im Jahre 1989 gab es in Ungarn bisher keine vorgezogenen Parlamentswahlen. Dies ist nicht nur für Mittelosteuropa eine Ausnahme, sondern auch ein Ausdruck der politischen Stabilität im Lande. Bestätigt im Amt wurden jedoch nur die Regierungen im Jahre 2006 (Sozialisten) und 2014 (Fidesz-KDNP). Die am 6. April 2014 gewählte Ungarische Nationalversammlung setzte sich aus 133 Abgeordneten von Fidesz-KDNP, 38 der Linksallianz (MSZP-DK-Együtt-PM-MLP) sowie 23 Vertretern von Jobbik und 5 von LMP zusammen. Die Regierungsparteien bekamen rund 45% der Listenstimmen und gewannen 96 von 106 Direktmandaten. Dieses Ergebnis reichte denkbar knapp für eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit (siehe KAS-Bericht vom 7. April 2014) und war die sichere Grundlage einer Wiederwahl von Viktor Orbán als ungarischer Ministerpräsident. Das Linksbündnis kam auf etwa 25% der Stimmen, Jobbik auf 20% und LMP auf rund 5%. Nur das linke Parteienspektrum konnte Direktkandidaten durchbringen (10 von 106). Bei zwei notwendigen Nachwahlen im Jahre 2015 verloren die Regierungsparteien aber die Zweidrittelmehrheit. Anders als in Deutschland rückt bei Ausscheiden eines direkt gewählten Abgeordneten kein Listenkandidat nach. Die beiden Nachwahlen im Komitat Veszprém markierten auch einen Tiefpunkt in der Wählergunst von Fidesz-KDNP, etwa die Hälfte der Fidesz-Wähler soll den Urnen ferngeblieben sein. Die Opposition hingegen war vor Ort sehr aktiv. Vor allem die Linke unterstützte erfolgreich einen unabhängigen Kandidaten im Wahlkreis Veszprém 1, Jobbik hingegen siegte im Wahlkreis Veszprém 3 (siehe KAS-Berichte vom 23. Februar 2015 sowie vom 13. April 2015). Seitdem beschäftigen die beiden Ergebnisse viele Wahlanalysten. Einige gehen davon aus, dass die Kritiker von Fidesz bei den Wahlen taktisch vorgehen und den jeweils chancenreicheren Kandidaten der Opposition unterstützen würden. Eine direkte Kooperation zwischen den Parteien sei somit eigentlich nicht mehr so notwendig. „Veszprém“ gilt bei Fidesz seither als ein Warnschuss.

Die Bürgermeisternachwahl in Hódmezővásárhely

Die Bürgermeisternachwahl in der südungarischen Komitatsstadt Hódmezővásárhely am 25. Februar wurde von politischen Analysten als ein Testlauf für die Parlamentswahlen bezeichnet. Die Stadt gilt als traditionelle Fidesz-Hochburg, sie ist mit Kaposvár die einzige Komitatsstadt, die seit der Wende nur von konservativen Politikern regiert wurde. Bei den Kommunalwahlen 2014 erreichten die Regierungsparteien hier ein Ergebnis von 61%, bei 8.160 Wählern, während die Opposition mit drei verschiedenen Kandidaten insgesamt 5.210 Stimmen einfuhr (39%). Ein ähnliches Ergebnis ließ sich bei der Wahl des Direktkandidaten für die Ungarische Nationalversammlung beobachten. Dieses Mal trat die Opposition nur mit einem einzigen Bewerber an: Péter Márki-Zay, ein siebenfacher Familienvater mit konservativen Werten und Vorsitzender des örtlichen römisch-katholischen Pfarrgemeinderates. Nach eigener Aussage habe ihn die Regierungsarbeit von Fidesz entfremdet. Er wurde von Jobbik, LMP, Momentum und den linken Parteien unterstützt, was dieser Lokalwahl sechs Wochen vor dem nationalen Urnengang eine landesweite Bedeutung zukommen ließ.

Das Ergebnis war eine große Überraschung. Péter Márki-Zay gewann mit 57,49% der Stimmen, der Fidesz-Kandidat errang 41,63%. Bei einer für eine Kommunalnachwahl sehr hohen Wahlbeteiligung von 62,45% konnte Fidesz mit ihren 9.468 Wählern die gewohnte Stammwählerschaft ansprechen, wohingegen der Oppositionskandidat mit 13.076 Stimmen sehr erfolgreich mobilisierte. Dass Péter Márki-Zay keinen ernstzunehmenden oppositionellen Mit-bewerber hatte, war sicherlich eine notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung. In Hódmezővásárhely stellte der bürgerliche und von Jobbik maßgeblich unterstützte Kandidat wohl eine überzeugende Alternative zum Fidesz-Vertreter dar und brachte so einen Großteil der bisher inaktiven Wähler an die Urnen. In seiner Siegesrede in der Wahlnacht fasste er sein Credo zusammen: „Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, Europa“. Ein gemeinsamer Kandidat der Opposition kann aber außerhalb Budapests und einiger weniger linker Hochburgen nach Einschätzung politischer Beobachter nur dann unentschiedene und neue Wähler erreichen, wenn er nicht als ein Kandidat der Linken wahrgenommen wird. Die Wahl hat gezeigt, dass die Strategie, mit einem einzigen Kandidaten Fidesz herauszufordern, erfolgreich sein kann.

Für die Regierungsparteien ist diese Niederlage eine unerwartete Warnung, während die Opposition jetzt Morgenluft wittert. Ministerpräsident Viktor Orbán erklärte dazu, dass Fidesz nunmehr mit dreifacher Kraft am Wahlsieg arbeiten müsse. Der Wähler müsse entscheiden, ob Ungarn ein Einwanderungsland werde oder nicht. Nur eine Fidesz-Regierung könne dies verhindern, so die Kernaussage des Wahlkampfs von Fidesz. Es gibt aber erste Anzeichen, dass knapp einen Monat vor der Wahl nunmehr stärker die Erfolge der Regierungsarbeit in den Mittelpunkt gerückt werden sollen. Die Negativwahlkampagne der Regierungsparteien sowie die persönlichen Angriffe gegen Márki-Zay in Hódmezővásárhely scheinen eine gegenteilige Mobilisierungswelle ausgelöst und auch bürgerliche Wähler abgeschreckt zu haben. Die Opposition will nun verstärkt die Möglichkeiten einer Absprache in den einzelnen Wahlkreisen prüfen. LMP initiierte bereits Gespräche mit Jobbik und MSZP. Mit Skepsis betrachtet Jobbik immer noch den Vorschlag, durch Rücktritte von Wahlkreiskandidaten sich gegenseitig zu unterstützen. Die Partei erklärte, dass dies gar nicht notwendig sei, da die Wähler genau wüssten, welcher Kandidat in ihrem Wahlkreis die besten Aussichten hätte. MSZP hingegen wolle sich zunächst mit LMP einig werden, bevor man mit Jobbik rede, so deren MP-Kandidat Karácsony. Viel Zeit bleibt den Parteien nicht: Am 5. März endet die Frist der Kandidatenaufstellung. Neue, unabhängige Bewerber können zeitlich fast nicht mehr gefunden und präsentiert werden. Wie politische Beobachter bemerkten, gibt es nur in einem kleinen Teil der 106 Wahlkreise einen unabhängigen oder für alle beteiligten Oppositionsparteien akzeptablen Kandidaten vom Format eines Márki-Zay. Diese Strategie sei verspätet und nicht mehr durchführbar. In der überwältigenden Mehrheit der Fälle ist die schwierige Entscheidung zu treffen, welcher der Parteibewerber sich jeweils als integrativste Kraft erweisen könnte, wie sich Absprachen auf die Glaubwürdigkeit und die Kohärenz der Parteien auswirken und ob Wählerbewegungen zwischen den einzelnen Parteibewerbern überhaupt möglich sind – eine Rechnung mit vielen Unbekannten.

Exkurs: Ungarisches Wahlrecht

Das in den Jahren 2010, 2011 und 2012 reformierte Wahlrecht wird nun zum zweiten Mal angewendet (siehe KAS-Berichte vom 3. Dezember 2012 mit allen Neuerungen sowie vom 10. Januar 2013 mit den Änderungen, die durch die Entscheidung des Verfassungsgerichts erfolgt sind). Die Veränderungen erweiterten u.a. auch Elemente des Mehrheitswahlrechts. Im In- und Ausland wurde kritisiert, dass nur durch die Modifikation des Wahlrechts die Regierungsparteien ihre Zweidrittelmehrheit knapp verteidigen konnten.

Die 199 Abgeordneten der Ungarischen Nationalversammlung werden für vier Jahre gewählt. Ungarn hat ein Zweistimmenwahlrecht. 106 Abgeordnete werden in den Einzelwahlkreisen mit einer relativen Mehrheit gewählt (Mehrheitswahlrecht) und 93 Listenabgeordnete durch eine Verhältniswahl bestimmt, es gilt die 5%-Hürde. Es gibt keine Überhang- oder Ausgleichsmandate. Die Stimmen der Wahlkreisverlierer werden jedoch zur Landesliste ihrer jeweiligen Partei addiert (Verliererkompensation). Gleiches gilt für die zur Erreichung des Mandats nicht mehr benötigten Stimmen der Wahlkreisgewinner (Gewinnerkompensation). Voraussetzung für die Gültigkeit einer Parteilandesliste ist, dass die Partei in mindestens 27 Wahlkreisen in neun Komitaten und in Budapest Direktkandidaten aufstellt. Eine genaue Übersicht über das ungarische Wahlrecht in deutscher Sprache befindet sich auf der Website des Nationalwahlamts. Die detaillierten Ergebnisse und aktuellen Zahlen sind leider nur auf Ungarisch abrufbar.

In der Anlage dieses Berichts ist eine kurze Übersichtsgrafik über das ungarische Wahlsystem beigefügt.

Zahlen und Fakten

Grundlage vieler Prognosen sind nicht nur die Ergebnisse der Meinungsumfragen, sondern auch die nationalen Statistiken. Von den etwa 8 Millionen Wahlberechtigten nehmen erfahrungsgemäß 5 Millionen an den Wahlen teil. Es wird angenommen, dass Fidesz-KDNP rund 2,3 Millionen Stammwähler hat. Dies entspricht ziemlich exakt den Wahlergebnissen von 2002, 2006 und 2014. Lediglich das Jahr 2010 bildete mit 2,7 Millionen Wählern eine Ausnahme. Im Jahre 2017 nahmen auch 2,3 Millionen an der Konsultation über den sog. „Soros-Plan“ teil. Die Unterstützung aller Oppositionsparteien wird auf rund 2,8 Millionen Wähler geschätzt. Die Analysten gehen davon aus, dass Fidesz die Wahl gewinnen würde, wenn es der Partei gelinge, ihre Wähler an die Urnen zu bringen. Eine höhere Wahlbeteiligung als 62-65% würde traditionell eher den oppositionellen Parteien zu Gute kommen, da Fidesz keine Wählerreserven mehr habe. Die eher regierungskritischen Unentschiedenen und die Nichtwähler seien für Fidesz kaum zu gewinnen. Würden die Oppositionsparteien jedoch alle an einem Strang ziehen, könnte ein „Veszprém / Hódmezővásárhely“-Szenario für die Regierungsparteien eine Herausforderung bedeuten. Bei den Parlamentswahlen bekam 2014 Fidesz-KDNP nur in 20 Wahlkreisen mehr als 50% der Stimmen, in 61 Wahlkreisen erreichte der Fidesz-Direktbewerber zwischen 40% und 50%, in 25 Wahlkreisen lag das Ergebnis unter 40%.

Trotz der jüngsten Wahlergebnisse in Hódmezővásárhely ist es sehr unwahrscheinlich, dass eine heterogene und bisweilen zerstrittene Opposition in den Direktwahlkreisen in großer Anzahl ihre Kandidaten durchbringt, auch wenn im Gegensatz zur Wahl vor vier Jahren die Erkenntnis in Oppositionskreisen gewachsen ist, dass nur eine enge Abstimmung zu Gunsten des chancenreichsten Kandidaten einen Regierungswechsel überhaupt ermöglichen würde. Interessant ist in diesem Kontext die Strategie der Unterstützung von „unabhängigen“ Kandidaten wie etwa in Pécs oder bei der Bürgermeisternachwahl in Hódmezővásárhely. Die Oppositionsparteien verzichten nach diesem Vorgehen auf eigene Kandidaten und unterstützen einen „Unabhängigen“. Diese mögliche Strategie ist aber mit Nachteilen verbunden: Die Parteien müssten auf die „Verliererkompensation“ verzichten. Zusammen mit den Kompensationsstimmen (s.o.) gehen etwa 8,2 Millionen Stimmen in die Mandatsverteilung ein, 2014 reichten etwa 88.000 Stimmen für ein Mandat („Preis eines Mandats“). Daher gibt es immer wieder gerade im linken Lager Vertreter, die auf den möglichen Verlust dieser Verliererstimmen (Verliererstimmen für einen Unabhängigen werden nicht zu den Zweitstimmen einer Partei addiert) und somit einiger Listenmandate hinweisen und deswegen eigene Parteikandidaten präferieren.

Darüber hinaus ist die Anzahl der wahlberechtigten Auslandsungarn für das Endergebnis nicht unerheblich. In dieser Gruppe werden die Angehörigen der autochthonen ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern und die weltweite ungarische Diaspora zusammengefasst, die keinen ungarischen Wohnsitz haben. Da sie keinem Wahlkreis im Mutterland zugeordnet werden können, haben die Auslandsungarn auch keine Erststimme für den Direktkandidaten, sondern nur die Zweitstimme. Im Jahre 2014 votierten 122.638 für die Liste von Fidesz-KDNP, was in dieser Wählergruppe ein Ergebnis von 95% bedeutete. Bis zum 4. März wurden 355.261 Wähler in dieses Wählerverzeichnis aufgenommen, Tendenz steigend. Das erklärte Ziel der Regierungsparteien ist es, etwa eine halbe Million dieser Wählergruppe zu erreichen. Es wird davon ausgegangen, dass diese Personen überwiegend Fidesz-Anhänger sind. Während 2014 diese Wählergruppe 1-2 Mandate für Fidesz gebracht hat, kann diese Zahl bei den Wahlen 2018 sogar 4-5 betragen. Die Auslandsungarn können sich bis zum 24. März registrieren. Die Stimmabgabe erfolgt per Brief, der dann bis zum 7. April eingehen muss.

Anders als die Auslandsungarn haben die 13 staatlich anerkannten autochthonen Nationalitäten des Landes die Möglichkeit, sich als Angehörige ihrer Nationalität registrieren zu lassen. Dies geschieht in zwei Schritten. Zunächst kann diese Wählergruppe sich für die Wahlen der Minderheitenselbstverwaltungen anmelden, die zeitgleich mit den Kommunalwahlen stattfinden. In einem weiteren Schritt können sie diese Anmeldung auch auf die Wahlen zur Ungarischen Nationalversammlung „ausweiten“. Nur mit der zweiten Entscheidung eröffnet sich für den Nationalitätenwähler die Möglichkeit, bei den Parlamentswahlen dem Wahlvorschlag seiner Nationalitätenselbstverwaltung die Stimme zu geben. Dies ist dann die Zweitstimme, d.h. es entfällt die Möglichkeit, für Parteilisten zu stimmen. Die Erststimme für den Wahlkreisbewerber bleibt erhalten. Für die Nationalitätenabgeordneten gilt eine „ermäßigte Quote“ von einem Viertel der zur Mandatserreichung benötigten Stimmen (s.o.), erfahrungsgemäß rund 22.000 gültige Stimmen (2014: 22.022 Stimmen). Die Ungarndeutschen verfehlten 2014 die Wahl eines eigenen Abgeordneten mit 11.415 Stimmen deutlich, per 4. März verfügen sie über 27.225 registrierte Wähler. Die Registrierung endet am 23. März. Es wird damit gerechnet, dass nur die Ungarndeutschen und eventuell auch die Roma erfolgreich sein werden. Anders als die Auslandsungarn fallen diese beiden Gruppen stimmenmäßig kaum ins Gewicht und würden sicherlich weniger Mandate „wegnehmen“ (die Mandate werden von den 93 Listenmandaten abgezogen) als die Auslandsungarn zusätzlich bringen. Der Kandidat der Ungarndeutschen, Emmerich Ritter, war früher bei Fidesz aktiv.

Eine weitere Wählergruppe, die in der politischen Auseinandersetzung eine wichtige Rolle spielt, sind die im Ausland lebenden oder arbeitenden Ungarn. Nach inoffiziellen Angaben umfasst dieser Kreis mehrere hunderttausend Personen. Von diesen nahmen 2014 aber nur 28.452 an den Wahlen teil. Es wird davon ausgegangen, dass viele damals zum Wahlwochenende nach Ungarn gefahren sind. Da diese Personengruppe über einen Wohnsitz in Ungarn verfügt, gelten sie nicht als Auslandsungarn. Nur mit Aufgabe des Wohnsitzes (und Abgabe der in Ungarn gebräuchlichen „Wohnsitzkarte“) wären sie Auslandsungarn und müssten sich entsprechend registrieren. Sie hätten dann aber keine Erststimme mehr (s.o.). Aus praktischen Gründen geben aber viele (unzulässigerweise) ihren Wohnsitz in Ungarn nicht auf. Sie werden also so behandelt wie ein vorübergehend sich am Wahltag nicht im Land aufhaltender Ungar (z.B. wie ein Student, Urlauber oder Geschäftsreisender). Der Wahlzettel kann dann am ungarischen Konsulat im Gastland ausgefüllt werden, für die Stimmabgabe muss man sich bis zum 31. März 2018 anmelden. Ein vergleichbares Verfahren gilt für Personen, die sich am Wahltag innerhalb Ungarns in einem anderen Wahlkreis befinden. Diese müssen sich bis zum 6. April ummelden. In beiden Fällen werden die Wahlunterlagen zur Sicherstellung des Wahlgeheimnisses nicht am Stimmabgabeort ausgezählt, sondern im Heimatwahlkreis. Aus diesem Grund wird in allen 106 ungarischen Wahlkreisen jeweils ein Wahllokal ausgewählt, in dem später die Stimmen der An- und Umgemeldeten eingehen und mit den Stimmen dieses Wahllokals vermischt werden. So lassen sich keine Tendenzen in der Parteipräferenz ablesen.

Die Opposition wirft der Regierung vor, die Stimmabgabe dieser Wähler bewusst zu erschweren (keine Briefwahl wie für Auslandsungarn, mühsame Anreise zum Konsulat mit meist langen Warteschlangen). Sie geht davon aus, dass die von der Orbán-Regierung Enttäuschten und ins Ausland Gegangenen einen Großteil dieses Wählerreservoirs ausmachen. Als ein – sehr schwaches – Indiz dafür wird das Wahlergebnis der Europawahlen 2014 aufgeführt. Da es sich dabei um eine reine Listenwahl handelte, mussten die Ergebnisse nicht anonymisiert werden (s.o.). Die 6.253 an den Außenvertretungen abgegebenen Stimmen spiegelten ziemlich genau die landesweite Unterstützung von Fidesz-KDNP mit 45% der Stimmen wider, hingegen bekamen LMP 15% und Együtt-PM 17% deutlich mehr Stimmen. Jobbik und MSZP waren schwächer (siehe dazu die Website des Nationalwahlamts). Diese Wähler dürften aber auf Grund der bisherigen geringen Beteiligung weiterhin ohne große Bedeutung bleiben. Die Opposition versucht aber dennoch das Engagement dieser Gruppe zu stärken. Die aus der Anti-Olympia-Bewegung hervorgegangene neue Partei Momentum schlug vor, Mitfahrgelegenheiten zu organisieren und Busse zu chartern.“

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Lesen Sie morgen auf „Ungarn Heute“ den zweiten Teil der KAS-Analyse über die politischen Auseinandersetzungen vor der Wahl – „Stop Soros“, „Skandal“ um die in Ungarn anerkannten Flüchtlinge, die OLAF-Meldung – über Medienkampagne und Wahlkampfvorschriften, Opposition und MP-Kandidaten sowie über die Umfragen.

via kas.de/ungarn/, Foto: lokal.hu

Die Analyse wurde mit Erlaubnis der Autoren – Frank Spengler und Bence Bauer, LL.M – sowie des Konrad-Adenauer-Stiftung Auslandsbüros Ungarn veröffentlicht.