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Deutschland-Experte zu Cicero: „Nicht die V4 stünden alleine da, sondern Deutschland“

Ungarn Heute 2021.12.20.
FIZETŐS

„Die Regierungen in den mitteleuropäischen Visegrád-Ländern Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien sehen mit Sorge auf die Agenda der Ampel-Koalition. Im Gegensatz zu Frankreich engt Deutschland mit seiner Außenpolitik den eigenen Aktionsradius ein“ schrieb Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit beim regierungsnahen Mathias Corvinus Collegium (MCC) in Budapest. Der Jurist hat Jahrzehnte in Deutschland verbracht und schreibt in seinem Artikel, der auf dem Portal Cicero veröffentlicht wurde: „Die Programmpunkte der neuen Bundesregierung haben jedoch das Potential, Deutschland und seine Politik in ganz Europa zu isolieren. Nicht die V4 stünden alleine da, sondern Deutschland.“

„Die Ampelkoalition war noch kaum im Amt, schon begann eine intensive Reisetätigkeit von Bundeskanzler und Außenministerin“ begann der  Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit beim regierungsnahen Mathias Corvinus Collegium sein Gastbeitrag auf dem Portal cicero.de. Bence Bauer listet dann die Reisen auf, aber weist zugleich auch darauf hin, dass der französische Premierminister in der Zwischenzeit Budapest besucht hat.

Von der deutschen Öffentlichkeit fast unbemerkt ereignete sich am Montag, gerade fünf Tage nach der Vereidigung der neuen deutschen Bundesregierung, eine ganz andere Begegnung ungleich größerer Dimension. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron stattete dem kleinen Ungarn – 14 Jahre nach dem letzten Besuch eines französischen Präsidenten – eine Visite ab. In Budapest traf er sich neben Ministerpräsident Viktor Orbán auch mit den Spitzen der Visegrád-Länder (V4) Polen, Tschechien und der Slowakei, die Macron auf ihrem V4-Gipfel einen freundlichen Empfang bereiteten, der Selbstbewusstsein und Kooperationswillen widerspiegelte.

Der Autor des Artikels betont, dass sowohl in Frankreich als auch in Ungarn im nächsten Jahr Wahlen anstehen und dass die Regierungschefs beider Länder nach neuen Verbündeten in Europa suchen.

„(…) Viktor Orbán empfing die Präsidentschaftskandidaten Marine Le Pen und Éric Zemmour in Budapest. In den Gesprächen lotete Orbán die Möglichkeiten der parteipolitischen Zusammenarbeit seiner Regierungspartei Fidesz mit Vertretern europäischer konservativer Parteien und Bewegungen aus. Der Gipfel Anfang Dezember in Warschau war eine weitere Station auf dem Wege einer engeren Kooperation, insbesondere mit der polnischen PiS, der spanischen Vox und anderen. Die AfD wird dabei stets gemieden und spielt in diesen Überlegungen keine Rolle.“

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Währenddessen äußerte Macron, dass Orbán für ihn ein (partei-)politischer Gegner, aber ein europäischer Partner sei, so Bauer weiter und fügt hinzu: „Dieser eigentlich wenig überraschenden Aussage, fast schon eine Selbstverständlichkeit in einem Europa mit vielen Akteuren verschiedenster Couleur, kommt aber eine ungleich größere Bedeutung zu, wenn man die politischen Diskussionen in Europa und gerade rund um Ungarn beobachtet.“

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Laut Bauer ist die europäische Kritik an der ungarischen Regierung unbegründet und eher politische Angriffe auf das Kabinett Orbáns.

Doch gibt es, so der Direktor, „klar definierbare Interessen“, die auch Emmanuel Macron erkannt hat.

Die gemeinsame Pressekonferenz am Montag bekräftigte seine Entschlossenheit, jenseits politischer Differenzen anhand klar definierbarer Interessensphären die Zusammenarbeit mit Ungarn und der V4-Region zu suchen. Die vier Länder haben sich zu einer dynamischen Wachstumsregion gemausert und sind wirtschaftlich gestärkt aus der Corona-Krise gekommen. In Ungarn hat man wieder Vollbeschäftigung, und das BIP-Wachstum ist eines der größten in der Europäischen Union. Ähnlich ist die Lage in Polen, in Tschechien und in der Slowakei.

Der Experte betont zugleich, dass es Frankreich „gut zu beraten ist“, sich strategisch dieser Zukunftsregion zuzuwenden, zumal sich Deutschland von ihr immer weiter entfernt.

Unter dem nicht näher eingrenzbaren Slogan „Rechtsstaatlichkeit“ betreibt Deutschland eine aktivistische Europapolitik, die mit gutnachbarschaftlicher Kooperation und einer Politik „auf Augenhöhe“ nichts mehr zu tun hat. Noch gut in Erinnerung sind Aussagen führender Politiker der heute koalierenden Parteien, Polen und Ungarn müssten „finanziell ausgehungert“ werden.

Laut Bauer sind für viele Vertreter der politischen Linken und Linksliberalen in Deutschland Viktor Orbán und die Politik seines konservativen Fidesz ein willkommenes Feindbild, ein Gegenentwurf, der ihren eigenen identitätspolitischen Gedankenspielen als Zielscheibe dient.

Dass Ungarn in Sachen Migration, Familie und Wirtschaftspolitik andere Wegmarken setzt als man es sich in linken und linksliberalen Parteizentralen wünscht, befeuert die Kritik nur noch mehr.

Der Jurist macht auch darauf aufmerksam, dass „viele der identitätspolitischen Trends nunmehr offiziell Einzug in die deutschen Regierungsvorhaben erhalten haben“. Unter anderem „die ambitionierten familienpolitischen Vorhaben“, „die bestimmende Genderideologie“, „die aktivistische Außenpolitik“, „die weitere Föderalisierung Europas“ oder schlichtweg „die realitätsfremde neue deutsche Energie- und Wirtschaftspolitik“. Bauer ist der Ansicht, dass diese Programmpunkte jedoch das Potential haben, Deutschland und seine Politik in ganz Europa zu isolieren.

Nicht die V4 stünden alleine da, sondern Deutschland

Bauer schloss seine Gedanken folgenderweise: „Jahrelang hofften die Länder Mittel- und Osteuropas auf eine stärkere Rolle Deutschlands in Europa, sahen Deutschland als Motor und Ideengeber. Sie waren von ihrer Grundhaltung positiv zu Deutschland eingestellt und erhofften sich durch eine enge Zusammenarbeit mit dem größten Land des Kontinents einen wahren Impuls in Europa. (…) In vielen Punkten des Koalitionsvertrages ist eher das Gegenteil auszumachen. Insofern können die Visegrád-Länder in ihm kaum Anknüpfungspunkte zur Lebenswirklichkeit in ihren Ländern finden. Viktor Orbán sagte vor einigen Wochen: „Wir wollen ein europäisches Deutschland, kein deutsches Europa“.

(Der Artikel erschien original auf dem Portal cicero.de, Titelbild: MTI/EPA/AFP pool/John Thys)