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Ernő Rubik: Zauberwürfel repräsentiert die Menschen als ein denkendes Wesen 

Enikő Enzsöl 2019.01.07.

„Die Wirkung des Würfels auf die Welt und auf die Menschheit ist viel interessanter für mich als das Spiel selbst.“ – sagt der weltberühmte ungarische Entwickler über seine Erfindung, über den Rubiks Würfel. Obwohl es eine große Herausforderung war, Spielzeug-Händler zu überzeugen, dass der Würfel erfolgreich sein kann, ist heute sein Spiel nicht nur weltbekannt sondern auch genauso beliebt wie bei seiner Geburt. Interview mit dem weltberühmten ungarischen Entwickler Ernő Rubik.

Calvin Klein, der amerikanisch-ungarische Modedesigner, sagte einmal: „Ich habe so viele Leute getroffen, die Calvin Klein für einen Markennamen halten. Sie glauben nicht, dass ich wirklich existiere. Haben Sie das jemals gespürt, als Sie sich vorgestellt haben?

Ich glaube nicht, dass es jemals passiert ist, aber wenn es passieren würde, das würde mich gar nicht stören.

Sie haben sicherlich gehört, dass Eric Snowden die streng geheimen Informationen der „National Security Agency“ in einen Rubik-Würfel verborgen hat, so konnte er diese Dokumente schmuggeln. Das führte dann zu einem weltweit bekannten Skandal. Wie reagieren Sie auf solche Situationen? Können Sie noch überrascht werden? 

Das ist nur im Film so, in der Wirklichkeit wurde der Würfel wahrscheinlich nur als ein Signal bei einem geheimen Treffen verwendet. Ich habe schon Vieles gesehen, insbesondere anlässlich der Jubiläumsausstellung mit dem Titel „Beyond Rubik’s Cube“ (2014), an der ich auch mitgearbeitet habe. Dies war eine gute Gelegenheit für mich, auch ein wenig zu recherchieren. Denn vorher habe ich die Informationen nur zufällig entdeckt. Trotzdem bin ich ständig überrascht: als es zum Beispiel einer Maschine gelang,  den Würfel innerhalb von 42 Stunden zu lösen. Oder als ich es realisierte, dass die Anzahl der Würfelwettbewerbe in diesem Jahr, in mehr als 100 Ländern, die 1000 überschreiten wird.

Was hat Ihrer Meinung nach den Zauberwürfel so beliebt gemacht? Dass eine komplexe Formel so einfach präsentiert wird? 

Die Wirkung des Würfels auf die Welt und auf die Menschheit ist viel interessanter für mich als das Spiel selbst. Eine Erklärung seltener globaler Einflüsse ist schwieriger zu entschlüsseln als die Lösung des Würfels. Warum? Der Schlüssel ist die menschliche Natur, wie wir denken. Wie ähnlich wir sind und wie verschieden – und woraus das eigentlich besteht. Wir verstecken uns  vor einer Herausforderung meistens nicht, sondern reagieren positiv. Zu Beginn war es eine große Herausforderung, Spielzeug-Händler zu überzeugen, dass der Würfel erfolgreich sein kann. Warum würden die Leute es kaufen, wenn es unlösbar wäre und nur zu gescheiterten Versuchen geführt hätte?! – fragten sie. Bald widersprach die Realität diesem durchaus. Wie und warum dies geschah, das ist schon komplexer zu beantworten.

Das Drehpuzzle berührt intime menschliche Emotionen, durch den Kontrast von Schlichtheit und Komplexität sowie durch die  Illusion der Unendlichkeit – ähnlich als die Menschen auf den Himmel schauen und die Sterne überblicken, sie wissen, dass es keine Unendlichkeit für diese Sterne gibt und sie sind abzählbar. Das Drehpuzzle ist ein großartiges Beispiel dafür, wie das Wissen in einer Gesellschaft geteilt wird. Der Würfel ist ungefähr im gleichen Alter wie das Internet – als es erst eine viel einfachere Version existierte, und vor allem die Kommunikation zwischen den verschiedenen Universitäten diente.

Damals wurde bereits eine virtuelle „Mailingliste“ von Mathematikern und Physikern mit dem Titel „Cube Lovers“ ins Leben gerufen, die bis heute mit zahlreichen Mitgliedern fortgeführt wird. 

Können Sie sich erinnern, als der Zauberwürfel zu einem weltweiten Phänomen wurde? Zum Beispiel an den Zeitpunkt, an dem die erste Version erstellt wurde? Wie konnten Sie es unter dem Sozialismus verkaufen? Gab es Schwierigkeiten damit? Wie hat es zuerst ausländische Märkte erreicht? 

Wenn jemand in eine ungewohnte Situation gestoßen wird, kann er nicht vollständig erfassen, was um ihn herum geschieht. Als wäre er gerade mitten in einem gewaltigen Sturm oder Kampf gefallen. Im vergangenen Jahrhundert hatte der Würfel drei entscheidende historische Phasen.

Das erste Mal, als es gegen Ende der 70er Jahre während der sog. Planwirtschaft in Ungarn erstmals auf dem Markt erschien. Damals hieß der Hauptansatz für das Marketing: „Spielzeug aus dem Spielzeugladen“. Innerhalb weniger Jahre wurden 300.000 Würfel verkauft, was für einen so kleinen Marktsektor heute immer noch als eine große Zahl angesehen wird. Eine weitere entscheidende Änderung kam, als der Würfel „hinter den Eisernen Vorhang“ also auch nach Ausland gelang.

Die nächsten drei Jahre waren eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte. Die Popularität war in den USA entscheidend, verbreitete sich jedoch in der gesamten westlichen Welt, dass sogar im berühmten Moskauer „GUM-Store“ sich lange Schlangen bildeten, um den Würfel kaufen zu können.

Die unvorhergesehene enorme Menge und Geschwindigkeit des Verkaufs verursachten ernsthafte Probleme in der Besorgung. Wir haben damit das Hauptproblem der sog. sozialistischen Wirtschaftspläne, den „Warenmangel“  – in die Welt der Marktwirtschaft „exportiert“, wo es total unbekannt war.

Via: Péter Csákvári

Die dritte Phase begann 1983, als sich das ständige Umsatzwachstum verlangsamte und schließlich total zurückging. Ich denke, dass dies zum Teil die Schuld des Unternehmens war: Analysten haben die Nachfrage zunächst unterschätzt und später dann überschätzt. Bis zum Ende des dritten Jahres (1983) verfügte schon ein jeder auf dem Standardmarkt über einen Würfel, mit über 100 Millionen verkauften Exemplaren. Eine erstaunliche Anzahl. Die wirklich interessante Zeit begann um die Jahrhundertwende. Das Spielzeug blieb nicht nur relevant, sondern wurde immer beliebter – und damit wurden die Sorgen „einer von der virtuellen Welt unterworfenen Jugend“ zurückgewiesen. Auch heute noch ist es so: wenn ein Würfel in einem Klassenzimmer auftaucht,  will ein jeder einen haben. Auch die sog. „Würfel-Klubs“ organisierten sich spontan: weder vorgeplant noch systematisch. In fast 100 Ländern finden Wettbewerbe statt, die durch die Regeln der WCA (World Cubing Association), die zu Beginn des Jahrhunderts gegründet wurde, offiziell festgelegt wurden. Es ist soweit gegangen, dass es jährlich 1.000 Wettkämpfe in rund 100 Ländern gibt. Es ist immer noch faszinierend, dass nur eine minimale Anzahl von Kunden den Zauberwürfel tatsächlich selbst lösen kann. Im Internet gibt es unzählige Videos, die Ihnen zeigen, wie Sie das Drehpuzzle mit 20 bis 40 Millionen Ansichten lösen können. In den 80er Jahren, als das Internet nicht weit verbreitet war, konnte man die Lösung nur in Büchern finden. Rund sechs bis sieben Millionen Exemplare dieser Bücher wurden produziert, diese platzierten sogar auf der Bestsellerliste der New York Times. In einem Artikel des „Scientific American“ ähnelte man das Ausarbeiten des Würfels einem wissenschaftlichen Prozess. Man experimentiert, erstellt Theorien, testet sie und fährt mit dieser Methode fort. Es hat mehr als 30 Jahre gedauert, um die sog. „god’s number” zu beweisen. (Der Begriff Gods Algorithm bezeichnet für kombinatorische Puzzle und mathematische Spiele den Algorithmus, den ein höheres Wesen verwenden wurde, um das jeweilige
Spiel perfekt zu lösen. Gods Number ist für den Magic-Cube die maximale Anzahl an Bewegungen, die man brauchen würde, wenn man Gods Algorithm verwendet. Anm.) Die ermöglichen zwischen zwei „Stellen“ mehr als 43 Trillionen Lösungen in 20 Schritten.

Abgesehen von Ferenc Puskás, der Rubik Würfel ist vielleicht das international anerkannteste ungarische „Produkt“.

Produkt? Wie definieren wir ein Produkt? Leider ist Puskás nicht hier, um zu protestieren, aber vielleicht kann ich es tun… In der gleichen Weise, wie der Londoner Sieg (6:3) für ihn etwas Anderes, etwas Mehres bedeutete, bedeutet der Würfel für mich mehr als nur „den Erfolg eines Produktes“.

Was denken Sie als Weltreisender, inwiefern verbinden die Menschen das Spiel mit Ungarn? 

Es hängt davon ab, wohin ich gehe und wen treffe. Leider versucht man nicht einmal, die leicht zugänglichen Informationen zu erhalten. Wir wissen nicht nur nicht genug, aber ein Großteil unseres Wissens ist schon veraltet und falsch. Aber natürlich gibt es viele, die wissen, dass der Erfinder ein Ungar ist. Vielleicht wissen die meisten auch nicht, ob er noch am Leben ist. 

Via: Péter Csákvári

In wie fern füllt der Würfel und die damit in Zusammenhang stehenden Ereignissen und Einladungen Ihr Leben aus?

Es ist ein bedeutender Teil meines Lebens, ich bekomme im Allgemeinen mehr Einladungen, als so viel ich empfangen kann. Reisen, Fliegen und die damit zusammenhängenden Zeitumstellungen werden aber immer schwieriger für mich, insbesondere bei langen Überseereisen in den Fernen Osten. Ich nehme aber aktiv an solchen „Happenings“ teil, damit sich die Marke, die meinen Namen trägt, sich entwickeln kann sowie lange Zeit stark, stabil und erfolgreich bleibt.

Neben Ihrer Universitätsarbeit und dem Rubik Studio entwickeln Sie auch Spielesoftware. Könnten Sie bitte etwas auch darüber erzählen?

Meine Generation hat die Geburt des Computers und den erstaunlichen Erfolg der IT genau verfolgt. Ich war und bin kein Softwareentwickler, ich interessiere mich viel mehr für die Möglichkeiten: für die künstliche Intelligenz, ihre bevorstehenden Ergebnisse und ihre Bedrohungen. Ich nutze das Internet und sehe täglich die Erstellung neuer Würfel-Spielprogramme. Ich habe bisher ungefähr 2000 gesammelt, was auf eine Vielzahl von Entwicklern hindeutet, die von der Aufgabe begeistert sind, und hinter ihnen sind natürlich viele-viele Spieler.

Wie schnell können Sie den Zauberwürfel lösen? 

Ich bin mir nicht sicher, aber ich bin wahrscheinlich langsamer als vor 40 Jahren, und obwohl einige daran interessiert sind, ich bin es nicht. Zunächst einmal erreiche ich langsam das Alter, in dem man froh ist, etwas tun zu können, was zuvor natürlich und mühelos war. Ich glaube immer noch, dass der wahre Maßstab für den Erfolg die Qualität ist und nicht die Geschwindigkeit.

(Via: hungarytoday.hu, Geschrieben von Balázs Horváth, übersetzt von Ungarn Heute, Beitragsbild und Fotos: Péter Csákvári)