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Landliebe 3.0: „Die weite Welt gibt anderswo – Nicht Raum noch Heimat dir“

Ungarn Heute 2018.08.01.

Eins ist gleich in ihnen: sie lieben Ungarn. Sie sind in vielfältiger Weise an das Land gebunden. Die meisten von ihnen haben einen geschichtlichen Hintergrund dafür, warum sie oder ihre Eltern vor mehreren Jahrzehnten das Land verlassen mussten. Egal ob sie in der Diaspora leben, oder keine ungarische Wurzeln haben: sie lieben ungarische Geschichte, Musik, Kultur, Landschaft und… Weine…, leidenschaftlich. Unsere neue Serie „Landliebe“ berichtet über Menschen, die in ihren eigenen Ländern relevante Persönlichkeiten sind und die einen gemeinsamen Punkt in ihrem Leben haben: UNGARN.  Fragen und Antworten: von Deutschland über Österreich bis nach der Schweiz. 

Dr. Marc Vecsey, Foto: szitamarton.hu

 

Dr. Marc Vecsey hat ungarische Wurzeln, er lebt aber schon seit seiner Geburt (1983) in Wien. Obwohl er nie länger als 6 Monate durchgehend in Ungarn gewohnt hat, kann sich vorstellen, irgendwann mit seiner Familie nach Ungarn zu ziehen. Der erfolgreiche Rechtsanwalt hatte sich wegen alledem auch auf ungarisches Wirtschaftsrecht spezialisiert. Er liebt den ungarischen Humor; den Stolz der Menschen, der sich aus dem Wissen um ihre Geschichte ableitet. Es ist wichtig für ihn, dass auch seine Kinder ihre ungarische Identität kennenlernen. Hierbei 4 Fragen von Ungarn Heute an Dr. Marc Vecsey.

  1. Wann und warum haben Sie Ungarn verlassen?

Ich habe Ungarn nicht verlassen. Mein Vater hat Anfang der 1970er Jahren Ungarn verlassen (Flucht über Jugoslawien nach Kärnten, Österreich), weil ihm vom Regime aus politischen Gründen ein Hochschulstudium verweigert wurde. Er war anfangs in Österreich mehrere Jahre lang anerkannter Flüchtling in Traiskirchen (Asyl-Erstaufnahmezentrum) und Innsbruck. Meine Mutter ist ein paar Jahre später legal zu ihm ausgereist. Ich selbst bin 1983 in Wien geboren und habe bis zum 6. Lebensjahr (Schuleintritt) fast nur Ungarisch gesprochen.

  1. Was ist Ihre bedeutendste/r Erfahrung/Gedanke über Ungarn?

Mihály Vörösmarty, Szózat (Mahnruf), aus dem Ungarischen übersetzt 1970 von Hans Leicht und Géza Engl:

Von Lieb und Treu zum Vaterland
Bleib, Ungar, stets erfüllt.
Es gibt dir Kraft, und wenn du stürzt,
Den Hügel, der dich hüllt.

Die weite Welt gibt anderswo
Nicht Raum noch Heimat dir,
Hier mußt in Segen oder Fluch
Du leben, sterben hier.

(Hazádnak rendületlenűl
Légy híve, oh magyar-.
Bölcsőd az s majdan sírod is,
Mely ápol s eltakar. 

A nagy világon e kívűl
Nincsen számodra hely;
Áldjon vagy verjen sors keze:
Itt élned, halnod kell.)

Ich denke, dass es nichts gibt, dass meine Gedanken, Erfahrungen, Ansprüche und Verpflichtungen in Zusammenhang mit Ungarn besser beschreibt, als die ersten zwei Strophen dieses Gedichts.

  1. Was fehlt Ihnen aus Ungarn am meisten?

Abgesehen vom Blick auf die Donau bei Budapest (ich denke, dass viele Ungarn gar nicht richtig schätzen, in welchem „Palast“ sie leben) und die vielen, ohne besonderen Anlass aufgehängten Ungarnfahnen, sind es Kleinigkeiten, durch die Ungarn liebenswerter oder spannender ist, als Österreich (Beispiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: das tradierte, gelebte „Christ-sein“ vieler Menschen; die Selbstverständlichkeit, mit der älteren Personen im Bus der Sitzplatz überlassen wird; das latente Chaos im Alltag – gepaart mit dem Improvisationsvermögen, diese Hindernisse zu bewältigen; der direkt geführte politische Diskurs; die Sensibilität der Bevölkerung für korruptive Sachverhalte; der ungarische Humor; der Stolz der Menschen, der sich aus dem Wissen um ihre Geschichte ableitet)

  1. Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie/oder Ihre Familie einmal zurückkehren?

Ja! Als Jurist ist man zwar immer in der eigenen Rechtsordnung „gefangen“, aber im Laufe der letzten 10 Jahre habe ich mich auch auf ungarisches Wirtschaftsrecht spezialisiert. Außerdem hat unsere Rechtsanwaltskanzlei „Gálffy & Vecsey“ Standorte in Wien und Budapest. Es sollte für mich daher kein Problem sein, in Ungarn zu arbeiten.  Meine Frau und ich planen, mit unseren Kindern – die wir ungarisch erziehen – zumindest für einige Jahre nach Ungarn zu ziehen, wenn sie im schulfähigen Alter sind. Wir sind nämlich überzeugt, dass die Grundschulen in Ungarn besser sind, als in Österreich, und dass die Kinder auf diese Weise authentisch ihre Identität kennenlernen können. Darüber hinaus sind wir – nicht zuletzt wegen der Migrationskrise – besorgt vom gegenwärtigen Zustand der Grundschulen in Österreich.