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Orbán: „Wir stehen im Kreuzfeuer der großen geopolitischen Akteure“

Ungarn Heute 2022.03.03.

Ungarn verurteilt den Krieg, bis vor kurzem gab es ein ausgewogenes und faires System der Beziehungen zwischen den Ungarn und den Russen, und jetzt ist die Einheit der EU das Wichtigste, betonte der Ministerpräsident Viktor Orbán in einem Interview mit der regierungsnahen Zeitschrift Mandiner. Orbán erklärte auch, dass Ungarn einen Veranstaltungsort für die russisch-ukrainischen Gespräche zur Verfügung stellen und humanitäre Hilfe für die Ukraine leisten wird. 

„Wir stehen im Kreuzfeuer der großen geopolitischen Akteure, die NATO hat sich nach Osten ausgedehnt, und Russland war damit immer weniger einverstanden. Die Russen stellten zwei Forderungen: die Ukraine sollte ihre Neutralität erklären und die NATO sollte die Ukraine nicht aufnehmen. Diese Sicherheitsgarantien wurden den Russen nicht gegeben, so dass sie beschlossen, sie durch Krieg zu erlangen. Das ist die geopolitische Bedeutung dieses Krieges“

sagte Viktor Orbán in einem Interview mit der regierungsfreundlichen Zeitschrift Mandiner. Der ungarische Premierminister fügte hinzu, dass die Russen die sicherheitspolitische Landkarte des Kontinents neu ordnen wollen und ihre sicherheitspolitische Idee ist, dass Russland von einer neutralen Zone umgeben sein muss, um sich sicher zu fühlen.

Die Ukraine, die sie bisher als Zwischenzone betrachtet haben, die sie nicht durch Diplomatie neutralisieren konnten, wollen sie nun mit militärischer Gewalt neutralisieren. Gleichzeitig muss Ungarn deutlich machen, dass Krieg zu keinem Zweck akzeptabel ist, und dass diejenigen, die diesen Weg wählen, von Ungarn eindeutig verurteilt werden

Zu den russisch-ukrainischen Friedensgesprächen sagte er, dass es angesichts der militärischen Überlegenheit der russischen Seite nur eine Frage der Zeit sei, bis die Gespräche beginnen. Er betonte, dass Ungarn für den Frieden eintrete, die russische Aggression verurteile und dass die Gespräche so bald wie möglich stattfinden sollten.

Es gibt immer noch eine Chance für den Frieden 

betonte Orbán.

Bislang 104.000 Menschen aus der Ukraine eingereist
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Ungarn hat nach Polen die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Ungarn versorgt nicht nur diejenigen, die im Land eintreffen, sondern schickt auch Lebensmitteln und Kraftstoff nach Transkarpatien. Weiterlesen

Auf die Frage, für was für einen Menschen er Putin hält, sagte Orbán: „Was immer ich bisher mit ihm vereinbart habe, er hat sich immer daran gehalten, und wir auch. Die ungarisch-russischen Beziehungen waren bis vor kurzem ausgewogen und fair.“ Er sprach auch darüber, warum er sich für eine östliche „Öffnung“ entschieden hatte:

In Vorbereitung auf den Wahlsieg habe ich bereits 2009 mit Präsident Putin und der chinesischen Führung Kontakt aufgenommen. Ich dachte, dass wir uns, sobald wir an der Regierung sind, den Realitäten der Weltpolitik stellen müssten, die nach der Finanzkrise von 2008 eingetreten sind. Ich hatte erwartet, dass die Finanzkrise die westliche Welt, insbesondere die Europäische Union, aber nicht die Chinesen treffen würde, so dass sich der Prozess der Übernahme der Führung der Weltwirtschaft durch China beschleunigen würde. Ungarn musste sich auf diese neue Weltordnung vorbereiten. So konnten wir nach dem Wahlsieg 2010 partnerschaftliche Regierungsverhandlungen mit den Chinesen und den Russen aufnehmen

Oppositionsleiter Márki-Zay sagt Selenkyj Unterstützung zu
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Er versprach, der Ukraine dabei zu helfen, so schnell wie möglich "einen stabilen Platz und eine stabile Rolle in der euro-atlantischen Gemeinschaft" zu finden.Weiterlesen

Russisches Kernkrafwerk in Paks sowie weitere energiepolitische Fragen 

Zu den Sanktionen der EU gegen Russland sagte er, dass der Beginn des Krieges eine neue Situation auch für Ungarn geschaffen hat, in der die Ziele und Interessen Ungarns neu definiert werden mussten.

Was die Sanktionen betrifft, so werden wir kein Veto einlegen und die EU nicht daran hindern, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Die Einheit der EU ist jetzt das Wichtigste. Was die bilateralen Nachkriegsbeziehungen betrifft, so ist eines sicher: Russland wird auch nach dem Krieg weiterbestehen. Und Ungarn und die Europäische Union werden nach dem Krieg Interessen haben. Es gibt kein Argument für den Abbruch unserer Energiezusammenarbeit mit Russland

sagte der Premierminister und fügte hinzu, dass die Staats- und Regierungschefs der EU auch deutlich gemacht hätten, dass die Sanktionen die Energielieferungen aus Russland nicht beeinträchtigen würden, da dies die europäische Wirtschaft zerstören würde.

Dies ist auch bei der Investition in Paks (Kernkraftwerk im südlichen Teil des Landes – Red.) der Fall, so Orbán weiter. „Wenn es kein Paks gibt, werden wir mehr russisches Gas kaufen müssen, und das zu noch höheren Preisen. Würden wir die Energiekooperation mit den Russen beenden, würden sich die Stromrechnungen aller ungarischen Familien in einem einzigen Monat verdreifachen. Deshalb unterstütze ich diesen Schritt nicht, und ich möchte nicht, dass ungarische Familien den Preis für den Krieg zahlen müssen.“

Ich weiß, was strategische Ruhe ist: wenig reden, aber dann präzise und verantwortungsbewusst

Hilfe für die Ukraine

Zur Hilfe für die Ukraine sagte der Ministerpräsident: Ungarn hilft bei den Verhandlungen, indem es Benzin, Gasöl, Lebensmittel und Grundversorgungsgüter in die Ukraine liefert und all jene aufnimmt, die vor dem Krieg fliehen müssen.

Auf die Frage, was die größte Herausforderung seiner Regierung gewesen sei, sagte der Premierminister, dass die schwierigsten Momente immer die Krisen gewesen seien.

Wenn man auf unsere Regierung zurückblickt, haben wir seit 2010 alles erlebt: Finanzkrise, Rotschlamm, Überschwemmungen, Krimkrieg, Migrationskrise, Coronavirus, russisch-ukrainischer Krieg. Dies sind unsere letzten zwölf Jahre. Würde es ein Studium Krisenmanagement geben, dann hätten wir schon vier oder fünf Diplome davon. Wir leben in einem Zeitalter der Gefahr, eine Zeit der friedlichen Schöpfung ist uns noch nicht beschert worden.

sagte er.

„Merkel war diejenige, die die Migranten ins Land gelassen hat, die die deutsche Familienpolitik aufgegeben hat, aber sie war auch diejenige, die Deutschland auf einen neuen Energiepfad gebracht hat, der vielleicht nicht tragfähig sein wird“

Die deutschen Bundestagswahlen sind vorbei und Angela Merkel hat die Bühne der deutschen und europäischen Politik verlassen. Auf die Frage, was Orbán von der 16 Jahre langen Arbeit der Bundeskanzlerin hält, sagte Orbán:

„Zunächst einmal ist es keine leichte Aufgabe, Bundeskanzler zu sein. Deutschland befindet sich in einem unnatürlichen Zustand, in dem sich die verschiedenen Teile unverhältnismäßig entwickeln: Es hat einen riesigen Bizeps in der Wirtschaft, einen gut entwickelten Muskel in der Kultur, aber eine dünne Wade in der Sicherheitspolitik, ohne nennenswerte Militärmacht und ohne Ambitionen, eine solche wegen des Zweiten Weltkriegs zu haben.“ Orbán fügte jedoch hinzu:

Die Wahrnehmung von Bundeskanzlerin Merkel wird stark davon beeinflusst werden, was in Deutschland jetzt kommt. Die Frage ist in der Tat, wie gut oder schlecht die Ära Merkel im Vergleich dazu gewesen ist. Verglichen mit dem, was wir uns immer gewünscht hätten, war es nicht sehr ermutigend, aber verglichen mit dem, was mit der neuen deutschen Linksregierung kommen wird, ist es vielleicht ganz gut. Orbán fügte hinzu, Merkel war diejenige, die die Migranten ins Land gelassen hat, die die deutsche Familienpolitik aufgegeben hat, aber sie war auch diejenige, die Deutschland auf einen neuen Energiepfad gebracht hat, der vielleicht nicht tragfähig sein wird.

Merkel dankt Ungarn
Merkel dankt Ungarn

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Ungarn für die Unterstützung bei der Öffnung der Grenzen 1989 und bei der folgenden Deutschen Einheit gedankt.Weiterlesen

Dies sind drei wichtige strategische Fragen. Die historische Entwicklung der letzten Tage ist, dass Deutschland einen Paradigmenwechsel in der Militär- und Sicherheitspolitik angekündigt hat. Es wurde beschlossen, mit der Wiederbewaffnung Deutschlands zu beginnen. Dies schafft auch eine neue Situation in Europa

Er sagte, die Tatsache, dass die beiden Länder im Jahr 2015 so unterschiedliche Auffassungen von Migration hatten, nicht nur die Beziehungen zwischen den beiden Ländern beeinträchtigt, sondern auch zu Angriffen aus Brüssel auf Ungarn geführt hat.

(Via: mandiner, Titelbild: MTI – Fischer Zoltán)