Wöchentliche Newsletter

Schauspieler brauchen jetzt einen Plan B – Interview

Schließung, Online-Streaming, Aufführungen vor leerem Auditorium – jedes Theater versucht die seit dem 11.November ins Leben gerufenen Einschränkungen anders zu überleben. Panni Kelecsényi gehört noch zu den glücklicheren, da sie noch Proben im József Katona Nationaltheater in Kecskemét hat. Die Schauspielerin nutzt den Stillstand in der Coronazeit um sich zu entwickeln: Sie holt ihr Instrument hervor, welches mehr als 10 Jahre in der Ecke stand, nimmt Musikunterricht und trainiert. Man kann nie wissen, ob eines Tages „ein Regisseur von ihr verlangt, auf den Händen zu stehen”, sagt sie. Im Frühling haben sie schon geahnt, dass sie sich einen „Plan B” suchen müssen, da die Theater auch über längere Zeit geschlossen bleiben können. Und was für ein Stück könnte Panni sich vorstellen, welches die jetzige Epidemie aufarbeitet? Auch das erzählt sie Ungarn Heute. Interview.

Die Situation der Schauspieler ähnelt im Moment ein wenig der der Leistungssportler. Sie wissen nicht, wann und welcher Wettkampf als nächstes ansteht. Ist es nicht schwer, sich so vorzubereiten?

Doch sehr schwer, geradezu bedrückend. Manchmal leben wir uns mit voller Energie in ein Stück hinein, von dem wir nicht mal wissen, ob wir es überhaupt einmal präsentieren können. Dazu kommt, dass die Pläne sich von Tag zu Tag ändern. Das hinterlässt eine Unsicherheit, die mir Angst macht.

Gibt es zur Zeit Proben im Theater?

Ja, im Frühling war sogar das Proben nicht möglich, das geht zumindest jetzt. Somit ist es für die Schauspieler keine völlige Stagnation im Moment, wenigstens für diejenigen die proben. Es gibt nämlich auch Schauspieler, für die nur Vorstellungen vorgesehen waren und keine Probenzeiten. Sie hängen jetzt leider in der „Luft” und müssen die Zeit ohne Aufgaben durchstehen.

Versucht ihr irgendwie den Kontakt zu den Zuschauern zu behalten?

Beinahe jedes Theater versucht den Kontakt zu seinen Zuschauern zu halten. Niemand möchte sie gerne verlieren. Deshalb arbeiten die Marketingabteilungen gerade daran, wie man das Publikum halten kann, damit sie nach dem Ende der Epidemie erneut ins Theater gehen. Bei uns gab es zum Beispiel eine Videoserie mit dem Namen „Was macht ein Schauspieler zu Hause?”. Darin haben wir gezeigt, wie wir unsere Zeit in Quarantäne ausfüllen. Es war schön sich in Zivil darzustellen, da wir auf der Bühne dazu nicht mehr die Möglichkeit haben. Im Frühling haben wir statt Vorstellungen Novellen und Märchen vorgelesen. Diese wurden vom Kecskemét Fernsehen ausgestrahlt, bzw. im Internet veröffentlicht.

Allerdings denke ich, dass das Online-Theater keinen Sinn macht. Der Wert einer Vorstellung liegt darin, dass man sie leibhaftig erlebt, man die Energie der Schauspieler spürt, die Gerüche wahrnimmt, und alles was von der Bühne kommt. DAS ist Theater.

Ein Film dagegen, ist das, was man auf einem Bildschirm sieht. Ebendies ist der Unterschied zwischen den beiden Genres.

Wie werden sich die neuen restriktiven Maßnahmen auf den Kultursektor auswirken?
Wie werden sich die neuen restriktiven Maßnahmen auf den Kultursektor auswirken?

Am Montag kündigte Premierminister Viktor Orbán strengere Beschränkungen an, um die Ausbreitung der Coronavirus-Epidemie einzudämmen, einschließlich einer nächtlichen Ausgangssperre und der Schließung von Theatern, Kinos, Museen und anderen kulturellen Einrichtungen. Die Einschränkungen führen dazu, dass kulturelle Einrichtungen Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. Sie versuchen, eine Lösung zu finden, um einen Teil ihrer Einnahmen […]Weiterlesen

Ich nehme an, dass du so auch mehr Freiheiten hast am Tag. Gab es etwas Neues, womit du dich beschäftigt hast seit Corona?

Seit langem wollte ich wieder mit dem Drehleierspielen anfangen. Mit 10 Jahren habe ich dieses Instrument spielen gelernt und nach einem Jahr aufgehört. Doch jetzt konnte ich es wieder hervorholen und Unterricht nehmen, worüber ich mich sehr freue.

Was hat dich dazu motiviert das Instrument wieder zu spielen?

Ein Schauspieler muss sich weiterbilden. Ich weiß zum Beispiel, dass meine musikalische Seite nicht sehr stark ist, obwohl es schön wäre mich darin zu entwickeln. Ich muss mich verbessern, und mit meiner musikalischen Bildung ist das möglich. Andererseits zieht mich die Volkswelt sehr an, und mit der Drehleier kann ich in diese Welt eintauchen. Im Theater hat es auch einen Vorteil, wenn man ein Instrument spielen kann. Ich denke, dass unser auch Körper gepflegt werden muss, genauso wie unsere Stimme. Deshalb sollte man seine freie Zeit für Training nutzen.

Wer weiß, vielleicht verlangt einmal ein progressiver Regisseur von mir auf den Händen zu stehen. (lacht)

Derjenige ist ein guter Schauspieler, wer immer höher und höher steigen will. Und das ist nur auf einem Weg zu erreichen, wenn man sich in mehreren Bereichen weiterentwickelt: Sprache, Bewegung, Stimme, Musik… Das ist kein einfacher bürgerlicher Beruf, sondern ein Beruf, der dein ganzes Leben fordert.

Fact

Panni Kelecsényi begann 2014 an der Ász Dramenschule sich mit der Schauspielerei zu befassen. Zurzeit ist sie am Kaposvárer Campus der Szent István Universität, Rippl-Rónai Fakultät und Absolventin der Cseke-Klasse im Fach Schauspielerei. Ihre Praxisjahre verbringt sie an dem Nationaltheater József Katona in Kecskemét. Aktuelle Rollen: Woody Allen: EHEMÄNNER UND EHEFRAUEN (Rain); Robert Thomas: ACHT FRAUEN (Catherine)

Was fehlt jetzt am meisten?

Die Proben werden nur von dem Regisseur angeschaut, von ihm kommt eine ganz andere Energie als von dem Publikum. Die Zuschauer gehen ins Theater, um eine gute Vorstellung zu sehen, und in diesem Zusammenhang sind sie normalerweise auch nicht skeptisch. Dies gibt eine unglaublich gute Energie, die ich sehr mag. Das fehlt mir sehr.

Ein Theater wird dadurch zum Theater, wenn wenigstens ein Mensch zusieht. Umso mehr, wenn hundert, oder zweihundert zuschauen! Und das ergibt sehr viel mehr Impulse.

Es fehlt auch die Zeremonie, die den Aufführungen vorausgeht. Du bereitest dich auf deine Rolle vor, ziehst dich vorher um, gehst früher in die Umkleidekabine, dort triffst du deine Kollegen, redest ein bisschen mit ihnen, schminkst dich, überprüfst deine Requisiten. Ja, das fehlt auch, die Vorbereitung an sich.

Wie erlebt ihr diese Zeit als Gemeinschaft?

Wir sind genau aus den gleichen Gründen bei den Proben wie zuvor auch. Wir wollen auch jetzt das Beste aus uns herausholen. Es ist schon fast Nebensache, ob wir das Stück aufführen können oder nicht. Natürlich hoffen wir darauf, dass es dazu kommt. Im Frühling haben wir schon gespürt, dass es angemessen wäre einen Plan B für uns zu suchen, falls die Theater für eine längere Zeit schließen müssen. Viele meiner Schauspielerbekannten haben das bereits getan. Es gibt welche die Kellnern gehen oder andere zivile Berufe ausführen, um Geld zu verdienen.

Hat sich während der Coronazeit die Laune der Theaterbesucher geändert?

Im Frühling dachten wir noch, dass nach der Aufhebung der Quarantäne niemand mehr ins Theater gehen wird, da die Menschen auch weiterhin Angst haben. Im Gegenteil, wir hatten ausverkaufte Aufführungen. Ich denke, die Menschen waren ausgehungert nach Kultur. Außerdem achtet das Theater sehr auf seine Zuschauer: Maskenpflicht, vor der Vorstellung Temperatur messen, während den Pausen die Armlehnen desinfizieren.

In einem Theater waren die Vorstellungen sehr interessant abgehalten worden: auch die Schauspieler trugen eine Maske. Am Ende hat der Direktor eingesehen, dass dies ein schlechtes Experiment war.

Ein Schauspieler spielt und spricht mit seinem Gesicht. Das wichtigste Requisit für seine Arbeit ist sein Gesicht.

Es wurden zahlreiche literarische Werke über große Pandemien geschrieben, und viele davon wurden auf die Bühne oder auf die Leinwand gebracht. Zum Beispiel: Liebe in Zeiten der Cholera, Die Pest in London, etc. Wenn man so ein Stück schreiben würde, wie könntest du dir das vorstellen?

Es sollte ausdrücken wie es ist, in ständiger Angst zu leben und zeigen, wie das Virus persönliche Kontakte zersetzt.

Wir sehen nicht das Gesicht des anderen, wir trauen uns nicht ins Theater oder zu unseren Eltern zu gehen. Wir dürfen uns nicht berühren, dürfen uns nicht küssend begrüßen… Das führt uns alle zur Emotionslosigkeit und Beklemmung.

Ich könnte mir ein Stück vorstellen, in dem die Hauptfrage ist, wohin das alles führt: Das unser Gesicht ständig bedeckt ist und wir nicht auf die Straße gehen dürfen. Ich denke es führt zu sozialen Konflikten. Ein bedrückendes und in totale Tragödie endendes Stück kann ich mir vorstellen.

(Übersetzt von Katharina Haffner)