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„Wie kann ich denen helfen, die in diesen schwierigen Monaten an vorderster Front kämpfen?” – INTERVIEW mit Seelsorgerin Brigitta Bálint

Ungarn Heute 2020.11.21.

„Kriegszustände, Tod, Erschöpfung, Hölle.” Solche und ähnliche Hilferufe können derzeit von denjenigen gelesen werden, die in ungarischen Krankenhäusern Bereitschaft  haben und von Tag zu Tag Corona-Patienten betreuen. Die Anzahl der Patienten nimmt mehr und mehr zu, während immer weniger Ärzte und Krankenschwestern zur Verfügung stehen. „Wie kann ich denen helfen, die in diesen schwierigen Monaten an vorderster Front kämpfen?” – Diese Frage stellen sich viele. Doch die Antwort ist oft leichter als wir denken: Ein Teller Kuchen, ermutigende Zusprüche, eine Packung Vitamine… nicht nur für den Körper, sondern auch für die Seele. Glücklicherweise gibt es Menschen, die unermüdlich daran arbeiten, dass unsere ermutigenden Worte auch die Mitarbeiter des Gesundheitswesens und die Patienten erreichen. Zum Beispiel Brigitta Bálint, eine Seelsorgerin des Krankenhauses. Interview.

Wie würden Sie den Alltag von Ärzten und Krankenschwestern beschreiben?

Die einzige Konstante im Krankenhaus Ferenc Flór im Landkreis Pest, ist der ständige Wandel. Unsere Ärzte und Krankenschwestern sind im Moment wie Marionettenfiguren, doch sie sind lebende Menschen mit Gefühlen und Seele. Dies ist für niemanden eine einfache Zeit, da keiner weiß, was ihn am nächsten Tag erwartet.

Dies kann eine enorme seelische, physische und mentale Bealstung sein. Wer könnte ihnen helfen?

Wir sehen und hören oft, wie geduldig unsere Ärzte den Krankenschwestern die verschiedenen und speziellen Anweisungen erklären. Doch nicht nur „physisch”, auch bei seelischen und mentalen Belastungen versuchen sie sich gegenseitig zu unterstützen, zusätzlich gibt es auch einen Psychologen im Krankenhaus. Ich gehöre nicht zum Gesundheitspersonal. Ich bin eher ein sogenannter „externer Helfer”. Als Angestellte der Krankenhaus-Seelsorge der Diözese Vác verbringe ich acht Stunden im Krankenhaus. Ich versuche mit meinen einfachen Mitteln und Beziehungsmethoden zu helfen.

Mir ist aufgefallen, dass immer mehr Menschen ehrlicher um Hilfe bitten können.

Eine unserer Krankenschwestern hatte vor Kurzem um die Salbung der Kranken gebeten. Selbst chronisch krank, nahm auch sie gemeinsam mit den Patienten an der Salbung teil und schöpfte dadurch Kraft. Hier an vorderster Front brauchte auch sie die Unterstützung des Glaubens.

Auch unser Leiter der Seelsorge, Pater Dr. Artúr Faragó kam an diesem Tag.

Es war für ihn sehr berührend zu sehen, wie Kranke und Krankenschwestern gemeinsam in diesem Kampf kämpfen. Nur das der eine neben diesem Kampf versucht, die Anderen zu pflegen.

In den letzten sechs Monaten ist mir auch klar geworden, wie wichtig es ist, was man außerhalb des Krankenhauses, in seinem Privatleben und zu Hause um sich hat. Für Arbeitnehmer mit einem beruhigenden sozialen Netz um sich, ist es viel einfacher im Ring zu bleiben. Man kann sich mit mehr Mut und Selbstvertrauen an neue Situationen anpassen. Ganz zu schweigen von Angestellten, welche zutiefst gläubig sind und, trotz ihres Eingesperrtseins in Schutzkleidung, mit Gott „in Gemeinschaft” sind, oder dem Himmlischen, je nachdem welchen spirituellen Halt man für sich definiert.

Die zweite Welle belastet das Gesundheitswesen wesentlich stärker, und natürlich auch diejenigen die dort beschäftigt sind. Konnten sie, bzw kann man sich überhaupt darauf vorbereiten?

Vielleicht nur in dem Sinne, dass wir über das Virus heute schon besser Bescheid wissen. Zum heutigen Zeitpunkt wissen die hier Arbeitenden bereits, wie man die Patienten am besten versorgt und gleichzeitig sich selber schützt.

Über die internen Details weiß ich weniger, da man aus Zeitgründen immer nur sogenannte „Blitzgespräche” führen kann. Man hat keine Zeit für Geschichten.

Wenn ich helfen will, dann muss ich mich in die wichtigen Fragen oder Wünsche der anderen reinfühlen und das mit aufrichtigem Interesse und taktvollem Umgang. Auch für mich nicht einfach!

Ungarn meldet Rekordwert: 6495 Corona-Neuinfektionen
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Ungarn verzeichnet in der Coronavirus-Pandemie einen drastischen Anstieg der Infektions- und Todesfälle. Die Anzahl der aktiven Infizierten liegt schon über 100 000, d.h. jeder 100. Ungar, der getestet wurde, ist infiziert.  Innerhalb von 24 Stunden seien 93 weitere Patienten an der durch das Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit gestorben, teilte die Regierungswebseite koronavirus.gov.hu am Montagmorgen mit. Die […]Weiterlesen

Es ist äußerst wichtig, dass man auch Erfolgserlebnisse hat. Erzählt man Ihnen auch davon?

Man hat auch viel Freude, ich verwende absichtlich nicht das Wort Erfolgserlebnis, da der Ergolg in einem Krankenhaus nur auf langer Sicht bewertet werden kann.

In jedem Gespräch tauchen alltägliche Freuden auf, was auch ein Schlüssel der Seelsorge ist: nach dem Sprechen über Schwierigkeiten ist es wichtig, mindestens ein schönes Erlebnis, eine kleine Freude auszusprechen. Dadurch bekommt die Seele etwas Luft, der Mensch kann aufatmen.

Fachmännisch gesehen, verbinden sich die rechte und linke Gehirnhälfte, wenn auch nur für einen kleinen Moment.

Wenn die kindliche Freude in ihren Augen funkelt, kann ich sie auch leichter wieder in den Kampf ziehen lassen.

Während es zur Zeit der ersten Corona-Welle viele Initiativen gab, Ärzte und Krankenschwestern auf der ganzen Welt zu stärken und zu ermutigen, ist es jetzt so, als wäre das alles verschwunden oder zumindest nicht so „sichtbar”. Wie kann das sein? Darüber hinaus ist die Situation überall, auch hier in Ungarn sehr viel ernster.

Viele haben mich das in den letzten Wochen gefragt, und ich bin auch dankbar dafür! Eine gute Frage treibt mich immer dazu an, gute Antworten zu finden. Ich habe mich hier und da erkundigt, auf den Fluren des Krankenhauses, bei unseren Ärzten und Mitarbeitern.

Sie waren sehr ehrlich und haben zugegeben, dass die fehlende Unterstützung nicht aufgefallen ist, da ihnen schon für sich selbst weder Zeit noch Energie bleibt. Sie sind glücklich, dass sie die Patienten behandeln, selber am Leben bleiben und die eigene Familie schützen können.

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In dem Moment in dem sie ausgesprochen hatten, dass es ihnen nicht aufgefallen war, war bereits meine nächste Frage folgende: WORÜBER WÜRDEN SIE SICH FREUEN? Was würde ihnen gut tun? Ich habe sie solange ausgefragt, bis wir nicht gemeinsam etwas Konkretes fanden. Etwas Machbares für die Gemeinde und die Familien um mich herum.

„Kuchen” war das Zauberwort, welches ausnahmslos die kindliche Seele und das Funkeln in den Augen zum Vorschein brachte. Sie sagten mir, dass sie sich immer sehr über einen Kuchen freuen würden

Ich habe diese freudige Nachricht an die Eltern in der Schule meiner Kinder weitergegeben. Die Familien des „Gymnasiums Sankt Norbert von Premontre“ in Gödöllő, und die der katholischen „Grundschule St. Imre“ haben sich in einer großen Tabelle eingetragen um gemeinsam von Woche zu Woche Kuchen zu verpacken, sodass jede Abteilung des Flór Ferenc Krankenhaus im Landkreis Pest ein kleines Stückchen Freude genießen kann.

Während Kriegszeiten waren die Süßwaren auch so etwas wie „Schmerzmittel”, und so versuchen auch wir eine Quelle dieser Freude zu sein.

Darüber hinaus beinhaltet jede Verpackung eine freundliche ermutigende Botschaft. In der ersten Runde haben beispielsweise die Schulkinder von Gödöllö positive Gedanken auf Baumblätter geschrieben.

Genauso wie für die Mitarbeiter des Gesundheitswesens, so ist es auch für die Patienten in den Krankenhäusern zur Zeit viel schwieriger. Was würden Sie Ihren Angehörigen empfehlen? Wie können sie ihren geliebten Menschen im Krankenhaus helfen?

Es wäre sehr wichtig, die Verwandten ein wenig zu „erziehen” … So wie es zurzeit eine „Ausbildung für Schwiegermütter” gibt, würde ich zu einem Schnellkurs in „Kultivierung von Angehörigen” raten.

Ich bitte die Leser es richtig zu verstehen, was ich sagen möchte: Die Ärzte sollten nicht ständig wegen Diagnosen am Telefon belästigt werden. Es lohnt sich nicht die Krankenschwestern stundenlang nach den körperlichen Symptomen auszufragen. Man sollte diese Zeit viel mehr mit den geliebten Angehörigen verbringen. Man sollte sie anrufen und zuhören, was es ihnen schwer macht im Krankenhaus!

Lassen sie ihn ausführlich schildern, wie es ist, auf einem 90cm breiten Bett eingesperrt zu sein, zusammen mit anderen fremden Menschen.

Wenn er sich reichlich ausgesprochen hat und man an seiner Stimme hört, dass er sich beruhigt hat, erzählen sie ihm von den guten und schönen Dingen im Leben. Damit er nach seinem ZUHAUSE VERLANGT! Erzählen sie von den Enkeln, darüber, was sie zum Mittag gekocht haben, wie die Blumen im Garten aussehen, wie der Hund oder die Katze ihn vermisst, usw.

Wenn der Patient nicht in der Lage sein sollte zu sprechen, senden Sie ihm eine Nachricht. Schicken Sie ihm ein Bild von der Familie, schreiben Sie einen Brief!

Bereiten Sie sich besonders darauf vor, dass die Dinge zu Weihnachten emotional noch schwieriger werden?

Natürlich…Weihnachten war auch bisher immer sehr schwierig. Aufgrund der „Überlastung” des Personals bereiten wir schon alles im Voraus vor: wie können das Krankenhaus und unsere Dienste gemeinsam die Menschen unterstützen. Wir bereiten für jeden kleine passende Geschenke vor: von Kindern gezeichnete Postkarten, Leckerbissen, geistliche Symbole. Geschenke die Halt geben sollen.

Entsprechend der epidemiologischen Situation sind wir entschlossen, Weihnachten zu einem Weihnachten zu machen. Wir würden in der Weihnachtszeit gerne mit Engelsflügeln in die COVID-Abteilung kommen…

Vertrauen wir darauf, dass Gott, wenn er uns das Verlangen in unsere Seele gepflanzt hat, uns allen auch bei der Erfüllung hilft!

(geschrieben von Zsófia Nagy-Vargha, Übersetzt von Katharina Haffner)