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Viktor Orbán im Interview: „Man muss das Urteil zur Kenntnis nehmen”

Enikő Enzsöl 2017.09.11.

In einem Interview mit dem Radio Kossuth sagte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán am Freitag, er stimme dem Standpunkt seines slowakischen Amtskollegen Robert Fico Wort für Wort zu. Dieser hatte betont, dass sein Land das EuGH-Urteil zur Kenntnis nehmen werde. Das vollständige Interview von dem Kabinettbüro des Ministerpräsidenten:

Éva Kocsis: – Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán. Guten Morgen!

Viktor Orbán: – Ich begrüße recht herzlich die Zuhörer. Guten Morgen!

– Sie sagten vor vier Monaten, als wir über die Quote sprachen, über das Urteil des Gerichtshofes, dass sie in der Angelegenheit der Quote bereit sind, bis zur Wand, das heißt bis zum Äußersten zu gehen. Nun. Das Gericht, der Europäische Gerichtshof hat in dieser Angelegenheit die ungarisch-slowakische Klage zurückgewiesen. Ist das schon die Wand?

– Da sind wir noch nicht angelangt. Ein Gerichtsurteil ist gesprochen worden. In gleich welcher Angelegenheit ein Urteil gefällt wird, wir müssen den gleichen prinzipiellen Grundsatz befolgen. Ungarn ist Mitglied der Europäischen Union, die Angelegenheiten der EU, ihre inneren Machtverhältnisse werden durch den Grundvertrag geregelt. Die Verträge müssen respektiert werden, und hieraus folgt, dass auch die Gerichtsurteile zur Kenntnis genommen werden müssen. Die ungarische Sprache ist eine ausgefeilte und nuancierte Sprache. Es ist nicht egal, mit welchem Wort wir zu einem solchen Anlass auf ein Gerichtsurteil reagieren, besonders, da wir unsere Arbeit in einem unfreundlichen europäischen Umfeld verrichten. Ich gebrauche den Ausdruck „zur Kenntnis nehmen“, ich übernehme dies wortwörtlich aus dem Standpunkt von Herrn Ministerpräsidenten Fico, dem Ministerpräsidenten der Slowaken, dem ich auch Wort für Wort, ja sogar Buchstabe für Buchstabe zustimme. Man muss das Urteil zur Kenntnis nehmen, denn wir dürfen ja nicht die Grundlagen der Europäischen Union beschädigen, und die Respektierung des Gesetzes ist die Grundlage der Europäischen Union. Zugleich stellt dieses Gerichtsurteil keinen Grund dar, damit wir unsere die Migranten abweisende Einwanderungspolitik verändern, also werden wir sie auch nicht ändern.

– Sie nehmen also das Urteil zur Kenntnis, doch hat sich schließlich Ungarn, haben sich doch schließlich die ungarische Regierung und die slowakische Regierung an dieses Gericht gewandt. Jetzt haben wir es also zur Kenntnis genommen. Und schreiten wir weiter voran in die entgegengesetzte Richtung von dem, was das Gericht entschieden hat?

– Wir nehmen es zur Kenntnis, leben damit zusammen und kämpfen gegen jene Politik Brüssels, die entgegen des Willens der Nationalstaaten wen auch immer in das Land des einen oder des anderen Mitgliedsstaates schicken will. Das ist ja doch eine absurde Situation – stellen Sie sich das nur real im Leben vor, wie das ist! Wir leben hier in Ungarn. Da sitzen in Brüssel diese braven Bürokraten herum, und denken, diese drei Jusufs sollten vielleicht gar nicht in Brüssel, nicht in Griechenland herumsitzen, sondern – sagen wir – vielleicht in Budapest leben. Und wir, hier in Brüssel, sagen, diese werden sehr wohl in Budapest leben. Und wir müssen dies zur Kenntnis nehmen. Dies…

– Aber diese Jusufs wollen vermutlich gar nicht in Budapest leben.

– Das ist ein anderes Problem. Jedoch ist es an sich inakzeptabel, dass es auf dem Planeten, hier auf unserem Kontinent einen Menschen geben soll, der denkt, er sei auf Grund irgendeiner Rechtsvorschrift und durch irgendeine richterliche Entscheidung dazu ermächtigt, dort in Brüssel zu entscheiden, mit wem wir, Ungarn, zusammenleben sollen. Solch einen Menschen darf es auf der Welt nicht geben, solch eine Institution existiert nicht, Ungarn ist ein souveränes Land. Mit wem wir zusammenleben, das werden ausschließlich wir, Ungarn, entscheiden.

– Gleich sprechen wir über die Fortsetzung, über die Drehbücher. Jetzt aber alles zusammengenommen, hat es einen Sinn gehabt, sich an den Europäischen Gerichtshof zu wenden?

– Natürlich hat es das. Wir haben viel daraus gelernt. Erinnern wir uns nur daran, von wo aus dieser Fall seinen Ausgang genommen hat, erinnern wir uns daran, wie diese juristische Situation entstanden ist. Das ganze geschah so, dass im September des Jahres 2015 der Rat der Ministerpräsidenten die Frage der Quote besprochen hat, wo man einigen von uns, auch Ungarn, jene Entscheidung aufzwingen wollte, dass es die obligatorische Quote geben soll, das heißt, man hätte uns das Recht genommen, zu entscheiden, wer nach Ungarn hereinkommen darf. Das wollte man durch eine obligatorische Brüsseler Entscheidung ersetzen. Ich habe gegen diesen Vorschlag mein Veto eingelegt. Im Rat der Ministerpräsidenten kann man nämlich in derart wichtigen Fragen nur eine einstimmige Entscheidung fällen. Und ich habe das Veto eingelegt und die anderen mitteleuropäischen Länder vertraten ebenfalls diesen Standpunkt. Zu solchen Anlässen schließen wir auf den Ratssitzungen jeweils eine Frage mit Mitteilungen, einem den Titel „Schlussfolgerungen“ tragenden Dokument ab. Wir haben in dieses Dokument auch hineingeschrieben, dass es keine obligatorische Quote gibt, und wenn es jemals irgendeine Quote geben sollte, dann würde sie nur eine freiwillige sein können. Und hiernach hat die Kommission, meines Erachtens unter Verletzung des Grundvertrages der EU, nach Meinung des Gerichtshofes aber nicht – wie wir das sehen können –, einen Gesetzgebungsprozess eingeleitet, hat den Europarat umgangen. Im Prinzip darf die Kommission nichts machen, was der gemeinsamen Entscheidung der europäischen Ministerpräsidenten entgegengesetzt ist, in diesem Fall der freiwilligen Quote, doch hat sie einen Vorschlag unterbreitet, laut dem die Quote doch obligatorisch sein soll. Und sie hat ein Verfahren in Gang gesetzt, in dem uns, Ungarn, das Vetorecht nicht mehr zusteht. Hier hätte man nur noch ein „blockierende Minderheit“ genanntes Bündnis schaffen können. Hier ist mindestens ein Drittel der Länder notwendig, um solch einen Prozess aufhalten zu können. Aber soviel haben wir nicht. Denn wir, Mitteleuropäer, sind nicht zahlreich genug, um die Westler blockieren zu können. Und das Verfahren begann und sie haben es schön bis zum Ende durchgeführt, und haben am Ende über eine obligatorische Quote entschieden. Meiner Ansicht nach wirft diese ganze Angelegenheit, jetzt über die Affäre der Quote hinaus, eine sehr schwerwiegende prinzipielle Frage auf. Die Frage, ob wir denn nun das Bündnis der freien europäischen Nationen sind, deren gemeinsames Interesse von der Kommission vertreten wird, oder ob wir das europäische Imperium sind, dessen Zentrum Brüssel ist und das Anweisungen auch entgegen der Vetos der Ministerpräsidenten der Mitgliedsstaaten verteilen darf. Das ist die Frage. Die Grundfrage ist dies. Die Migration, die Einwanderung ist wichtig, aber hierbei geht es um eine noch wichtigere Frage, nämlich die Frage der Freiheit und der Souveränität. Deshalb mussten wir einen prinzipiellen Standpunkt vertreten, wir hatten auch keine andere Möglichkeit. Die ungarische Freiheit, die ungarische verfassungsmäßige Ordnung und die Traditionen haben auch kein anderes Verhalten möglich gemacht, als unserem Recht auf juristischem Wege Geltung zu verschaffen. Jetzt hat sich aber herausgestellt, dass das Gericht nicht uns Recht gegeben hat. Meine Deutung ist die, dass der Gerichtshof, indem er sich auf die Seite der Kommission gestellt hat, im Wesentlichen jenes Tor geöffnet hat, durch das man versucht, aus Europa, aus der traditionellen europäischen Bevölkerung und Kultur, einen Kontinent mit gemischter Bevölkerung und mit gemischter Kultur zu machen. Ich könnte auch sagen, dass die Tür für den Plan von George Soros geöffnet worden ist und ich rechne im kommenden Zeitraum damit, dass seine Durchführung schneller wird. Meine kurze Antwort auf Ihre Frage lautet also, dass man vor Gericht gehen musste, denn aus prinzipiellen Gründen konnten wir nichts anderes tun.

– Auf die Freiheit und die Souveränität kommen wir noch zurück, aber sprechen wir noch darüber, dass auch die Kommission das gleiche denkt: „So ist es. Es handelt sich um eine prinzipielle Situation, eine prinzipielle Entscheidung, und diese ist nichts anderes, als das Prinzip der Gemeinschaft und der Solidarität.“ Jetzt haben wir hier die Definition von Solidarität, die von der ungarischen Regierung, der slowakischen Regierung und auch in Brüssel von Politikern angeführt wird – als ob diese Definitionen nicht übereinstimmen würden…

– Sie tun es auch nicht.

– Weil die ungarische Seite damit argumentiert, dass wir wegen der Solidarität es nicht wollen, und sie damit, dass es wegen der Solidarität sein muss.

– Die Definitionen stimmen natürlich auch nicht überein, denn unserer Ansicht nach gehört es nicht zur Solidarität, dass ein Land aus irgendeinem Grunde seine grundlegenden, verfassungsrechtlichen Regeln, seine nationale kulturelle Identität aufgeben müsste. Und wenn ein Land der Ansicht ist, dass eine gegebene Entscheidung der EU seine nationale Identität betrifft – die Entscheidung ist übrigens auch der ungarischen Verfassung entgegengesetzt –, dann muss es sich dagegen stellen. Brüssel glaubt, was es als Solidarität deklariert, das sei die Solidarität. Nun, das ist unannehmbar, das ist ein Diktat, das ein derartiges juristisch interpretierendes Diktat darstellt, das wir nicht akzeptieren können.

– Nun gut, aber man kann auch eine Verordnung über eine Klubmitgliedschaft für ein Diktat halten, doch insgesamt ist die Lage trotzdem die, dass wir einem Klub beigetreten sind, die Regeln, die Voraussetzungen, das Einzahlen des Mitgliederbeitrages muss eingehalten werden…

– So ist es.

– Und es gibt Situationen, in denen – sagen wir – der Regen den Klub überströmt, dann zieht sich ein jeder Gummistiefel an und bringt den Klub in Ordnung. Dies hält Brüssel für Solidarität und gemeinsame Verantwortung.

– Ja, aber wenn das Wasser in die Wohnung eindringt, sie überflutet, dann sollte man nicht darüber diskutieren, wie viele Eimer Wasser in welches Zimmer geleitet werden sollen, sondern man muss den Punkt, wo das Wasser einbricht, abschließen, das heißt man muss sich schützen, der Grenzschutz ist notwendig. Und außerdem, wer so weise war, dass er das Wasser nicht in sein eigenes Land hineingelassen und es verteidigt hat, warum müsste er einen Anteil vom Übel erhalten? Wenn jene Länder, die beschlossen hatten, sich nicht zu verteidigen, sondern die Migranten hineinzulassen, es vermasselt haben, sie diese Suppe versalzen haben, dann jetzt sollen sie sie auch aufessen. Warum müssten wir diese Suppe auslöffeln, die sie versalzen haben? Niemand hat sie darum gebeten, kein einziges westeuropäisches Land ist gebeten worden, von uns Mitteleuropäern sicher nicht, dass sie dorthin Migranten hineinlassen sollen. Das alles war eine souveräne Entscheidung von ihnen. Sie können von uns nicht erwarten, dass bei der Korrektur ihrer freiwillig gefällten Entscheidung wir obligatorisch teilnehmen sollen. Wir helfen gerne, wir helfen zum Beispiel Deutschland dabei, die nach Europa hereingekommenen Migranten aus dem Kontinent wegzubringen. Hierbei helfen wir gerne, aber nicht dabei, sie mit dem Zug nach Budapest zu bringen. Aber dabei, sie zum Beispiel nach Libyen oder zu einem sonstwelchen anderen Punkt hinauszubringen, an Orte, an geschützte und sichere Orte, wo sie meiner Ansicht nach sein müssten, anstatt sich illegal in Europa aufzuhalten, hierbei helfen wir gerne. Wir helfen bei zahlreichen Dingen. Wir bauen zum Beispiel aus dem Geld der ungarischen Steuerzahler den Zaun, setzen die Grenzjäger ein, mobilisieren mehrere tausend Polizisten und schützen die Südgrenze Europas, so wie wir dies in den vergangenen tausend Jahren schon zu zahlreichen Anlässen getan haben. Wir machen also sehr vieles. Eine Sache ist inakzeptabel, wenn wir uns einem Klub anschließen, und der hat Regeln, die aussagen, dass die Gesetze, die Vorgehensweise durch den Rat der Ministerpräsidenten geordnet wird, und dort in grundsätzlichen Fragen jedem Mitglied das Vetorecht zusteht, dann kann man dieses Recht nicht wegnehmen. Die Regeln des Klubs stellen nicht wir, Ungarn, in Frage, sondern die Brüsseler Kommission hat sie verändert. Dies ist unannehmbar.

– Insgesamt scheint das, was Sie gesagt haben – dass sie das aufessen sollen, was sie gekocht haben – berechtigt zu sein, doch ist die Situation die, dass Sie zugleich jene, die die Suppe versalzen haben, darum gebeten haben, dass sie aber Ungarn ruhig ein bisschen Geld geben könnten.

– Die Situation ist die, dass Ungarn zu den wenigen Ländern gehört, die die ganze Zeit über die für sie gültigen Vorschriften eingehalten haben, und die man Schengener Regeln nennt. Als wir viel-viel Geld, viele Zehnmilliarden Forint ausgegeben haben, haben wir damit nicht nur Ungarn verteidigt, sondern auch Europa. Wir sind der Ansicht, dass die richtige Deutung von Solidarität in diesem Fall jene ist, dass nachdem wir auch uns selbst schützen und ebenso Westeuropa, wir also den Westlern dadurch sehr große finanzielle Ausgaben erspart haben, indem wir die Migranten nicht dorthin hineinlassen, deshalb habe ich empfohlen, dass wir die Kosten halbieren sollten. Es soll Solidarität herrschen. Wir schützen auch Ungarn, dies begründet, dass wir, Ungarn, für die Hälfte der Ausgaben aufkommen, aber wir schützen auch Europa, und dies würde begründen, dass sie die andere Hälfte bezahlen. Sie verschließen sich vor dem auch nicht, auch sie spüren, dass moralisch das Zünglein an der Waage eher uns Recht gibt, aber sie sagen, sie finanzieren keinen Zaun. Das ist unannehmbar, denn ohne Zaun kann man die Außengrenzen der Europäischen Union nicht verteidigen. Wo es einen Zaun gibt, da gibt es Schutz, wo es keinen Zaun gibt, dort gibt es keinen Schutz. Wo es einen Zaun gibt, dort kommen sie nicht herein, und wo es keinen Zaun gibt, da kommen sie herein. Das ist die Wahrheit. Wenn also jemand gegen den Zaun ist, dann ist er in Wahrheit auch gegen die Politik des Aufhaltens der Migranten, spricht es nur so nicht aus, sondern wählt sich eine symbolische Angelegenheit, dies ist der Zaun, und er engt das Ganze auf eine Debatte darüber ein, dahinter versteckt er seinen tatsächlichen Standpunkt, nämlich dass er in Wirklichkeit die Migranten hereinlassen will. Wer einen Zaun will, der will sie nicht hereinlassen, wer keinen Zaun will, der argumentiert in Wirklichkeit dafür, dass sie ruhig hereinkommen sollen.

– Nun, alles in allem sagt man ansonsten in der Europäischen Union, dass sie keinen Zaun unterstützen oder dafür kein Geld geben, und wir sollten uns darüber hinwegsetzen, dass bei der marokkanisch-spanischen Enklave und an der lettisch-russischen Grenze Brüssel einen Zaun, konkret einen Zaun unterstützt hat…

– Das ist die gewohnte Situation der doppelten Standards, was der eine darf, das darf nach Meinung von Brüssel der andere nicht. Auch deshalb brauchen wir eine neue Kommission und eine neue Denkweise.

– Aber sehen wir jetzt vorerst darüber hinweg. Wäre es nicht einfacher gewesen, dieses Geld anders zu etikettieren? Oder wäre es nicht einfacher gewesen, diese ganze Quoten-Sache so anzugehen, dass man sagt: „Jungs, schickt 1.200 Leute her.“ Sie werden sowieso keine schicken, die Quoten funktionieren nicht, das sehen wir doch auch in den anderen Ländern.

– Ja, nur liegt inzwischen ein Vorschlag der Kommission auf dem Tisch. Der ist auch schon versandt worden. Wir kennen ihn. In ihm steht, dass das Ziel nicht nur sei, jetzt 1.200 Menschen zu verteilen, das ist die eine Sache, sondern es gibt einen Plan, einen der wichtigsten Teile des Soros-Plans, vielleicht sein Herzstück, und diesen hat sich die Kommission zu eigen gemacht, dass nämlich in Europa ein ständiger Verteilungsmechanismus entstehen soll. Wenn also das, was sie jetzt unter Berufung auf die außerordentliche Lage einmal durchführen möchten, von allen geschluckt und akzeptiert wird, dann wird dies laut eines auf dem Tisch liegenden Vorschlags zu einem permanent funktionierenden System gemacht, das heißt den Nationalstaaten wird das Recht genommen, selbst zu entscheiden, mit wem sie zusammenleben wollen. Diese Rechtsvorschrift, die auf dem Tisch liegt, wollen sie den Ländern der EU aufzwingen. Wenn wir also gegen eine Entscheidung über 1.200 Menschen kämpfen, dann nehmen wir nicht in einer Angelegenheit über 1.200 Menschen Stellung, sondern kämpfen wir gegen die Einengung der nationalstaatlichen Befugnisse, kämpfen dagegen, dass das uns in der Frage der Flüchtlinge, der Regulierung der Angelegenheit der Migranten, der Einwanderung zustehende Recht nach Brüssel entzogen wird. Hier verbirgt sich eine viel größere Angelegenheit im Hintergrund. Zugleich kann man in einer solchen Radiosendung auch Folgendes sagen: Ich verstehe, hier sind die Kolonialmächte, die ehemaligen Kolonialmächte die starken Länder in der EU. Es gibt ja zahlreiche Länder in der Europäischen Union, die früher Kolonien besaßen. Hierüber urteile ich nicht, in der Geschichte war dies damals auf diese Weise logisch, und wegen ihrer Vergangenheit als Kolonialmacht, nachdem die koloniale Epoche und Welt zusammengebrochen waren, und auch die Systeme, mussten jene Menschen, die mit ihnen im Laufe der Kolonialisierung in den jeweiligen Ländern, in den Kolonien zusammengearbeitet haben, von dort weggehen, und diese Kolonialländer hatten keine andere Wahl, als diese Menschen zu sich hereinzulassen. So sind zahlreiche Länder Europas Einwanderungsländer geworden, das ist ein existierender Begriff in der EU, das sind Einwanderungsländer, und auch seitdem strömen ständig – Mal auf Grund der Familienzusammenführung, ein anderes Mal andere rechtliche Lücken ausnutzend – Menschen von außerhalb der Europäischen Union in diese ehemaligen Kolonialländer. Und wir sprechen über nicht weniger als darüber, dass diese ehemaligen Kolonialmächte, die inzwischen zu Einwanderungsländern geworden sind, uns, Mitteleuropäern, ihre eigene Logik aufzwingen wollen, jedoch waren wir niemals Kolonialmächte, wir haben keinerlei solcher moralischer oder politischer Verpflichtung, und nicht nur, dass wir keine Kolonialisten waren, wir haben auch niemals jemanden als Gastarbeiter oder auch aus irgendeinem anderen Grund hierhergerufen, damit er hier mit uns zusammenleben soll. Wir sind also kein Einwanderungsland und Ungarn will auch gar nicht zu einem Einwanderungsland werden, zumindest habe ich als Ministerpräsident von den ungarischen Menschen die Ermächtigung dazu bekommen, die wirtschaftliche, kulturelle, geistige Identität, die Traditionen und die Interessen dieses Landes zu schützen, das steht in der ungarischen Verfassung. Ich werde dem niemals zustimmen, dass irgendeine Großmacht, ganz gleich wie mächtig sie auch sein mag, ob es sich um ehemalige Kolonialreiche oder um jene handelt, die in Brüssel ihnen verpflichtet sind, dass diese Länder aus uns ein Einwanderungsland machen. Sie werden mich immer unter den Widerständlern finden. Wenn es geht, dann widerstehe ich als Ministerpräsident, wenn es nicht geht, dann auf eine andere Weise.

– Über den Soros-Plan sagte Frans Timmermans, es sei schon beinahe irritierend, dass man auf ihn reagieren müsse, so lächerlich sei es, dass die Europäische Union entsprechend des Planes von George Soros eine Million von Migranten auf ihr Gebiet hereinbringen würde. Und nehmen wir hierher eine andere Kritik dazu, diese aus dem Brief von Jean-Claude Juncker, dies ist die Frage der im Zusammenhang mit der Migration mehrfach erwähnten Finanzquellen der EU, über die er sehr stark zusammengefasst schreibt: „Nun, Jungs, wenn Ihr unser Geld braucht, dann übernehmt auch Verantwortung, gemeinsame Verantwortung.“

– Nun, zunächst einmal, wenn wir unser Gespräch heute schon von dem Recht ausgehend begonnen haben, dann müssen wir feststellen, dass die Regeln der Europäischen Union es nicht erlauben, irgendeinen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Geldfonds herzustellen. So etwas gibt es also nicht, dass die Frage der Einwanderung als Voraussetzung bei der Beurteilung oder der Verteilung irgendeines Finanzfonds der Europäischen Union gestellt wird. Dieser Standpunkt, den Herr Präsident Juncker vertritt, ist also ein bestehenden Verträgen, Rechtsvorschriften entgegengesetzter Standpunkt, obwohl es im Lichte des jetzigen Gerichtsurteils nicht einmal unmöglich ist, dass er auch dies durchsetzen könnte, wenn wir an den Punkt gelangen, dass wir deshalb Gerichtsverfahren starten müssen. So ein Zusammenhang ist also illegal, in zweiter Linie ist er auch unmoralisch. Die Lage ist nämlich die, dass die reichen westeuropäischen Länder, die mit uns Mitglieder der EU sind, an uns verdienen, sie geben uns also kein Geld. Der Saldo ist nicht auf unserer Seite positiv, sondern auf der ihren, nun, sie verdienen an uns. Das Geld, das sie uns geben, ist eine bruchstückhafte Kompensation dafür, was für materielle Vorteile sie in der Kooperation mit uns erlangen. Zunächst einmal verrichten wir die gleiche Arbeit in ihren Fabriken in Ungarn für weniger Lohn als in Deutschland oder Frankreich. Für die gleiche Arbeit zahlen sie hier weniger Geld. Wenn ich Deutscher wäre und wenn ich es wagen würde, die Frage der Solidarität vorzubringen, dann würde ich vor Scham erröten, wo doch zugleich ein deutscher Arbeiter vier-fünf Mal soviel Geld für die gleiche Arbeit in der gleichen deutschen Fabrik wie ein Ungar bekommt, und ich es noch wagen würde, von Solidarität zu reden. Andererseits geben es die führenden europäischen Politiker ja auch selbst zu, dass ein ansehnlicher Teil der uns gegebenen Gelder über ihre Großfirmen in Wirklichkeit bei ihnen landet. Über was für eine Solidarität sprechen wir? Wie könnte man hier die Frage unserer Förderungsfonds mit irgendeiner anderen Frage verbinden? Es ist sinnvoller, wenn die EU über den Sinn dieser Finanzfonds denkt, dass wenn der Unterschied im Entwicklungsrad zwischen den Mitgliedsländern eine lange Zeit erhalten bleibt, dann verschlechtert das die Gesamtleistung der Europäischen Union, dies ist wahr. Aber diese regionalen Fördergelder erhalten die Länder, die unter dem Kommunismus gelitten hatten – wie sie sie übrigens früher auch die Spanier und auch die Griechen erhalten haben, die ebenfalls, allerdings aus anderen Gründen, vom Hauptstrom der europäischen Entwicklung abgeschnitten waren –, damit ihre Entwicklung das Niveau der alten Mitgliedsstaaten der Europäische Union erreichen oder sich diesem annähern soll, und dies uns allen gut tun soll, sowohl den alten als auch den neuen, über die Ankurbelung der Wirtschaft der Europäischen Union. Dies ist sowohl in ihrem als auch in unserem Interesse. In der gegenwärtigen Situation, in der wir gerade aufzuschließen beginnen, von ihrer Seite aus jedwede Solidarität zu erwähnen, jedwede politische Frage mit Finanzfragen zu verbinden, ist ganz einfach unmoralisch. Der hauptsächliche Verfechter, der Inquisitor dessen ist übrigens der Kandidat Herr Schulz, der gerade jetzt den Stuhl des deutschen Bundeskanzlers anvisiert, der sich anmaßt – dass ihm nicht der Bart aus dem Gesicht fliegt oder abbrennt –, der es wagt, als Deutscher darüber zu sprechen, dass er uns dann Gelder wegnehmen wird. Das ist Nonsens.

– Was ist der nächste Schritt? Wenn wir das Pflichtverletzungsverfahren in ähnlichen Themen betrachten, dann kann man im Großen und Ganzen dessen Ausgang voraussagen. Wahrscheinlich wird Ungarn zahlen müssen – oder was wird geschehen?

– Nein, die wirkliche Schlacht beginnt erst jetzt.

– Aber was bedeutet das in der Praxis?

– Also wenn wir jetzt von der Frage der Solidarität zur Frage des richterlichen Urteils zurückkehren, dann sehen wir folgendes: Das Urteil verpflichtet uns zu gar nichts. Dieses gerichtliche Verfahren diente der Entscheidung der Frage, ob die Entscheidung, mit der man in Brüssel verpflichtende Quoten geschaffen hat, unter rechtmäßigen Umständen getroffen wurde, ob sie nicht im Widerspruch zu irgendeiner übergeordneten Rechtsvorschrift der EU stand. Wir sagten, sie steht im Widerspruch, das habe ich hier vorhin auch ausgeführt, und sie haben gesagt, dem sei nicht so, und in dieser Angelegenheit hat ihnen das Gericht Recht gegeben. Jetzt sind wir an den Punkt angelangt, wie es denn um die Durchführung dieser ganzen Quotenangelegenheit steht, und hier ist die Lage – was auch Sie gesagt haben –, dass sie nicht vollstreckt wird. Also vollstrecken sie in der Europäischen Union nicht nur wir nicht, sondern auch andere nicht. Aber hier wird es eine Debatte darüber geben, ob die Kommission, ob die Institutionen der Europäischen Union wohl eine Entscheidung gefällt haben, die durchführbar ist, oder ob sie eine Entscheidung gefällt haben, die gar nicht durchgeführt werden kann. Meiner Ansicht nach kann man sie auch gar nicht durchführen. Als Antwort auf Ihre Frage, was jetzt folgen wird, würde ich dahingehend formulieren, dass wir bisher einen juristischen Kampf geführt haben, jetzt müssen wir an Stelle des juristischen Kampfes einen politischen Kampf führen, und wir müssen diese Entscheidung der EU ändern, und man muss die verschiedenen Organe der EU aussprechen lassen, dass jene Entscheidung, die sie zuvor gefällt haben, selbst wenn sie juristisch in Ordnung war, eines schlechte Entscheidung war, sie undurchführbar ist, die Mitgliedsstaaten wollen sie nicht und können sie auch nicht durchführen. Deshalb müssen wir erreichen, dass diese Entscheidung, dieser Beschluss über die obligatorische Quote zurückgezogen und verändert wird, und wir müssen verhindern, dass dieser einmalige Beschluss durch einen ständigen Mechanismus zur Verteilung der Migranten ersetzt wird. Das heißt, wir müssen den Plan der Brüsseler Leute von George Soros verhindern, jetzt folgt ein politischer Kampf, der zahlreiche Formen besitzt, und den wir mit ganzer Kraft ausfechten werden.

– Die Brüsseler Politiker haben im vergangenen Zeitraum im Zusammenhang mit den Polen gesagt, dass im Wesentlichen an dem Punkt, an dem die Polen einem Gerichtsurteil zuwider gehandelt haben, hätten sie damit, nun, im Grunde würden sie ihren Abschied aus der Europäischen Union vorbereiten. Von hier aus ist die ungarische innenpolitische Lage im Grunde nur einen Schritt entfernt. Im Übrigen sagen dies auch die Oppositionsparteien. Wenn also dieser Kampf, über den Sie sprechen, weitergeht, dann wird auch die Kommunikation in diese Richtung gehen, wie sie es bei den Polen tut, nämlich dass sie aus der Europäischen Union austreten wollen.

– Auch die Kommunikation ist interessant, und in der Politik ist sie oft auch eine wichtige Sache, aber sie überschreibt nicht die Wirklichkeit, an erster Stelle steht doch die Wirklichkeit. Die ungarische Wirklichkeit ist, dass die ungarischen Menschen im Rahmen einer Volksabstimmung darüber entschieden haben, dass wir der Europäischen Union beitreten sollen. Wir haben richtig entschieden. Dies kann durch keinerlei politische Entscheidung überschrieben werden. Eine Volksabstimmung hat hierüber entschieden, also kann keine einzige Regierung Ungarn austreten lassen, denn das ungarische Volk hat es so entschieden, dass es in der EU sein will, und dies ist auch gut so.

– Unsere Zeit ist abgelaufen. Sie hörten in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsidenten Viktor Orbán.

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via miniszterelnok.hu, Foto: Tibor Illyés – MTI