Was Institutionen und EU-Länder jedoch in Anbetracht der angeblich prekären Lage der LGBTQ-Menschen in Ungarn anprangern, scheint in der Realität nur Anfeindungen ohne Belege zu sein.Weiterlesen
Westliche Diplomaten unterstützten den diesjährigen Pride-Marsch in Temeswar (Rumänien)
Die rumänische Botschaft in Budapest hat eine gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der LGBTQ-Gemeinschaft in Ungarn unterzeichnet, die am Samstag den Pride-Marsch in der Haupstadt organisiert hat.
Die Europäer, denen die „Gnade der späten Geburt“ zuteil wurde, kennen die Hintergründe der Einstimmigkeit in politischem Zusammenhang höchstens aus Hörensagen und denken sich möglicherweise nichts dabei, wenn der Widerspruch oder Stimmenthaltung ausbleibt. Wer hingegen einen Teil seines Lebens im früheren Ostblock verbracht hat, reagiert misstrauisch auf jede Art von lückenloser Geschlossenheit, selbst dann, wenn es sich nicht um heikle Angelegenheiten, wie etwa die Situation der sexuellen Minderheiten, handelt. Zeitzeugen des Kommunismus wissen nämlich allzu gut, wie damals politische Vorbehalte oder gar Einwände gehandhabt und einstimmige Beschlüsse durchgesetzt wurden.
Die gemeinsame Erklärung der Budapester Botschaften europäischer Länder, die ihre Solidarität gegenüber der angeblich drangsalierten LGBTQ-Gemeinschaft in Ungarn bekunden, zeugt von einer Einmütigkeit, die an längst vergangene Zeiten erinnert. Die Tatsache, dass dieses Dokument von der US-Botschaft veröffentlicht wurde, dürfte kein Zufall sein und spiegelt den Anspruch der Biden-Regierung, der US-amerikanischen Hegemonie auch in weltanschaulichen Fragen Geltung zu verschaffen, wider.
Die Tatsache, dass nur Polen unter den EU-Mitgliedsländern und Serbien unter den Nachbarländern Ungarns im europäischen Chor stumm geblieben sind, überrascht wenig. In Anbetracht der ideologischen Nähe der Budapester Regierung zu Warschau und Belgrad, war diese Reaktion nur folgerichtig. Dass Rumänien den Chor der Besorgten stärkt, wirft hingegen manche Fragen auf.
Es ist das erste Mal, dass Rumänien eine solche Erklärung unterzeichnet und zwar klammheimlich. Die rumänische Öffentlichkeit, die in ihrer überwiegenden Mehrheit wertkonservativ geprägt ist, wurde vor vollendeten Tatsachen gestellt. Das rumänische Außenministerium überschritt eine rote Linie, so die Wahrnehmung nicht nur der „Allianz für die Vereinigung der Rumänen“ (AUR), der nationalistischen Partei, die derzeit in der Wählergunst mit 22 Prozent den zweiten Platz belegt. In allen Umfragen überwiegt der Anteil derer, die eine vorbehaltlose Übernahme der LGBTQ-Agenda kritisch sehen.
Während Polen, ein Verbündeter der USA, diese Erklärung, die es belastet hätte, nicht unterzeichnet hat, hat Rumänien einen Text unterzeichnet, in dem es sich selbst belastet“,
heißt es in einer Erklärung der AUR.
„So haben die rumänischen Abgeordneten einen Text unterzeichnet, der die Mehrheit derer belastet, die sie zu vertreten vorgeben, denn alle soziologischen Untersuchungen zeigen, dass die Rumänen die Ehe zwischen Mann und Frau befürworten und dass ein Kind nur eine Mutter und einen Vater haben kann, nicht aber eine andere Kombination“, so die AUR.
Bezeichnenderweise fehlen die Stellungnahmen der beiden Regierungsparteien, die am 27. April im Senat – mit den Stimmen der damals mitregierenden ungarischen Partei RMDSZ (UDMR) – eine Änderung des Gesetzes Nr. 272/2004 über den Schutz und die Förderung der Rechte des Kindes durchgesetzt haben, um „Kinder vor der Verbreitung von Inhalten über die Abweichung von dem bei der Geburt festgelegten Geschlecht oder der Popularisierung von Geschlechtsumwandlung oder Homosexualität“ zu schützen.
Nun, Prinzipientreue und Folgerichtigkeit waren nie Stärken der rumänischen Politik. Eine derart dramatische Kehrtwende in der Einschätzung der LGBTQ-Agenda überrascht aber selbst die nachsichtigsten Beobachter der Bukarester Politszene.
Ein Vergleich der Situation sexueller Minderheiten in den beiden Nachbarländern lässt weitere Fragen hinsichtlich der moralischen Legitimation Rumäniens aufkommen, Ungarn in diesem sensiblen Bereich die Leviten zu lesen.
Von Morddrohungen gegen Teilnehmer des Bukarester Pride Marsches und in die Menge geworfene Gasbomben während des Abschlusskonzerts des Pride-Festivals ist im ILGA-Bericht 2023 die Rede.
Nichts dergleichen in Ungarn.
Die rumänische Zivilgesellschaft führt diese Gewaltakten – wie könnte es anders sein, Ungarn muss ja auch im Nachbarland als Prügelknabe herhalten – auf Viktor Orbáns „fremdenfeindliche, antieuropäische und Anti-LGBT-Rede“ von Bad Tuschnad (Băile Tușnad) im August 2022 zurück, so der ILGA-Bericht. Wenn keine Gewalt gegen LGBTQ-Personen in Ungarn belegt werden kann, muss nicht nur im östlichen Nachbarland, sondern in ganz Europa die ungarische Regierung für Ausschreitungen gegen Mitglieder sexueller Minderheiten geradestehen.
„Die ungarische Karte werde immer wieder aus dem Ärmel gezogen, um (.) jede konstruktive Politik in den Schatten zu stellen“, sagte der siebenbürgisch-ungarische Politiker Tibor T. Toró vorgestern bei der Sommeruniversität in Bad Tuschnad. Wenn es eine Konstante in der rumänischen Politik gibt, dann ist diese mit Sicherheit die „ungarische Karte“. Man reibt sich am Nachbarland, anstatt sich dort zu kratzen, wo es juckt.
Beitragsbild: British Embassy Bucharest