"János Martonyi war Ungarns talentiertester Außenminister der postkommunistischen Ära."Weiterlesen
Die früheste allegorische Europakarte in Form einer Königin wird einem Tiroler Humanisten und Dichter mit Beziehungen zu Ungarn zugeschrieben. Johannes Putsch‘ Darstellung überrascht mit heute noch gültigen geopolitischen Einsichten.
Johannes Putsch wurde 1516 in Innsbruck geboren und starb 1542 in Gran (Esztergom). Er war königlicher Berater von Ferdinand I., sein Privatsekretär, der ihn auf seinen Feldzügen in Ungarn begleitete. Seine erhaltenen Schriften werden in Innsbruck aufbewahrt, darunter die auf Ungarn bezogenen „Europa lamentans“, „Danubius“ und „Transsylvania“.
Die türkische Bedrohung und der zwei Jahrzehnte währende Kampf um die Vorherrschaft in Ungarn zwischen seinem Dienstherrn und dem „nationalen“, erwählten König Johann Zápolya machten ihn zu einem überzeugten Pazifisten.
Seine Europa-Darstellung und die dazugehörige Klage („Europa lamentans“) sind eng miteinander verbunden. Die allegorische Karte schenkt den Ländern der beiden Habsburger besondere Aufmerksamkeit. Spanien ist der Kopf der Königin, Afrika zu- und Britannien abgewandt. Osteuropa ist der untere Teil des Körpers, wobei Russland den „Sockel“ bildet. Der Rumpf selbst ist Mittel- und Westeuropa. Die rechte Hand (Italien, das den Katholizismus verkörpert) hält den Reichsapfel, die linke (Dänemark, das hier die protestantische Welt repräsentiert) trägt das Zepter.
Unser Kontinent befindet sich wieder einmal im Krieg. Die kompromisslosen Verfechter des transatlantischen Bündnisses haben den östlichen Nachbar, der bis vor Kurzem das fragile geopolitische Gleichgewicht des Kontinents garantierte, bereits abgeschrieben und wollen alle Beziehungen kappen.
Das Europa von Johannes Putsch ragt mit dem Kopf in den Atlantik, stützt sich aber mit den Füßen immer noch auf Russland. Der ungarische Außen- und Handelsminister betont immer wieder, dass die Weltwirtschaft in den letzten Jahren „auf den Kopf gestellt“ wurde und das Wachstumsmodell in Europa, das auf einer Kombination aus fortschrittlichen westlichen Technologien und billigen östlichen (sprich: russischen) Rohstoffen beruhte, verloren gegangen ist.
Wer Péter Szijjártó – aus welchen Gründen immer – nicht traut, der sei auf einen unverdächtigen Zeugen der transatlantischen Bündnistreue verwiesen. Am Mittwoch sprach Mario Draghi auf einer Konferenz der Financial Times und war sich des Ernstes der Lage bewusst. “Das geopolitische und wirtschaftliche Modell, auf das sich Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gestützt hat, ist vorbei“, sagte er.
Das Europa, das von den USA verteidigt, von Russland mit Energie versorgt und von China im Handel beflügelt wird, gibt es nicht mehr,
fügte er hinzu. Es muss sich auf sich selbst verlassen, und was die wirtschaftliche Seite der Herausforderung angeht, betonte er: „Die europäische Wirtschaft hat in den letzten zwanzig Jahren oder mehr nicht nur gegenüber den USA, sondern auch gegenüber Japan, Südkorea und natürlich China an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Es gibt eine Menge zu tun“.
Ob es eine kluge Entscheidung war, den sicheren Boden unter den Füßen zu verlassen, d.h. die Beziehungen zu Russland und China auf Eis zu legen bzw. zurückzufahren, um bei den amerikanischen „Partnern“ zu punkten? Europa ist längst keine „Königin“ mehr, sein tatsächliches geopolitisches Gewicht verlangt eine bodenständige, realistische Politik, die nicht nur die viel beschworenen Kommunikationskanäle, sondern auch die Türen zu den früheren Partnern offen hält.
Gleichzeitig gibt es eine weitere Bruchlinie, über die seit dem Krieg wenig gesprochen wird, die aber weiterhin zwei gesellschaftliche und politische Modelle trennt:
Die Regelhaftigkeit des protestantisch geprägten Nordens und die Improvisation des katholisch gefärbten Südens. Für den katholischen Tiroler Humanisten sind die beiden Ansätze gleich wichtig. Sobald der Krieg im Osten des Kontinents vorbei ist, der die Europäische Union – bis auf den ungarischen (und neuerdings slowakischen) „Störenfried“ – scheinbar vereint hat, werden die Spannungen zwischen den nördlichen und den südlichen Mitgliedsländern erneut sichtbar. Darauf muss man sich gefasst machen. Für den katholischen Tiroler Humanisten waren die beiden Modelle gleichberechtigt. Den politischen Frieden Europas sah er nämlich nur gewährleistet, wenn die beiden Ansätze, so legt zumindest seine allegorische Landkarte nahe, gleichberechtigt existieren dürfen.
Menenius Agrippas antikes Gleichnis vom Streit des Magens und der Glieder ist vielleicht noch heute aktuell, ebenso wie das Streben nach einer friedlichen Lösung für Europa, das ein Tiroler Humanist mit ungarischem Bezug in einer allegorischen Landkarte veranschaulicht hat. „Kerneuropa“ (der Magen) darf nämlich nicht vergessen, das es der Glieder (Länder, der eine weitere Integration ablehnen) und nicht zuletzt der Nahrung (Rohstoffe und Energie) bedarf, um fortbestehen zu können.
Beitragsbild: Museum Retz Facebook