Ungarn war das erste Land mit einem Museum, das die beiden totalitären Diktaturen einander gegenüberstellt.Weiterlesen
Ein deutscher Panzer bei der Fischerbastei in der Budaer Burg 1944
Der deutsche Einmarsch in Ungarn vor achtzig Jahren war unvermeidlich, hieß es am Montag auf einer Konferenz zum Jahrestag in Budapest.
Der Historiker Sándor Szakály, Generaldirektor des Historischen Forschungsinstituts und Archivs VERITAS am Mathias Corvinus Collegium (MCC), bezeichnete auf der Veranstaltung die ungarische Revisionspolitik zwischen 1938 und 1941 als Erfolgsgeschichte: Es wäre politischer Selbstmord gewesen, wenn Ungarn die territorialen Expansionsmöglichkeiten dieser Zeit nicht genutzt hätte, aber gleichzeitig führte sie zu einer totalen Bindung an Deutschland, und die ungarische Außenpolitik musste fortan einen Zwangskurs fahren, der Handlungsspielraum wurde erheblich eingeschränkt. Nach dem Desaster der Zweiten Ungarischen Armee am Don versuchte die ungarische Führung jedoch, sich an den westlichen Verbündeten, vor allem an den Briten, zu wenden, wobei der 1943 ernannte Ministerpräsident Miklós Kállay die wichtigste Rolle spielte, was für die deutsche Führung inakzeptabel war, fügt er hinzu.
Mit der Besetzung Ungarns, die in den späten Abendstunden des 18. März 1944 begann, wollten die Deutschen neben der Entlassung Kállays auch eine „Lösung der Judenfrage“ erreichen, da die rund 800.000 Juden in Ungarn, wie der Generaldirektor es formulierte, bis dahin trotz der bereits geltenden Judengesetze in Sicherheit leben konnten und in ihrer Existenz nicht bedroht waren. Nach der Okkupation habe man aber fast sofort mit dem Zusammentreiben und der Deportation der Juden außerhalb von Budapest begonnen.
Einer der Hauptgründe für die Besetzung war, dass die Deutschen das Gefühl hatten, Ungarn würde sich nicht voll und ganz auf ihrer Seite am Krieg beteiligen,
so Sándor Szakály.
Der Generaldirektor sagte, dass es bereits bis zum 15. März – der Historiker bezog sich auf die damals stattfindenden Militärübungen – Anzeichen dafür gab, dass der Einmarsch stattfinden könnte, dass er aber erst bei dem Treffen zwischen Hitler und Miklós Horthy am 18. März in Klessheim endgültig beschlossen wurde. Der Reichsverweser zögerte lange zu dieser Unterredung hinzugehen und auch Regierungschef Kállay war dagegen.
Es gab keine Chance auf bewaffneten Widerstand und es war aussichtslos, den Deutschen die Besetzung auszureden,
betonte der Generaldirektor.
Laut Pál Pritz, einem Historiker der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA), hatte sich Ungarn schließlich auf die Seite der Deutschen geschlagen, als es 1940 dem so genannten Dreierpakt beitrat.
Die ungarische Außenpolitik hat damals versucht, dem Westen durch die im Rahmen der friedlichen Revision akzeptierten Gebietszuwächse zu vermitteln, dass damit die seit dem Ersten Weltkrieg in Mitteleuropa bestehenden Konflikte gelöst werden könnten, es handelt sich also im Wesentlichen um eine Art dialektischen Ansatz in den Beziehungen, betonte er.
Auf die Frage, ob Horthy nach der Besetzung als Reichsverweser hätte zurücktreten sollen, sagte Sándor Szakály, dass das, was im Oktober 1944 geschah – der Historiker bezog sich auf die Machtübernahme der ungarischen Nazis, der Pfeilkreuzler – viel früher geschehen wäre.
Es ist Horthy zu verdanken, dass ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung in und um die Hauptstadt gerettet werden konnte,
und paradoxerweise sind es heute diejenigen, deren Eltern und Großeltern ihr Leben zum großen Teil dem Gouverneur verdankten, die ihn am stärksten kritisieren, fügte er hinzu.
Auf die Frage, ob Ungarn angesichts der deutschen Invasion mit westlicher Hilfe rechnen konnte, antwortete Sándor Szakály, dass die Amerikaner und die Briten nur wenige Informationen über Ungarn hatten und dass die Landung der Alliierten in der Normandie bereits beschlossen war, so dass sie kein Interesse daran hatten, die Deutschen an der Invasion Ungarns zu hindern, da sie dadurch erhebliche Truppenressourcen in Mitteleuropa gebunden hatten.
Die beiden Historiker waren sich einig, dass das Schicksal Ungarns bereits auf der Konferenz von Teheran 1943 entschieden worden war,
als der Wille von US-Präsident Roosevelt und des sowjetischen Führers Stalin fast ausschließlich vorherrschte und der britische Premierminister Churchill nur eine drittrangige Rolle spielte. Hier wurden die Interessensphären endgültig festgelegt, an die sich die Siegermächte dann bis zur Zeit der politischen Wende in Mitteleuropa hielten.
Nach Ansicht von Pál Pritz wäre Horthy später anders wahrgenommen worden, wenn er während der deutschen Besatzung zurückgetreten wäre und sich auf sein Landgut Kenderes zurückgezogen hätte. Er fügte hinzu, dass es ein Fehler sei, die Zeit zwischen 1920 und 1944 als Horthy-Regime zu bezeichnen, da es sich eher um ein autoritäres System gehandelt habe, das von István Bethlen mit begrenztem Parlamentarismus im Geiste eines Liberalismus errichtet worden sei, der damals die „Schwester des Nationalismus“ gewesen sei und im krassen Gegensatz zum heutigen Neoliberalismus stehe. Pál Pritz bezeichnete diese Zeit als eine Ära des Extremismus, auch im globalen Maßstab.
Der Absprungversuch im Oktober 1944 gipfelte nach den Worten von Pál Pritz in einer Tragikomödie, und die beiden Historiker waren sich einig, dass der sowjetische Einmarsch 1945 auch eine Okkupation war, die das Land gleichzeitig von einer anderen, der deutschen Okkupation befreite und für die Juden bzw. für die ungarische Linke tatsächlich eine Art Befreiung bedeuten konnte.
Auf der Konferenz, die von dem Historiker Máté Gali moderiert wurde, vertraten die Historiker die Auffassung, dass der Schwerpunkt eher auf der Geschichtspolitik als auf der Erinnerungspolitik liegen sollte und dass die Ereignisse von vor 80 Jahren die militärische Niederlage Ungarns durch den Einmarsch und die Besetzung durch eine fremde Macht darstellten, die zwar unvermeidlich war, deren Auswirkungen aber vielleicht hätten abgemildert werden können.
Via MTI Beitragsbild: Fortepan