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Das Haus der Europäischen Geschichte (House of European History, HEH) in Brüssel wurde 2017 auf Initiative des Europäischen Parlaments eröffnet. Es sollte ein Zeugnis unserer gemeinsamen europäischen Kultur und Errungenschaften sein. Doch es ist zum „Propagandamuseum der EU“ geworden, schreibt die ungarische Museologin und Autorin Katalin Deme, Senior Research Fellow am von Ungarn finanzierten MCC Brüssel.
Das im Herzen Brüssels gelegene Haus der Europäischen Geschichte ist eines der umstrittensten Projekte der Europäischen Union zur Erinnerungskultur, das zu einem Lackmustest dafür geworden ist, wie wir eine vermeintliche europäische Geschichte und Identität definieren. Die aktuelle Dauerausstellung des HEH ist das Ergebnis mehrjähriger intensiver Debatten zwischen Historikern mit unterschiedlichen politischen und philosophischen Hintergründen. Als solches ist sie ein sorgfältig durchdachter Kompromiss, der im Prinzip Besucher aus allen Mitgliedstaaten aufnehmen und ihnen ermöglichen sollte, sich in „ihrem“ Haus der europäischen Geschichte zu Hause zu fühlen.
Seit seiner Eröffnung im Jahr 2017 ist das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel eine Büchse der Pandora für Debatten, die von den astronomischen Kosten des Gebäudes bis hin zu verschiedenen historischen, konzeptionellen und didaktischen Fragen reichen. Von Anfang an haben kritische Historiker nicht nur das HEH, sondern auch sich gegenseitig ins Visier genommen. So empfanden besorgte osteuropäische Historiker die historischen Traumata und Erfahrungen ihrer Region als trivialisiert oder falsch interpretiert, während
westeuropäische Historiker glaubten, das HEH sei vom liberalen Kanon der europäischen Geschichte abgewichen und somit „osteuropäisiert“ worden.
In der Zwischenzeit kämpften die Erinnerungen an den Holocaust und den Stalinismus wie zwei Geister, die sich weigerten, in ihre Flaschen zurückzukehren, um ihren Platz im Ausstellungskonzept, während im Hintergrund nationale und europäische Perspektiven der Erzählung heftig aufeinanderprallten. Man könnte sich lange über die Bruchlinien dieser Debatten auslassen, aber der Preis dafür wäre, die Aufmerksamkeit von dem grundlegenden Dilemma abzulenken, das das HEH-Phänomen umgibt.
Analysen, die sich auf die verschiedenen Ambiguitäten der Ausstellung konzentrieren, haben einen zentralen Punkt übersehen: dass das HEH nämlich kein bahnbrechendes Experiment ist, sondern der Höhepunkt eines schrittweisen Wandels in unserem Umgang mit Geschichte seit dem Ende des Kalten Krieges. Aus institutioneller Sicht wurde dieser neue Ansatz durch die Umwandlung traditioneller Geschichtsmuseen in sogenannte „Häuser der Geschichte“ auf nationaler oder europäischer Ebene erreicht.
Der entscheidende Paradigmenwechsel, den das HEH mit sich brachte, bestand darin, aus den fragmentierten und oft widersprüchlichen nationalen Erzählungen der 27 Mitgliedstaaten eine einheitliche europäische Geschichte zu schaffen. Der Kompromiss wurde über ein Jahrzehnt hinweg durch die Zusammenarbeit von Museumsexperten und verschiedenen politischen Akteuren in ganz Europa erzielt. Dies konnte nur erreicht werden, indem die scharfen akademischen Debatten über Geschichte zu einer konsensorientierten interpretativen Debatte abgestumpft wurden, die die Dominanz einer bestimmten Doktrin vermeidet. Dieser Kompromiss schuf einen Präzedenzfall für zukünftige groß angelegte Projekte der Erinnerungskultur, die den kontroversen Kern der Geschichte entfernen und durch eine leichter verdauliche, für alle akzeptable Erzählung ersetzen würden.
Der architektonische Rahmen der Ausstellung mit seinem grandiosen Gebäude aus den 1930er Jahren im Herzen des Europaviertels drückt die Bedeutung der Botschaft aus, die sie vermitteln soll. Gläserne Aufzüge bringen die Gäste auf und ab in verschiedene historische Epochen und erzeugen so die Illusion einer Science-Fiction-Zeitreise. Besucher jeden Alters – aber vor allem Studenten und viele Familien mit Kindern – genießen die Reise. Die Jüngeren laufen mit Notizbüchern herum, diskutieren die Ausstellung in Gruppen und folgen dabei offensichtlich einem pädagogischen Plan, der das Lösen von Aufgaben beinhaltet. Sie haben Spaß, denn die Ausstellung ist an die Bedürfnisse der digitalen Generation angepasst.
Europäische Geschichte und Identität werden ihnen als ein erstaunliches Puzzle, ein Schmelztiegel von Nationen und Kulturen, durch eine emotional einbeziehende Darstellung ihrer Tragödien und Errungenschaften, aber vor allem ihrer Kämpfe für Freiheit präsentiert.
Der Ausgangspunkt des Besuchs ist immer entscheidend, wie eine Art Visitenkarte, die die Identität des Hauses markiert. Der Vorraum zu den Ausstellungen, in dem mehrsprachige Audioguides verteilt werden, ist mit Wandgemälden des international bekannten rumänischen Künstlers Dan Perjovschi geschmückt. Hier sieht man Symbole, die Umweltschutz, Menschenrechte und Demokratie evozieren, Erinnerungen an die Pandemien oder den Ukraine-Krieg, aber auch Einwürfe politisch korrekter Ironie über „gutes“ Öl und „schlechtes“ Öl oder „gute“ Waffen und „schlechte“ Waffen. Diese grafische Eingangs Gestaltung ist ungefähr so anregend wie ein ständiger BBC-Nachrichtenkanal, aber sie erfüllt durchaus ihren Zweck, den Ton des Besuchs zu bestimmen.
Ungeachtet dieser eher oberflächlichen grafischen Ouvertüre werden die Besucher beim Betreten des Ausstellungsraumes sofort mit grundlegenden philosophischen Fragen konfrontiert, die Denker mindestens seit dem Zeitalter der Aufklärung beschäftigt haben. Was ist Europa? Was bedeutet es, Europäer zu sein? Was ist europäische Geschichte? Es sind epochale Dilemmata, die heute eher politisch als philosophisch erscheinen.
Die Dauerausstellung sollte auf drei grundlegenden Elementen basieren: der Erinnerung an die europäische Geschichte, der Geschichte der europäischen Integration (bis zum Brexit) und ihren Auswirkungen auf die Herausbildung einer vermeintlichen europäischen Identität. Die sechsstöckige interaktive audiovisuelle Ausstellung versucht, diese Fragen universell zu beantworten und lädt die Besucher zum Mitdenken ein. Das aktive Mitdenken des Besuchers wird jedoch in der Praxis von vornherein gehemmt.
Angesichts des supranationalen und säkularen Rahmens der Ausstellung ist es nicht verwunderlich, dass sie sowohl die nationale Perspektive der Geschichte als auch die Religion in den Hintergrund rückt.
Das Ausmaß dessen wird durch eine Suche im Online-Katalog des HEH deutlich, der ein Verständnis der konzeptionellen Kriterien der Sammlung vermittelt – eine Kernidentität jedes Museums.
Eine Suche nach den Begriffen „Nationalismus“ und „Nation“ sowie „Religion“ und „Christentum“ ergibt 83 bzw. sieben Treffer. Die Datenbank Nation/Nationalismus enthält hauptsächlich moderne oder zeitgenössische Objekte, darunter das Brexit-Abzeichen oder das Symbol der norwegischen „Nei til EU“-Bewegung – was EU-Skepsis mit Nationalismus gleichsetzt. Die Datenbank Religion/Christentum ist überraschend dürftig, mit nur sechs bis acht Objekten, die meist Kritik an der Religion oder der Reformation zum Gegenstand haben, aber es gibt auch einen gelben Davidstern, der eindeutig auf den historischen Antisemitismus der Kirche verweist.
Als untrennbarer Hintergrund der sichtbaren Ausstellung offenbart die Sammlungsdatenbank die kuratorischen Strategien des Hauses. Ihre Struktur und Taxonomie zeigen deutlich die Themenschwerpunkte des HEH, zu denen nationale Geschichten und Religion offensichtlich nicht gehören.
Die beiden oberen Stockwerke bilden den Höhepunkt der Erzählung des HEH und seiner Vision von europäischer Geschichte, Erinnerung und Identität. Hier betreten wir einen neuen Raum des Lichts und der Klarheit – im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Gestalter scheinen sich inzwischen daran erinnert zu haben, Glühbirnen zu installieren. Die Museumsreise führt also buchstäblich von der schattenhaften langen Geburt der europäischen Geschichte und Identität zu ihrer erleuchteten Entfaltung, die offensichtlich mit der Gründungszeit der EU beginnt. In diesem letzten Abschnitt werden die Meilensteine der europäischen gesellschaftlichen Transformation und Integration, die Hauptakteure der EU und die Gesetzgebungsprozesse vorgestellt. Auf Dunkelheit folgt Licht, und auf Licht Dunkelheit in einer theatralisch inszenierten großen Erzählung..
Erinnert das Ende des Besuchs im HEH an das „Ende der Geschichte“, wie in Francis Fukuyamas Vorhersage? Wenn nicht, dann offenbart es vielleicht das Verschwinden des traditionellen Geschichtsmuseums mit einem autoritativen Narrativ, das in der wissenschaftlichen Forschung begründet ist, um die Integrität seiner Interpretation zu gewährleisten.
Im Kern besteht die konzeptionelle Falle sowohl des HEH als auch ähnlicher Erinnerungsinstitutionen darin, dass sie Geschichte als ein zu lösendes Problem betrachten und nicht als eine faszinierende Komplexität, von der es sich zu lernen lohnt.
Seltsamerweise wird dem HEH als kulturellem Förderer der Föderalisierungsagenda der EU manchmal eine „paneuropäische“ Vision der Geschichte zugeschrieben, die auf das Reich Karls des Großen oder sogar auf das Römische Reich zurückführt.
Die Annahme ist ambivalent. Das heutige Europa als Erbe einer der glorreichsten Mächte der Welt, als Vorreiter der sozialen Gerechtigkeit zu bezeichnen und gleichzeitig seine Vergangenheit als eine apologetische Einheit zu definieren, die therapeutisch angegangen werden muss, ist, gelinde gesagt, ein doppelter Widerspruch. Die Wahrheit ist vielmehr, dass die elitäre und apologetische Ausrichtung der Häuser der Geschichte, sei es auf nationaler oder europäischer Ebene, dazu beiträgt, dass Europa in eine Identitätskrise und in den Hass auf seine eigene Geschichte stürzt. Tatsächlich stellt die Entstehung dieser „Häuser der Geschichte“ ein völlig neues Modell für Geschichtsmuseen im Westen dar. Indem sie „die Erzählung“ der Geschichte in den Mittelpunkt ihrer Mission stellen (anstatt z. B. Objekte aus der Vergangenheit), versuchen sie, eine entscheidende neue Idee der westlichen Geschichte zu vermitteln. Solche „Häuser“ werden zu intellektuellen „sicheren Räumen“ für die Vorstellung der Nachkriegseliten von Geschichte.
🚨New publication!
Our new report explores how Brussels‘ House of European History transforms the past into a supranational, therapeutic narrative.
What does this mean for Europe’s identity crisis? 🧵👇 pic.twitter.com/PpmwChADLu
— MCC Brussels (@MCC_Brussels) January 8, 2025
Wäre es nicht das beste Szenario für das HEH, sein erstes Ausstellungskonzept aufzugeben und es in die Geschichte der EU von der ersten paneuropäischen Vision im Jahr 1920 bis zur Gegenwart zu verwandeln? Dies hätte den Vorteil, dass man nicht versuchen würde, Geschichte rückwärts zu lesen – und so der Versuchung aus dem Weg ginge zu sagen, dass alles in der europäischen Geschichte immer dazu bestimmt war, in der postpolitischen „Utopie“ der EU zu enden.
Aber eine solche Änderung ist höchst unwahrscheinlich. Das Haus der Europäischen Geschichte ist zu einem wichtigen Bestandteil des Legitimationsnarrativs der EU geworden. Solange wir die Idee nicht politisch besiegen, dass die einzige Lösung für die Fragen, die die Geschichte den europäischen Völkern stellt, in einer weiteren europäischen Integration besteht, wird das Haus ein wichtiger Bestandteil des Propagandanarrativs der EU bleiben.
Beitragsbild: Wikipedia