Die ungarischen Medien berichteten ausführlich über das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September 2017. Besonders thematisiert wurden Auswirkungen der Wahl auf Ungarn und vor allem die politischen Konsequenzen der Flüchtlingskrise. Führende ungarische Politiker kommentierten zeitnah die Ergebnisse. Politische Reaktionen und ungarische Presseschau von dem Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ungarn:
Politische Reaktionen
Noch in der Wahlnacht äußerte sich Ministerpräsident Viktor Orbán in einem zweisprachigen Post auf Facebook: „Budapest gratuliert“. Am Montag gratulierte Viktor Orbán sowohl der CDU-Bundesvorsitzenden Dr. Angela Merkel, als auch dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer in einem Brief und hob hervor, „dass die europäischen Bürger für eine Politik auf konservativer Basis stehen, die für sie Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität garantiert.“ Ferner sprach er die Hoffnung für eine Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer Werte aus, im Interesse der Fortentwicklung der deutsch-ungarischen Beziehungen und der Lösung der europäischen Herausforderungen. Bei dem CSU-Vorsitzenden bedankte sich Orbán für die bisherige gute Zusammenarbeit und wünschte viel Erfolg für das „erneute Zusammenschweißen des bürgerlichen Lagers entlang der gemeinsamen Werte“. Der ungarische Ministerpräsident erklärte bereits im Frühsommer vor Anhängern, für den Wahlsieg von Angela Merkel „zu beten“. Am Freitag vor der Wahl wiederholte er, dass ein Sieg von Bundeskanzlerin Merkel im ungarischen Interesse sei.
Der neugewählte Fraktionsvorsitzende von Fidesz, Gergely Gulyás, der sich zum Wahlabend in Berlin aufhielt, teilte mit, dass mit der AfD und der FDP 25% der Wähler in der Migrationspolitik rechts von den Unionsparteien stehende politische Kräfte gewählt hätten. Er hält in der deutschen Migrationspolitik eine 180-Grad-Wende für erforderlich, nachdem 120 Grad bereits absolviert worden seien.
Die Ungarische Sozialistische Partei gratulierte Angela Merkel, die sich für ein vereintes, starkes und demokratisches Europa einsetze. Die linke Demokratische Koalition bewertete den Sieg von Angela Merkel als ein Ausbleiben der von Viktor Orbán in ganz Europa prophezeiten Auflehnung. Die Grünen und die Liberalen gratulierten jeweils ihren Schwesterparteien zu den guten Ergebnissen. Der stellv. Jobbik-Fraktionsvorsitzende Márton Gyöngyösi machte die Bundeskanzlerin und ihre Rolle in der Flüchtlingskrise für das Erstarken von AfD und FDP verantwortlich. Er erklärte, dass die FDP in gesellschaftspolitischen Fragen eine konservativere Partei sei als die CDU und er stellte die Kritik der FDP an Merkels Flüchtlingspolitik heraus.
Reaktionen der Printmedien
Die auflagenstärkste, linksorientierte Zeitung Népszava titelte „Politisches Erdbeben“ und hob hervor, dass gerade die CDU/CSU die meisten Stimmeneinbußen zu verzeichnen hätten. Das gute Abschneiden der AfD wurde als eine schlechte Nachricht für Europa bezeichnet.
Die regierungskritische, konservative Magyar Nemzet berichtete objektiv über die Bundestagswahlen und befragte mit Zoltán Kiszelly auch einen ausgewiesenen Deutschlandexperten. Kiszelly zufolge sei die CDU unter Angela Merkel nach links gerückt, viele enttäuschte Unionswähler hätten die AfD gewählt. Zudem plagten viele Deutsche Abstiegs- und Verarmungsängste, die der Alternative für Deutschland Wählerstimmen gebracht hätten. Sowohl die FDP, als auch die AfD würden die Vorschläge von Macron für eine gemeinsame Fiskalpolitik ablehnen, so Kiszelly. Der Leitartikel der Zeitung wurde von Gábor Stier geschrieben, einem erfahrenen außenpolitischen Redakteur. Er erinnerte an die historischen Leistungen von Angela Merkel, die nicht nur als erste Frau und erste Ostdeutsche Kanzlerin geworden sei, sondern es ihr mit der Wahl 2017 nun offen stehe, so lange wie Adenauer oder Kohl das Land zu führen. Stier fasste den politischen Lebensweg Merkels kurz zusammen und kommt zur Erkenntnis, dass die Deutschen alles in allem in Merkel eine Garantin für Stabilität sehen, die guten wirtschaftlichen Ergebnisse sprächen für sich. Das Abschneiden von AfD und den Linken deute aber auf gesellschaftliche Unzufriedenheit hin, diese dürfe aber nicht überinterpretiert werden, so Stier. Ein großer Umschwung stelle sich noch nicht ein, da Merkel sich auf die breite Basis der Mittelklasse stützen könne. Der Redakteur hob hervor, dass die Bundeskanzlerin, im Gegensatz zu Adenauer und Kohl, noch keine großen historischen Leistungen auf internationaler Bühne vollbracht hätte. Schließlich betonte der Autor, dass die ungarische Regierung sich freuen könne, da ihr von Merkel noch am ehesten Verständnis entgegengebracht werde.
Die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Idők berichtete über die Wahlergebnisse und befragte mit György Nógrádi einen Kenner der deutschen Politik. Er betonte die Bedeutung guter deutscher-ungarischer Beziehungen. Führende deutschsprachige Vertreter der Regierungsparteien, wie etwa Humanressourcenminister Zoltán Balog oder der Fraktionsvorsitzende Gergely Gulyás, müssten diesbezüglich große Aufgaben bewältigen, so Nógrádi. „Leitkultur“ lautete die Überschrift des Leitartikels von Zoltán Kottász. Deutschland hätte mit seiner Wirtschaftsmacht Europa erobert und unser aller Schicksal hänge von einer Person ab: Angela Merkel. Kottász betonte, dass es in Deutschland keine Proteststimmung gebe und auch das Scheitern der Willkommenskultur nicht die Bevölkerung gegen die Regierung aufgebracht hätte. Im Grunde genommen sei es eigentlich egal, wer Deutschland regiere, denn Merkel, Schulz, Schäuble oder Seehofer würden mit demselben Pragmatismus deutsche Interessen vertreten. Deutschland gehe auf dem Weg des kühlen Pragmatismus auch nach den Wahlen voran, die Europäer könnten nur hoffen, dass nicht nur deutsche, sondern auch europäische Interessen beachtet würden, so der Artikel zum Schluss.
Die ebenfalls der Regierung nahestehende Zeitung Magyar Hírlap titelte: „Merkel gewinnt, ist aber stark geschwächt“ und schilderte vor allem die historische Niederlage der SPD. Im Übrigen berichtete das Blatt sachlich und verzichtete auf einen Leitartikel oder einen Kommentar.
Reaktionen der Onlinemedien
Das größte Nachrichtenportal index.hu brachte eine ausführliche Analyse zum Wahlausgang. Hierin wurde mit Bezug auf Ungarn festgestellt, dass die möglichen neuen Koalitionspartner der Union, FDP und Grüne, ähnlich wie die SPD die politische Entwicklung in Ungarn kritisch sehen würden. Zugleich sei wegen des Erstarkens der AfD eine härtere Gangart Deutschlands gegen Flüchtlinge zu erwarten. Die Regierungsbeteiligung der FDP würde einer fiskalpolitischen Integration der Eurozone einen Riegel vorschieben, so das Internetportal. Der Artikel beschäftigt sich ausführlich mit Macrons diesbezüglichen Plänen und stellt im Hinblick auf die Äußerungen des FDP-Bundesvorsitzenden fest, dass dieser gegen eine „Geldpipeline“ in andere europäische Länder wäre und die FDP als „quasi liberale populistische Partei“ neu erstanden sei. Ausführlich wurde den Fragen nachgegangen, welche Ambitionen die Partei hätte, den Finanzminister zu stellen und ob es Merkel gelingen könne, die beiden Antithesen FDP und Grüne miteinander zu versöhnen. Der Erfolg der AfD solle nicht überbewertet werden, auch wenn einige Akteure in der ungarischen Regierungspartei Genugtuung über den AfD-Erfolg verspüren sollten, so der Artikel.
Das zweitgrößte Portal origo.hu berichtete sehr sachlich über das Wahlergebnis und zitierte die Kanzlerin, dass es nach 12 Jahren Regierungsarbeit nicht selbstverständlich wäre, dass die Regierungspartei immer noch die stärkste sei. Das Ergebnis der SPD wurde als historische Niederlage bewertet. Das Portal befasste sich auch mit der AfD-Forderung nach der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Das führende Wirtschaftsportal napi.hu hob hervor, dass im Falle einer Jamaika-Koalition eine starke rechte und eine starke linke Opposition vorhanden sei, was gut für die demokratische Entwicklung des Landes wäre. Das Portal stellte die These auf, dass es eine Täuschung sei, wenn man nunmehr mit einer Schwächung von Angela Merkel rechne. Sofern sich die Kanzlerin nicht auf ihren Lorbeeren ausruhe, könne sie gute neue Koalitionspartner finden, so napi.hu.
Zoltán Szalai, Herausgeber des bürgerlichen Meinungsmachers mandiner.hu befürchtete in seiner Analyse, dass FDP und Grüne nun sehr viel von Merkel verlangen könnten, da diese keine weiteren Optionen hätte. Das Ende der Großen Koalition sei aber auf jeden Fall im Interesse Deutschlands, so Szalai. Er äußerte die Erwartung, dass die Rhetorik der neuen Regierung näher an der ungarischen sei, die Gräben aber weiterbestünden. Insbesondere hebt der Autor den Aufstieg der AfD hervor, die im Osten Deutschlands nunmehr zweite politische Kraft nach der CDU geworden sei.
Die linksliberale hvg.hu betonte, dass der eigentliche große Verlierer auf Unionsseite die CSU in Bayern sei. Gefolgert wurde, dass ein Aufgreifen der AfD-Themen in Flüchtlingsfragen einen noch massiveren Einbruch bei den Wählerstimmen bewirke als ein Aussitzen. Hingewiesen wurde auf die Unsicherheit von über 90 neuen AfD-Parlamentariern, deren Vergangenheit vielleicht nicht in allen Fällen genau überprüft werden konnte. Aus Berliner AfD-Kreisen will man erfahren haben, dass die Partei sich außenpolitisch nichts sehnlicher wünsche, als eine Zusammenarbeit mit Fidesz, dies würde aber von den Ungarn nicht erwidert.
Die linke 444.hu verblüffte mit einer interessanten Parallele zwischen Deutschland, Frankreich sowie den Niederlanden. „Die Menschen im Westen wählen alle gespenstisch gleich“, so der Titel des eher ironisch zu verstehenden Artikels. Verglichen wurden hierbei die Ergebnisse der deutschen, französischen und niederländischen Populisten, die im selben Jahr alle 13% bekommen hätten. Zudem erreichten alle drei traditionellen Sozialdemokraten einen historischen Tiefststand und sowohl Merkels, als auch Macrons Parteien kämen auf knapp 33%, so der Artikel.
via kas.de/ungarn/, Foto: badische-zeitung.de