Die Welt der Wissenschaft ist dem Geschäftsleben oder der Politik ähnlich: man braucht viele und gute Beziehungen und möglichst viel Geld um erfolgreich zu sein. Mithilfe dieser können die ungarischen Wissenschaftler überall auf der Welt den Ruf des Landes verbessern. Das ist das Wesen der Wissenschaftsdiplomatie. Und natürlich viel mehr: eine Art „Markenbildung“, wodurch unsere Wurzeln, unsere Geschichte bekanntgemacht werden kann. Iván Bertényi, stellvertretender Leiter des Collegium Hungaricum Wien und Direktor des Instituts für Ungarische Geschichtsforschung betont: die ungarischen Wissenschaftler sollten auch im Ausland aktiver sein, um weltweit sichtbar zu werden. Das würde dem ganzen Land nutzen. Interview.
„Ungarn kann nicht durch das Schwert, sondern durch seine Kultur behalten und wieder groß gemacht werden.“ – sicherlich kennen Sie das Zitat.
Ja, natürlich, das ist eines der wichtigsten Zitaten von Kunó Klebelsberg. (Er war 1922-1931 Minister für Religion und Bildung in Ungarn (Red.))
Hat diese Aussage für immer eine Aktualität? Beispielsweise heutzutage?
Ich glaube, ja. In bestimmter Hinsicht ist es sogar immer aktueller. Ein Land, das weder politisch noch wirtschaftlich nicht stark genug ist, kann nur durch seine eigene Kultur und durch seine wissenschaftlichen Ergebnisse sichtbar sein. Es gibt schon dafür eine wissenschaftliche Erklärung: das ist das sog. „soft power“. Es gibt Länder, die es gut ausnützen. Alle kennen beispielsweise die Produkte der amerikanischen PopKultur, aber China – das obwohl einer der entscheidendsten Mächte der Welt ist – sollte noch seinen Rückstand in diesem Bereich aufholen. Wir bewundern die chinesische Kultur nur aus der Ferne, man sieht keine chinesischen Filme und hört keine chinesische Pop-Musik. Sie sind also in dieser Hinsicht zurückgeblieben. Sie wissen das, darum investieren sie eine Menge Geld und Zeit darin, ihre Kultur weltweit bekannt zu machen.
Hat Ungarn eine gute Leistung in diesem Gebiet? Investiert man genug Zeit und Geld darin?
Ich meine, wir sind aus der Sicht schlechter als China, dass wir die Wichtigkeit des „Soft Powers“ noch nicht ganz erkannt haben. Man sollte bewusst machen, dass auf diesem Gebiet eine aktive, abgestimmte, planmäßige Tätigkeit erforderlich ist. Andererseits sind wir aber glücklicher als die Chinesen: unsere „Ausgangspunkte“ sind besser. Ungarn wird jährlich von mehreren Hunderttausenden Menschen aus Österreich und Deutschland aufgesucht. Wir sprechen „dieselbe Sprache“: sind nicht nur Teil eines gemeinsamen Kulturkreises, sondern auch Mitglieder der Europäischen Union, und Ungarn steht oft im Mittelpunkt der Benachrichtigungen. Man hört über uns. Das Stadtbild von Budapest ist auch bekannt: beispielsweise das Parlament und die Donau Ufer… Die sind solche Gegebenheiten, die man ausnützen sollte. Zum Teil – aber nur zum Teil – schaffen wir das.
Der Begriff „Kulturdiplomatie” ist für die Meisten bekannt. Wissenschaftsdiplomatie weniger. Wie kann man das in Ihrem Fachgebiet, in der Geschichtsforschung so benutzen, dass es sogar die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn verbessern?
Meine Aufgabe ist, zum Teil, Beziehungen aufzubauen und schon vorhandene Beziehungen zu vertiefen. Außerdem „organisiere ich Wissenschaft“: unser Institut, das Collegium Hungaricum veranstaltet österreichische, ungarische und mitteleuropäische Konferenzen. Wichtiges Ziel ist, Ungarn im wissenschaftlichen Diskurs so oft wie möglich erscheinen zu lassen. Ich möchte erreichen, dass ungarische Wissenschaftler an Konferenzen und Workshops teilnehmen können, bei denen es um Themen geht, die Ungarn betreffen. Es lohnt sich, ungarische Wissenschaftler zu fördern, weil wir mit ihrer Hilfe, ihrem Wissen die Chance haben, dass Ungarn nach einer Konferenz positiver beurteilt wird als zuvor. Das ist meine sog. helfende Rolle: sehr kluge Menschen zu wissenschaftlichen Veranstaltungen nach Wien zu bringen.
Klebelsberg organisierte die ersten „Collegium Hungaricum“ Institutionen im Ausland. Ziel war den Nachschub ungarischer Wissenschaftler zu sichern. Besteht die Gefahr heute des sog. „Brain Drains“, also der Abwanderung von hoch qualifizierten Menschen?
Die Umstände seit den zwanziger Jahren haben sich stark verändert. Als Klebelsberg dieses Institutsnetz und das Stipendiumsystem begründete, war das wissenschaftliche Leben viel geschlossener und „elitärer“ als heute. Heute kann es passieren, dass aus einem Armen ein international anerkannter Gelehrter wird. Die ganze wissenschaftliche Situation ist heutzutage anders. In der Zeit von Klebelsberg war es noch das Wichtigste, dass ungarische Wissenschaftler in die Nähe solcher Quellengruppen gelangen, die eine ungarische Relevanz haben. In Wien gibt es ein riesengroßes historisches Archiv, ohne das zu forschen, zu kennen, können wir unsere Geschichte auch nicht verstehen. Wir erforschen das schon seit 100 Jahren, in diesem Gebiet braucht man also keine Neuerungen. Wir sind in einem anderen Gebiet zurückgeblieben: wir haben keine Wissenschaftler in führenden Positionen an den amerikanischen, europäischen oder asiatischen Universitäten. Warum haben wir keinen Geschichtswissenschaftler an der Harvard oder keinen ungarischen Literaturforscher an der Princeton?
Warum nicht?
Erstens: wir waren 40 Jahre lang aus dem wissenschaftlichen Diskurs gesperrt, nur in der Emigration tätige ForscherInnen ungarischen Stammes konnten solche Positionen erreichen. Zweitens: wir müssten zugeben, dass die ungarische, nationale Geschichte, Literatur und Kultur – global betrachtet – nur sehr klein sind. Man kann einfach nicht erwarten, dass ein japanischer oder amerikanischer junger Forscher lebenslang die barocke Wandmalerei Ungarns forscht. Für uns ist natürlich unsere eigene Kultur am wichtigsten, aber nur solche Themen und Forscher können in den Mainstream eintreten, deren Ideen den internationalen Trends anpassen. Man kann sagen, dass wir die internationalen Trends nicht mögen, aber leider sind wir nicht diejenige, die es bestimmen können. Also wir müssen uns anpassen. Wenn im Mittelpunkt der literaturwissenschaftlichen Trends – sagen wir mal – die „weiblichen“ Schriftsteller stehen, und wir nur wenige richtig gute haben, aber wollen, dass man weltweit mit uns sozusagen auch beschäftigt, dann müssen wir das Thema annehmen. Sich den internationalen Trends anpassen und die begabten ungarischen Wissenschaftler in wichtige Positionen bringen. Wissenschaftspolitik sollte die jungen Talente managen. Es wäre unheimlich wichtig. Sie sollte auch merken, welche jungen Studenten an ausländischen Universitäten Fuß gefasst haben.
Wäre es gerade nicht die Aufgabe von dem Stipendienprogramm Ihres Instituts: begabte junge Menschen in verschiedenen Wissenschaftsbereichen zu fördern?
Wir organisieren Stipendien in Wien – wie es auch von Klebelsberg erfunden wurde –, damit junge ungarische Forscher die wissenschaftlichen Texte vor Ort forschen können. Sie sind sehr gut und begabt darin: sie kommen nach Wien, schreiben ihre Studien und promovieren über das Thema. Das ist aber nicht genug. Sie sollten nicht nur in dem Archiv und in der Bibliothek sitzen, es wäre auch wichtig, mit den österreichischen Forschern in Kontakt zu treten. Sie müssten die Sprechstunde anerkannter Professoren aufsuchen, und so eine Beziehung ausbauen. Es kann dann dazu beitragen, dass die eigenen Forschungen später leichter publiziert werden können. Man muss noch die Jugendlichen in diesem Gebiet ermutigen. Die Beziehungen sind in der Wissenschaft – ähnlich wie im Geschäftsleben oder in der Politik – unheimlich wichtig und unerlässlich. Unsere Jungen wagen es nicht, den müden Forscher zu einem Kaffee einzuladen – obwohl das zu einem Gespräch führen könnte. Davon würden sie später profitieren. Es gibt viele Erklärungen dafür, warum die Ungarn nicht „tapfer“ sind: wir sind einfach nicht so sozialisiert, unser Bildungssystem unterstützt das auch nicht, und „40 Jahre Sozialismus“ hat auch sehr stark dazu beigetragen. Wir sollten unsere Mentalität verändern.
Und wenn sich diese Beziehungen entwickeln, wie können sie die Verhältnisse zwischen den beiden Ländern verändern?
Es war ein kleiner, aber umso wichtiger Erfolg meiner Arbeit, als wir eine Wissenschaftlerin aus Szeged nach Wien eingeladen haben. Sie hat einen sehr guten deutschsprachigen Vortrag über ein türkisch-ungarisches Thema gehalten. Ein eingeladener Kollege hat es sich gehört und es hat ihm sehr gut gefallen. Das Ergebnis war ein Blockseminar, das die ungarische Kollegin – mit Hilfe dieses Forschers – an der Universität Wien geben konnte. Außerdem konnten wir eine umfassende Ringvorlesung über die ganze ungarische Geschichte organisieren. Die hervorragendsten ungarischen Experten hielten deutsche und englische Vorträge über unsere Geschichte, von der Urgeschichte bis zu der Wende. Das heißt, ungarische Geschichte erschien im Angebot der Universität Wien. Daneben kommen wichtige, aktuelle politische Themen bei wissenschaftlichen Konferenzen immer wieder auf. In Privatgesprächen fragen uns Viele oft nach heiklen innenpolitischen Themen. Über diese kann man mit den ausländischen Wissenschaftlern, neben einem angenehmen Abendessen, eine Diskussion führen. Persönlicher Kontakt kann bei der Verbesserung Ungarns Ruf auch ein gutes Mittel sein.
Können Sie das Bild über Ungarn außerhalb des wissenschaftlichen Lebens beeinflussen?
Nur sehr schwer. Man kann die öffentliche Meinung nur durch große Plakatwände beeinflussen, das ist aber nicht unsere Aufgabe. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Welt des wissenschaftlichen Lebens nur „ein enger Kreis der Eliten“ ist. Es ist nicht möglich, Massen zu erreichen, aber natürlich wissen wir alle, wie großen Einfluss die Elite auf die öffentliche Meinung haben können. Das Institut hat grundsätzlich 3 Hauptziele: Kulturdiplomatie, Wissenschaftsdiplomatie und das Pflegen und Vertiefen der nationalen Identität von , die in Wien oder in der Nähe von der österreichischen Hauptstadt leben. Wir haben beispielsweise sehr gute Kinderprogramme: die Kleinen können zu uns kommen und die ungarische Sprache üben. Wir haben keine Mittel, die Österreicher anzusprechen, und das ist auch nicht unsere Aufgabe. Wir möchten alle Ungarn erreichen und eine Zusammenarbeit mit den ungarischen Organisationen hier in Wien ausbauen. Die sind die wichtigsten Ziele für uns.
In der Wissenschaftsdiplomatie kann man nur langfristig planen. Sie wurden für 3 Jahre mit der Leitung des Instituts für Ungarische Geschichtsforschung in Wien beauftragt. Ist diese Zeit genug für Sie?
Es ist sehr gut, dass die Historiker, die das Institut bisher geleitet haben, einander kennen. Wir können auf die früheren Erfolge und Kontakte unserer Vorgänger bauen. Man kann aber natürlich auch langfristig planen: es gibt zahlreiche Preisausschreiben, mit deren Hilfe ungarische Forscher an unterschiedlichen wissenschaftlichen Konferenzen teilnehmen können. Beispielsweise Konferenzen über das Jubiläum von dem Ende des Ersten Weltkriegs. Ähnlich war in den letzten 3 Jahren das Jubiläum des österreichisch-ungarischen Ausgleichs, oder der 100. Todestag von Franz Joseph bzw. der 300. Geburtstag von Maria Theresia. Die sind sogar für beide Seiten wichtige Ereignisse in der gemeinsamen Geschichte. Dann laden wir die österreichischen Professoren zu diesen Konferenzen ein, so können Sie sehen, was wir, Ungarn über diese Themen zu sagen haben. Noch besser, wenn wir zusammen eine Konferenz veranstalten können. Es wäre daneben unbedingt nötig, auf der internationalen Wissenschaftssprache mehr über unsere Kultur und Geschichte zu publizieren. Ungarn können oft wegen sprachlicher Schwierigkeiten nicht publizieren, oder deswegen, weil sie in den letzten 30 Jahren keine Beziehungen ausgebaut haben. Während wir in der Zeit des Sozialismus noch fremdsprachige, geisteswissenschaftliche Zeitschriften hatten, erst mehrere Jahre nach der Wende konnte man z.B. „Hungarian Historical Review“ ausgeben.
Das Institut hat eine Buchreihe bis jetzt mit 15 Büchern ausgegeben. Können die diese Rolle erfolgreich ausfüllen?
Die Serie startete 2009. In diesen Büchern werden unterschiedliche Materialien, Monographien und Studienbände unserer Konferenzen ausgegeben. 10 Jahre, 15 Bände und die Arbeit setzt sich fort. Es ist eine Schwierigkeit, dass wir kein extra-Geld dafür haben. Das heißt, in unserer Arbeit müssen wir nicht nur gute Beziehungen, sondern auch viel Geld erwerben. Mit Beziehungen kann man es auch leichter schaffen.
(Foto: Péter Csákvári)