„Verrat“, „Schande“ „Betrug“ – so reagierte die ungarische Regierung auf die Abstimmung des EU-Parlaments am Mittwoch über den sog. Sargentini-Bericht. Laut Viktor Orbáns Kabinett war das Votum widerrechtlich, weil „Nach dem Vertrag von Lissabon ein Bericht nur mit zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen verabschiedet werden könne.“ Auch der österreichische Vizekanzler verlangt von dem juristischen Dienst des EU-Rates eine Überprüfung.
Die Debatte über Rechtsstaat war nur ein Vorwand – das ist der eindeutige Standpunkt der ungarischen Regierung über den Bericht der holländischen Politikerin. Das hat das Kabinett schon vor der Abstimmung des Europa-Parlaments verkündigt. Die Regierungsparteien betonen: die ganze Methode sei ein „Betrug“. Sie sind sogar der Auffassung, dass der Sargentini-Bericht vom Europaparlament nicht mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit verabschiedet wurde. Diesen Standpunkt äußerte auch Kanzleramtsminister Gergely Gulyás auf der üblichen Regierungspressekonferenz am Donnerstagnachmittag.
„Nach dem Vertrag von Lissabon könne ein Bericht nur mit zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen verabschiedet werden, d. h. die Stimmenthaltungen hätten Berücksichtigung finden müssen. Solange diese Rechtsfrage nicht geklärt ist, bleibt der Bericht ohne jegliche Rechtsfolgen.“
Am Montag wird sich eine EU-Themen gewidmete Regierungssitzung mit konkreten rechtlichen Schritten befassen, fügte der Minister hinzu.
Auf die Frage, ob der Fidesz weiterhin die Ambitionen von Manfred Weber unterstütze, merkte Gulyás an, es gebe noch keine offizielle Entscheidung.
„Natürlich können wir nicht so tun, als hätte Manfred Weber im Interesse seiner persönlichen Ambitionen nicht für einen Bericht gestimmt, der auch nach seiner Auffassung Lügen verbreitet.“
Der juristische Dienst des EU-Rates soll prüfen – verlangt der österreichische Vizekanzler
Heinz-Christian Strache forderte Außenministerin Karin Kneissl auf: Sie möge den juristischen Dienst des Europäischen Rates ersuchen, die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zu überprüfen.
Vizekanzler Strache sagte am Wochenende in einer Aussendung, er habe „großes Verständnis für die ungarische Argumentation“. Aus diesem Grund habe er auch die Prüfung angeregt. Von der ÖVP gab es darauf am Sonntag zunächst keine Reaktion. Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte zuvor in einem Interview mit der Kleinen Zeitung erklärt, der Ball liege bei der EU-Kommission. Diese müsse mit Ungarn reden. „Es gibt weder einen Beweis noch eine Verurteilung. Ich bin nicht der Richter.
Ist das Votum nun gültig oder nicht?
448 EU-Abgeordnete hatten am Mittwoch in Straßburg für die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn gestimmt. 197 Parlamentarier votierten dagegen, 48 enthielten sich. Weil die Enthaltungen nicht eingerechnet wurden, war die nötige Zweidrittelmehrheit erreicht.
Nach Ansicht von der ungarischen Regierung müssen für die Erreichung der Zweidrittelmehrheit nämlich auch jene 48 Abgeordneten eingerechnet werden, die sich bei der Abstimmung enthalten hatten. Zählt man diese mit, hätten nur insgesamt 65 Prozent für das Verfahren gestimmt, knapp weniger als zwei Drittel.
Im Weiteren werden die EU-Mitgliedsstaaten über Ungarns Schicksal entscheiden: 22 von ihnen müssen zustimmen, damit das Rechtsstaatsverfahren (Artikel-7-Verfahren) gegen Ungarn tatsächlich beginnen kann.
(Via: budapester.hu, kurier.at, standard.at, Fotos: apa / hans punz, Beitragsbild: MTI – Balázs Szecsődi)