Da die Auszahlungsverfahren von EU-Geldern Richtung Ungarn immer mehr Zeit in Anspruch nehmen sowie viele Offizielle in der Union darüber nachdenken, einige dieser Mittel gänzlich zurückzuhalten, und während zugleich ein Verfahren nach Artikel 7 auf den Weg gebracht wurde, streiten Kommentatoren über die Frage, was wohl von der Sackgasse zu halten sei, in die die Beziehungen zwischen Brüssel und Budapest geraten sind. Eine Presseschau von budapost.de.
In Élet és Irodalom äußert sich der liberale Verfassungsjurist Gábor Halmai positiv über den Sargentini-Bericht. (Der mit großer Mehrheit angenommene Text einer grünen Europaabgeordneten aus den Niederlanden ebnet den Weg für ein Verfahren nach Artikel 7 des Vertrags von Lissabon, das letztendlich im Entzug des ungarischen Stimmrechts im Europäischen Rat münden könnte – Anm. d. Red.) Dass es soweit kommt, hält Halmai jedoch für nahezu ausgeschlossen, da Ungarn und Polen ihr gemeinsames Veto gegen einen solchen Beschluss des Rates einlegen würden. Beiden Staaten könnte ihr Stimmrecht in dieser Frage entzogen werden – vorausgesetzt, sie wären selbst Gegenstand eines vergleichbaren Verfahrens. Trotzdem bezweifelt der Jurist, dass der Rat diesen Weg beschreiten werde, und hält demzufolge die Aktivierung von Artikel 7 für eine Fehlentscheidung der Europäischen Union. Stattdessen sollte Ungarn aus europäischen Förderprogrammen ausgeschlossen werden. Halmai vermutet, dass derartig harte Maßnahmen „die Wähler dazu animieren könnten, sich gegen die für die negativen Folgen der Sanktionen Verantwortlichen zu wenden“.
Die Regierung erfinde absurde Kampagnen als Reaktion auf konkrete Anschuldigungen über Korruption, den Zustand des Gesundheitswesens oder Demokratiedefizite. Diesen Vorwurf erhebt László Seres im Wochenmagazin Heti Világgazdaság. Die jüngste dieser Kampagnen richte sich gegen Pläne zur Stärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Diese Pläne würden von der Regierung als Versuch gewertet, nationalen Behörden die Oberhoheit über den Grenzschutz zu entziehen, um auf diese Weise mehr Migranten in die Union einreisen zu lassen. Seres räumt ein, dass es problematisch wäre, wenn die Europäische Union den einzelnen Mitgliedsländern sagen würde, wen sie hereinlassen und mit wem sie leben sollten. Doch bestehe die Gefahr eines derartigen Übergriffs seitens der Europäischen Union gar nicht, ist Seres überzeugt. Vielmehr wünsche Brüssel nur dann ein Eingreifen von Frontex, falls ein nationaler Grenzschutz einmal ausfallen sollte. Folglich wäre es im ureigensten Interesse Ungarns, wenn Grenzschutzbeamte der EU im Bedarfsfall eingreifen dürften, notiert Seres.
In einem Kommentar für das Magazin Figyelő hingegen bezeichnet es Zoltán Kiszelly als beunruhigend, dass der europäische Mainstream eine Ausweitung seiner Kontrolle über die Mitgliedsländer sowie eine Kürzung von Kohäsions- und Strukturfonds für die osteuropäischen Mitgliedsstaaten plane. Die Baltischen Staaten, die ja im Gegensatz zu Ungarn – dem schwarzen Schaf – als gute Schüler gelten, würden genau das als „Geschenk“ bekommen, was Ungarn strafweise auferlegt werde: 25 Prozent ihrer bisherigen Strukturfondsmittel würden in die südlichen Mitgliedsländer umgeleitet. Kiszelly weist im Folgenden die gegen Ungarn erhobenen Korruptionsvorwürfe zurück und erinnert daran, dass es beim Bau von Autobahnen in Ungarn durch ausländische Unternehmen keinerlei Beschwerden bezüglich Korruption gegeben habe. Doch seit die meisten Gewinne in Ungarn verblieben, regne es reichlich Korruptionsvorwürfe. Alles in allem, so sagt Kiszelly voraus, werde der Name von Judith Sargentini bald in Vergessenheit geraten, ebenso wie der Name von Rui Tavares (Verfasser eines früheren Berichts, in dem Ungarn verurteilt wurde – Anm. d. Red.). „Aber der durch den Bericht Sargentinis verursachte Schaden wird von Dauer sein.“
In einem Leitartikel für Hetek fragt Máté Kulifai, was es wohl bringe, würden die nationalen Grenzschutzbehörden Frontex untergeordnet. Warum sollte Frontex seine Kontrolle auf Länder wie Ungarn ausweiten, die in der Lage seien, ihre eigenen Grenzen und damit den Schengen-Raum zu schützen? Warum könne die Europäische Union ihre Mitgliedstaaten nicht entscheiden lassen, ob sie Hilfe von Frontex benötigen würden oder nicht. Sollte eine solche Entscheidung nicht den Mitgliedsländern selbst überlassen werden, würde die Europäische Union einen gefährlichen Weg beschreiten.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: Fotó: AFP PHOTO / FREDERICK FLORIN)