Die ungarische Regierung plant eine radikale Umgestaltung der Strukturen im Bereich der wissenschaftlichen Forschung. In diesem Zusammenhang fordert ein regierungskritischer Historiker ein konzertiertes Vorgehen gegen diese Pläne, während sein regierungsfreundlicher Kollege ihm antidemokratische Absichten unterstellt. Eine Presseschau von budapost.de.
168 Óra und HVG haben dieser Tage ein Dokument veröffentlicht, dem zufolge Technologie- und Innovationsminister László Palkovics plant, die wissenschaftliche Forschung dem Zuständigkeitsbereich der Akademie der Wissenschaften (MTA) zu entziehen. Damit würde von der Akademie lediglich eine Institution übrigbleiben, die nach westlichem Vorbild renommierte Forscher vereint. Bei dem bekanntgewordenen Papier handelt sich um den Bericht eines anonymen Akademiemitglieds über ein Treffen mit Palkovics. Darin wird der Minister mit den Worten zitiert, er wolle die meisten sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitute mit Universitäten zusammenführen, während die restlichen Einrichtungen bestehenden und von der Regierung finanzierten Forschungszentren angegliedert würden. Gergely Gulyás, der für das Amt des Regierungschefs zuständige Kabinettsminister, informierte die Presse am Donnerstag dahingehend, dass Palkovics „der Regierung in letzter Zeit keinen Vorschlag unterbreitet“ habe.
Der ungarisch-italienische Historiker Stefano Bottoni zitiert in einem Interview mit dem Internetportal valaszonline.hu Rechtsexperten des neu gegründeten Forums der Akademiker, die die Regierung einer ungesetzlichen Vorgehensweise bezichtigen. Dabei bezieht sich der Vorwurf sowohl auf die Einbehaltung von großen Teilen des Budgets der Forschungsinstitute als auch auf die geplante Auflösung des Verbundes wissenschaftlicher Institute. Laut Bottoni möchte die Regierung Zugriff auf EU-Forschungsgelder erhalten sowie Kritiker aus ideologischen Gründen loswerden. Die ungarischen Universitäten gehörten sicher nicht zu den ersten paar Hundert der Welt, weil die am häufigsten zitierten und renommiertesten Wissenschaftler an ihnen nicht lehren würden, denn die Universitäten seien unterfinanziert und könnten daher kaum Forschung betreiben. Das von Palkovics skizzierte System ähnele zwar dem Max-Planck-Institut, das in Deutschland Forschung koordiniere und finanziere, aber ohne die Unabhängigkeit, die im deutschen Fall mittels öffentlicher Förderung gewährleistet sei, würde das ungarische System künftig von jährlichen Finanzierungsentscheidungen der Regierung abhängen, beklagt Bottoni, der nach eigenen Angaben ab dem nächsten akademischen Jahr an der Universität Florenz Geschichte lehren wird.
Der Historiker Márton Békés nennt Bottonis Haltung „das Paradebeispiel eines eingebildeten Intellektuellen, der außerhalb und jenseits der ungarischen Gesellschaft lebt“. Auf Mandiner führt er eine im Fernsehsender ATV gemachte Äußerung seines ungarisch-italienischen Kollegen über die Akademie-Mitglieder an, die einen bedeutenden Teil der ungarischen wissenschaftlichen Elite ausmachen. In dem auf Mandiner verlinkten ATV-Video heißt es unter anderem, er, Bottoni, werde „die halbe Welt“ gegen die geplante Neuordnung des institutionellen Rahmens der Forschung in Ungarn mobilisieren. Nach Ansicht von Békés existiert ein Widerspruch zwischen Liberalismus und Demokratie. Beziehungsweise, man könne zumindest – wie Ortega y Gasset es formulierte – sehr liberal sein und überhaupt nicht demokratisch oder umgekehrt. Die liberale Elite, so erklärt der Historiker, wolle nun den Volkswillen (der den Fidesz an der Macht halte) durch die Mobilisierung externer Kräfte brechen. Deswegen glaube er, dass die liberale Elite in ihren Bemühungen antidemokratisch sei.
In einer kurzen Replik schreibt Bottoni, dass er keine Zeit für „einen derartigen Mist“ habe, und schlägt Békés – in Anlehnung an die lateinische Elite – „Potes meos suaviari clunes“ vor. Deutschsprachige Leser kennen dieses Zitat aus Goethes „Götz von Berlichingen“.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: wikipedia.org)