Wöchentliche Newsletter

Papst Franziskus in Siebenbürgen: „Wir brauchen keine Furcht davor zu haben, uns zu vermischen, einander zu begegnen und zu helfen“

Ungarn Heute 2019.06.03.

Etwa 100.000 Menschen sind am Samstag nach Csíksomlyó gepilgert, um mit Papst Franziskus unter freiem Himmel – leider mit viel Regen – eine Messe zu feiern. Der Marienwallfahrtort Siebenbürgens gilt als einer der ältesten und wichtigsten Osteuropas. Er befindet sich in einem Gebiet, wo die Mehrheit die ungarischsprachigen Katholiken bildet. Franziskus sprach in seiner Predigt gerade darüber, dass, die über 500-jährige Wallfahrtstradition zum Marienheiligtum zeige, dass das brüderliche Zusammenleben möglich ist. 

Die verwickelten und traurigen Geschichten der Vergangenheit sollen nicht vergessen oder geleugnet werden, aber sie dürfen auch kein Hindernis oder ein Argument dafür sein, das ersehnte brüderliche Zusammenleben zu verhindern.

betonte Papst Franziskus in seiner Predigt. Er fügte hinzu: der Ort sei ein Symbol der Einheit und des Dialogs.

„Wir kommen als Volk, dessen Reichtum seine tausend Gesichter, Kulturen, Sprachen und Traditionen sind. Die Pilgerschaft fordert uns dazu heraus, den Geist zu entdecken und weiterzugeben, dass wir zusammenleben können und keine Furcht davor zu haben brauchen, uns zu vermischen, einander zu begegnen und zu helfen.“

Nach der Visite von Papst Johannes Paul II. 1999 ist es erst der zweite Papstbesuch in dem orthodox geprägten Rumänien. Zum Abschluss  ist Franziskus im siebenbürgischen Blaj mit Vertretern der oft benachteiligten Roma zusammengekommen.

Hier lesen Sie die Predigt von Papst Franziskus in Csíksomlyó. Quelle: vaticannews.de. 

„Voller Freude und dankbar gegenüber Gott bin ich heute bei euch, liebe Brüder und Schwestern, in diesem geliebten Marienheiligtum, das reich an Geschichte und an Glauben ist. Wir kommen als Söhne und Töchter, um unserer Mutter zu begegnen und zu erkennen, dass wir Geschwister sind. Die Heiligtümer sind gewissermaßen die „sakramentalen“ Orte einer Kirche als Feldlazarett. Sie bewahren das Gedächtnis des gläubigen Volkes, das inmitten seiner Bedrängnisse nicht müde wird, die Quelle lebendigen Wassers zu suchen, wo die Hoffnung aufgefrischt wird. Es sind Orte der Freude und des Feierns, der Tränen und des Flehens. Ohne viele Worte treten wir hin zu Marias Füßen, um uns von ihr anschauen zu lassen. Sie möge uns mit ihrem Blick zu ihm führen, der »der Weg, die Wahrheit und das Leben« ist (Joh 14,6).

Foto: MTI – Koszticsák Szilárd

Wir machen das nicht irgendwie, sondern wir sind Pilger. Jedes Jahr am Samstag vor Pfingsten begebt ihr euch auf einer Wallfahrt hierher, um das Gelübde eurer Vorfahren zu erfüllen, um den Glauben an Gott zu stärken und die Verehrung der Gottesmutter zu vertiefen, die in der großen Holzstatue dargestellt ist.

Diese jährliche Wallfahrt gehört zum Erbe Siebenbürgens; doch sie ehrt zugleich die rumänische wie die ungarische Tradition. Sie achtet auch die Gläubigen anderer Konfessionen und ist ein Symbol des Dialogs, der Einheit und der Brüderlichkeit.

Sie ruft dazu auf, erneut einen Glauben zu bezeugen, der Leben geworden ist, und ein Leben, das sich zur Hoffnung macht. Auf Pilgerschaft sein heißt zu wissen, dass wir als Volk zu unserem Haus kommen. Wir kommen als Volk, dessen Reichtum seine tausend Gesichter, Kulturen, Sprachen und Traditionen sind. Es ist das heilige gläubige Volk Gottes, das mit Maria pilgernd unterwegs ist und die Barmherzigkeit Gottes besingt.

Foto: Vatican Media (vaticannews.com)

Wie Maria in Kana in Galiläa sich bei Jesus dafür eingesetzt hat, dass er sein erstes Wunder vollbringe, so wacht sie als Fürsprecherin in jedem Heiligtum – sie wendet sich nicht nur an ihren Sohn, sondern auch an jeden von uns, dass wir uns nicht durch das Gerede und die Verwundungen, die Spaltung und Zersplitterung hervorrufen, unsere gelebte Brüderlichkeit rauben lassen.

Die verwickelten und traurigen Geschichten der Vergangenheit sollen nicht vergessen oder geleugnet werden, aber sie dürfen auch kein Hindernis oder ein Argument dafür sein, das ersehnte brüderliche Zusammenleben zu verhindern.

Auf Pilgerschaft sein heißt sich gerufen und angespornt zu fühlen, gemeinsam voranzugehen und den Herrn um die Gnade zu bitten, früheren und jetzigen Groll und Argwohn in neue Gelegenheiten für die Gemeinschaft zu verwandeln; auf Pilgerschaft sein heißt sich von unseren Sicherheiten und Bequemlichkeiten zu lösen und die neue Erde zu suchen, die der Herr uns schenken will.

Die Pilgerschaft fordert uns dazu heraus, den Geist zu entdecken und weiterzugeben, dass wir zusammen leben können und keine Furcht davor zu haben brauchen, uns zu vermischen, einander zu begegnen und zu helfen.

Auf Pilgerschaft sein heißt an dieser etwas chaotischen Menge teilzuhaben, die sich in eine wahre Erfahrung von Brüderlichkeit verwandeln kann, in eine solidarische Karawane, die Geschichte schreibt (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 87). Auf Pilgerschaft sein heißt nicht so sehr auf das zu schauen, was hätte sein können (und es nicht ist), sondern vielmehr auf all das, was uns erwartet und was wir nicht mehr aufschieben können. Pilgern bedeutet, an den Herrn zu glauben, der kommt und in unserer Mitte ist und die Solidarität, die Brüderlichkeit und das Verlangen nach dem Guten, dem Wahren und der Gerechtigkeit fördert und anspornt (vgl. ebd., 71). Es bedeutet, sich dafür einzusetzen und zu kämpfen, dass die, welche gestern zurückgeblieben sind, zu den Protagonisten von morgen werden und die Protagonisten von heute morgen nicht zurückgelassen werden. Und das erfordert das handwerkliche Tun, gemeinsam an der Zukunft zu arbeiten. Ja, dafür sind wir hier, um gemeinsam zu sagen: Mutter, lehre uns, die Zukunft zu entwerfen.

Foto: Vatican Media, vaticannews.com

Wenn wir zu diesem Heiligtum pilgern, wird unser Blick auf Maria gelenkt und auf das Geheimnis ihrer Erwählung durch Gott. Sie war ein Mädchen aus Nazaret, einem kleinen Ort in Galiläa, am Rand des Römischen Reiches und auch am Rand Israels. Mit ihrem „Ja“ hat sie es vermocht, die Revolution der zärtlichen Liebe (vgl. ebd., 88) in Gang zu setzen. Das Geheimnis der Berufung seitens Gottes, der seine Augen auf den Schwachen richtet, um die Starken zu zerstreuen, treibt und ermutigt auch uns, so wie sie „Ja“ zu sagen, um die Pfade der Versöhnung einzuschlagen.

Wer etwas wagt, den enttäuscht der Herr nicht. Gehen wir voran, gehen wir gemeinsam voran und lassen wir zu, dass das Evangelium der Sauerteig ist, der alles zu durchdringen vermag und unseren Völkern die Freude der Erlösung schenkt.

 

(Via: vaticannews.de, Beitragsbild und Fotos: MTI – Szilárd Koszticsák)