Nachdem in der vergangenen Woche nun auch in Ungarn die ersten Coronavirus-Patienten identifiziert worden sind, beschäftigen sich die Analysten quer durch das politische Spektrum mit den umfassenderen sozialen und politischen Folgen der Epidemie.
Bis zum Sonntag waren sieben Fälle von Coronavirus-Infektionen in Ungarn offiziell bestätigt worden. 67 Personen befinden sich in Quarantäne und werden auf das Virus getestet. Auf Anraten des Coronavirus-Krisenstabs hat die Regierung die staatlichen Feierlichen zum Nationalfeiertag am 15. März abgesagt.
In einem Beitrag für die Tageszeitung Népszava wirft die frühere MSZP-Vorsitzende Ildikó Lendvai der Regierung vor, die Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus für politische Zwecke zu missbrauchen. Laut Lendvai möchte Ministerpräsident Orbán unter Beweis stellen, dass er ein starker Anführer und in der Lage sei, eine Notstandslage zu bewältigen. Noch weitaus problematischer findet sie es, dass „die Regierung das Coronavirus benutzt, um Fremdenfeindlichkeit mit der Behauptung zu schüren, Migranten würden das Virus verbreiten“ und sie die ungarischen Grenzen für Asylsuchende abriegele (siehe BudaPost vom 3. März). In einer sarkastischen Anmerkung fragt sich Lendvai, ob die Regierung wohl auch behaupten werde, dass es sich beim Patienten Null um einen Flüchtling oder einen Roma gehandelt habe. Damit könne dann auch die Roma-Segregation gerechtfertigt werden. (Bei den ersten beiden identifizierten Coronavirus-Patienten handelte es sich um zwei iranische Studenten – Anm. d. Red.)
Traurig, „dass Ungarn das Land der zehn Millionen Coronavirus-Experten geworden ist“, klagt Zsolt Bayer von Magyar Nemzet. Der regierungsnahe Publizist erinnert daran, dass die Opposition der Regierung vorgeworfen habe, die Gefahr nicht ernst genug zu nehmen. Bayer hält diesen Vorwurf für absurd. Die Regierung habe das in einer Notsituation Notwendige unternommen und auch Pläne für den Fall einer flächendeckenden Infektion verkündet. Linksoppositionelle, die noch mehr verlangen würden, hätten den Kontakt zur Wirklichkeit verloren, räsoniert Bayer.
Auf Mérce äußert Soma Ábrahám Kiss die Befürchtung, dass die Unterschicht sowie die Arbeiterklasse die Hauptleidtragenden der wirtschaftlichen Rezession als Folge der Coronavirus-Krise sein dürften. Als eine gute Nachricht bezeichnet der radikal linke Blogger den Umstand, dass die Umweltverschmutzung in China aufgrund von Quarantäne-Maßnahmen extrem zurückgegangen sei. Dennoch vermutet er, dass zu Hause bleibende Arbeiter die wirtschaftlichen Folgen der Unterbrechung von Industrieproduktionsprozessen zu tragen hätten. „Es gibt wenig Hoffnung, dass die Nutznießer des globalen Kapitalismus im Einklang mit unseren kollektiven Zielsetzungen agieren“ und arme, ohne Einkünfte dastehende Arbeiter unterstützen würden. Kiss spekuliert, dass die Coronavirus-Pandemie einen verheerenden Einfluss auf arme Länder haben werde. All dies werde „den Tod von Millionen sowie scheiternde Staaten“ nach sich ziehen, so die düstere Prognose des Autors.
„Das Coronavirus befriedigt unser psychologisches Bedürfnis nach dem Gefühl, dass unsere Weltordnung angegriffen wird“, schreibt Tamás Leimeszter auf Mandiner. Natürlich stelle das Coronavirus eine reale Bedrohung dar, dennoch würden wir auf die von ihm ausgehenden Gefahren überreagieren. Apokalyptische Angstmacherei könne zu einer sich selbst erfüllenden Prophetie werden und eine gesteigerte Hysterie in einem totalen sozialen Zusammenbruch münden. Die Rückkehr zur Normalität dürfte dann nicht so einfach sein, selbst wenn die Ansteckungsgefahr gebannt sein werde, fürchtet Leimeszter.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: Zsolt Czeglédi – MTI)