In Wochenblättern, Wochenendausgaben von Tageszeitungen sowie im Internet wird über die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Coronavirus-bedingten Notstands nachgedacht – einschließlich der Notwendigkeit, den Ausnahmezustand weiterhin aufrechtzuerhalten. Presseschau von budapost.de.
In einem Beitrag für 168 Óra erklärt Péter Somfai die zu beobachtenden Panikkäufe mit dem mangelnden Vertrauen der Ungarn. Der linksorientierte Kolumnist deutet an, dass die ungarische Regierung keine gute Arbeit geleistet habe, um die Bevölkerung zu beruhigen. Was die weiteren Auswirkungen der Epidemie betrifft, so vermutet Somfai, dass sich unser Leben für immer verändern werde. Auch gelte es darüber nachzudenken, was wir wirklich wertschätzen sollten.
Miklós Panyi behauptet im Wochenmagazin Magyar Demokrata, dass Ungarns wirtschaftliches und politisches Immunsystem relativ stark ausgeprägt sei. Das werde dem Land bei der Überwindung der Virusepidemie helfen. Der stellvertretende Direktor der regierungsfreundlichen Denkfabrik Zentrum für Grundrechte weist darauf hin, dass sich die Wirtschaft in guter Verfassung befinde und die Regierung breite Unterstützung sowie eine starke demokratische Legitimation genieße. Behörden und Krankenhäuser seien auf die Pandemie vorbereitet. Panyi äußert die Hoffnung, dass auch die Ungarn stark bleiben sowie ihren Optimismus und ihre Ruhe nicht verlieren würden – Tugenden, die in Krisenzeiten unerlässlich seien.
Auf dem Wirtschaftsportal Portfolio fordern László Szabó und Viktor Zsiday die Regierung auf, sie möge zur Rettung der ungarischen Wirtschaft ihre finanzpolitischen Waffen einsetzen. Die beiden Investmentbanker rechnen damit, dass es Hunderte von Milliarden Forint kosten werde, ungarischen Unternehmern unter die Arme zu greifen und Arbeitsplätze zu verteidigen. Die einzige Möglichkeit, den Verlust von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen zu verhindern, sei der Einsatz drastischer Mittel zusätzlich zu dem angekündigten Kreditrückzahlungsmoratorium (siehe BudaPost vom 20. März), schreiben Szabó und Zsiday. Sollten die Regierung und die Nationalbank schnell handeln und ein massives, noch nie dagewesenes Programm der quantitativen Lockerung verkünden, könnten sie den vollständigen Zusammenbruch der Wirtschaft abwenden, glauben die Autoren.
Auf Mandiner weist Barnabás Heincz Gedankenspiele zurück, denen zufolge die Europäische Union infolge der Coronavirus-Krise zusammenbrechen werde (siehe BudaPost vom 21. März). Heincz räumt ein, dass die nationalen Regierungen in Krisenzeiten schneller handeln können. Das jedoch bedeute keineswegs, dass der „europäische Traum“ ausgeträumt sei. Die EU könne nur dann handeln, wenn sie eine stark zentralisierte Föderation wäre, nicht jedoch eine Gruppe souveräner Nationalstaaten, konstatiert der konservative Kolumnist und fordert in diesem Sinne: Anstatt die Europäische Union aufzugeben, sollten wir sie reformieren und zu einer echten Union von Nationalstaaten machen.
László Seres von Neokohn kritisiert heftig globalisierungskritische und antikapitalistische Grüne und Linke, „die den Virus aufgrund seiner Auswirkungen auf die Umwelt wertschätzen“. Der libertäre Kommentator weist darauf hin, dass der Zusammenbruch der Produktion und ein starker Rückgang des internationalen Reiseverkehrs eine massive Rezession und eine Zunahme der Armut bewirken werde. Auch wäre die moderne Medizin ohne den Kapitalismus unvorstellbar. Anstatt die Globalisierung rückgängig zu machen, sollte man vielmehr ihre Errungenschaften zur Bekämpfung der Epidemie nutzen, so Seres abschließend.
Nach Ansicht von Balázs Váradi stellt der Virusnotstand für die Ungarn, und darunter vor allem die Liberalen, ein massives Dilemma dar. Demnach hätten die Bewohner des Landes ein geringes Vertrauen in die Regierung – und zwar aus guten Gründen. Im Wochenmagazin Magyar Narancs wirft der liberale Analyst dem Staat vor, seine Bürger in den meisten großen Krisen der vergangenen zwei Jahrhunderte allein gelassen zu haben. Zudem hält er der Regierung Orbán vor, nicht genug in das Gesundheitssystem investiert und versucht zu haben, die Schuld an der Epidemie den Migranten in die Schuhe zu schieben. Immerhin räumt Váradi ein, dass schwere Notfallsituationen nur von einem starken Staat bewältigt werden könnten. Deshalb sollten die Liberalen laut Váradi alle Maßnahmen der Regierung unterstützen, die mit der internationalen Praxis im Einklang stehen würden. Gleichzeitig aber sollten sie auch protestieren, wenn die Regierung über die in Westeuropa weit verbreiteten Maßnahmen hinausgehen wolle.
In einem Interview mit demselben Wochenmagazin äußert László Majtényi die Befürchtung, dass die Regierung den Notstand missbrauchen werde, um unnötig restriktive Maßnahmen durch- und den Rechtsstaat auszusetzen. Der linksliberale Verfassungsrechtler stellt klar, dass vernünftige Notfallmaßnahmen – darunter etwa die Schließung von Schulen und Geschäften – innerhalb des geltenden rechtlichen Rahmens umgesetzt werden könnten. Die Notstandsbestimmungen würden der Polizei jedoch unnötige Befugnisse zur Beschränkung individueller Freiheiten einräumen und die Regierung in die Lage versetzen, mit Hilfe ihrer Machtbefugnisse kritische Meinungen im Namen der öffentlichen Sicherheit zum Schweigen zu bringen, argwöhnt Majtényi.
András Jámbor vom Internetportal Mérce teilt die bereits angeführten Befürchtungen. Auf Facebook räumt der altlinke Blogger ein, dass die Regierung zur Bewältigung der Krise eine außerordentlich große Machtfülle benötige. Jedoch warnt er davor, der Regierung unbefristete Notstandsbefugnisse zu übertragen.
(Die Regierung regt an, den Ausnahmezustand nicht alle 15 Tage, sondern ihn auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Die entsprechende Gesetzesinitiative braucht eine parlamentarische Vier-Fünftel-Mehrheit, um verabschiedet werden zu können – Anm. d. Red.)
Jámbor erinnert daran, dass der Migrationsnotstand bereits seit fünf Jahren in Kraft sei, und äußert zudem die Befürchtung, dass es die Notstandsregelung der Regierung erlauben werde, ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die Regierung könnte sämtliche zur Bekämpfung der Epidemie notwendigen Maßnahmen umsetzen, ohne dass sie für einen unbestimmten Zeitraum außerordentliche Befugnisse beanspruchen müsste, gibt Jámbor zu bedenken.
Ungewöhnliche Zeiten würden außergewöhnliche Vollmachten und Maßnahmen erfordern, behauptet Miklós Szánthó in Magyar Nemzet. Der regierungsnahe Jurist wirft den Kritikern der Verlängerung des Ausnahmezustands vor, sie wollten die Krise nutzen, um eine noch größere Panik zu erzeugen. Szánthó vermutet, dass sie um ihre „globalistische, antistaatliche Vision“ fürchten würden, die ihre Bedeutung verlieren könnte, da die Regierung ihre Politik des Krisenmanagements zum Schutz öffentlicher Interessen fortsetze.
(Via: budapost.de)