Ein liberaler Philosoph wirft dem Fidesz vor, den Systemwandel konfisziert zu haben. Ein regierungsfreundlicher Analyst wiederum glaubt, dass die Weigerung der Opposition, an einer historischen Gedenkveranstaltung teilzunehmen, in die Annalen eingehen werde. Presseschau von budapost.de.
Die Plenarsitzung, die an den 30. Jahrestag der Konstitution der ersten demokratisch gewählten Volksvertretung Ungarns nach dem Fall des Kommunismus erinnerte, ist von den Vertretern der Opposition boykottiert worden. Ferenc Gyurcsány, Vorsitzender der Demokratischen Koalition, warf dem Fidesz vor, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verraten zu haben und erklärte, dass eine gemeinsame Gedenkveranstaltung auf Komplizenschaft hinausliefe.
Városi Kurír zitiert einen Facebook-Post von György Gábor, der Ministerpräsident Viktor Orbán mit den Antihelden aus Ferenc Molnárs weltberühmter Novelle A Pál utcai fiúk (Die Jungs von der Paulstraße) vergleicht. Die Fidesz-Interpretation des Regimewechsels sowie die unter ihresgleichen abgehaltenen Feierlichkeiten zu dessen Jahrestag erschienen ebenso unzulänglich wie ein Szenario, in dem sich die Rothemden aus Molnárs Novelle selbst als die Verteidiger des „Grunds“ bezeichnen würden. (Bei diesem „Grund“ handelt es sich um eine Brachfläche, die die Jungs von der Paulstraße als ihre „Heimat“ betrachten und die sie heldenhaft gegen die gewaltbereiten Rothemden verteidigen – Anm. d. Red.) Der Philosoph und leidenschaftliche Regierungskritiker hofft, dass ein Immobilienentwickler kommen und „ihren auf Diebstahl und Verlogenheit basierenden Grund“ zerstören möge.
Ágoston Sámuel Mráz auf der anderen Seite kritisiert die Entscheidung der Opposition, die Gedenksitzung zu boykottieren. Die heutigen Divergenzen in der Politik bewiesen die Vitalität der 1990 eingeführten Demokratie, als scharfe offene Debatten zwischen Regierung und Opposition zu einem Teil der politischen Normalität geworden seien, so der regierungsfreundliche Analyst in einem auf hirado.hu abrufbaren Video. Die Linke habe zusehends ihre linken Werte aufgegeben und sich zu einer Unterstützerin des Liberalismus entwickelt. Jedenfalls hätten die gegenwärtigen Oppositionsparteien angesichts der Weigerung, gemeinsam mit ihren Gegnern an die Gründung der Demokratie zu erinnern, einen negativen Geschichtsstempel hinterlassen, so Mráz abschließend.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: MTI – Zoltán Máthé)