Die Jahre 1989-90 gehören zu den wichtigsten Perioden der ungarischen Geschichte im 20. Jahrhundert und markieren das Ende des ehemaligen kommunistischen Regimes und den Beginn einer parlamentarischen Demokratie auf der Grundlage eines Mehrparteiensystems. Anlässlich des 30. Jahrestages des Regimewechsels erinnern wir an József Antall, der als erster demokratisch gewählter ungarischer Ministerpräsident das Land bis zu seinem tragischen Tod auf dem holprigen Weg zur Geburt der Demokratie führte. Aus diesem Anlass hat unsere Schwesterseite Hungary Today den Sohn des Premiers, Péter Antall, unter anderem zu der Taxiblockade, dem Regimewechsel, den Errungenschaften der Antall-Regierung, der Zeit seines Vaters als Premierminister und seiner Krankheit befragt. Interview von Péter Cseresnyés – Hungary Today.
Viele sind der Meinung, dass Ihr Vater in die Politik hineingeboren wurde, da Ihr Großvater, József Antall sen., neben seiner Position im Innenministerium Mitglied der Unabhängigen Kleinbauernpartei war. Darüber hinaus wird mit seinem Namen die Versorgung und das Verstecken vieler polnischer, jüdischer, französischer und anderer Flüchtlinge in Verbindung gebracht. Inwieweit hat der „Geist“ Ihres Großvaters die Familie, die Denkweise Ihres Vaters oder dessen politische Berufung beeinflusst?
Mein Großvater spielte tatsächlich eine große Rolle bei der persönlichen Motivation meines Vaters. Er war Gründungsmitglied der 1931 gegründeten Unabhängigen Kleinbauernpartei (FKGP). Später, bis zur deutschen Invasion 1944, war er Abteilungsleiter im Innenministerium und wurde mit der Asylpolitik beauftragt – natürlich mit dem Wissen und der Zustimmung von Ministerpräsident Pál Teleki. Er war an der Rettung des Lebens von Zehntausenden jüdischer Flüchtlinge beteiligt. Der Besuch von Nord-Siebenbürgen, Szeklerland und Transkarpatien mit meinem Großvater nach dem Wiener Schiedsspruch hatte ebenso einen großen Einfluss auf meinen Vater. Es ist aber auch wichtig, den Namen meines Urgroßvaters István Szűcs zu erwähnen, der selten erwähnt wird, obwohl seine Persönlichkeit und Arbeit den Charakter meines Vaters maßgeblich mitbeeinflusst haben. Als Sekretär von Albert Apponyi (Vom 8. April 1906 bis 17. Januar 1910 und vom 15. Juni 1917 bis 8. Mai 1918 amtierte Apponyi als ungarischer Minister für Kultus und Unterricht, er war nach dem Ersten Weltkrieg 1920 ungarischer Delegationsführer bei der Pariser Friedenskonferenz 1919 in Versailles – Red.) war er beispielsweise an der Schaffung der „Lex Apponyi“ beteiligt, in der festgelegt wurde, dass Ungarisch in jeder Schule unterrichtet werden sollte, unabhängig davon, ob die Schule öffentlich ist oder nicht. Unmittelbar vor seiner Pensionierung war er stellvertretender Staatssekretär von Kunó Klebelsberg (Klebelsberg war für seine Bildungsreform berühmt – Red.).
Im Leben meines Vaters war es auch eine entscheidende Erfahrung, dass er als Teenager die Schrecken des Zweiten Weltkriegs durchleben musste, aber auch die nachfolgende Koalitionsregierung und ihre Aktionen haben ihn tief geprägt.
Die Herausforderung war schon damals enorm: Das Land musste wiederaufgebaut werden. Es wird oft gesagt, dass mein Vater sich schon ab seinem 16. Lebensjahr darauf vorbereitete, Premierminister zu werden. Ich glaube, es war wirklich so, obwohl es vielleicht genauer wäre, wenn wir statt Ministerpräsidenten eher Politiker sagen würden.
Ihr Vater nahm seit Anfang 1988 an den Veranstaltungen der Mitte-Rechts-Partei MDF (Ungarisches Demokratisches Forum) teil. Der „Oppositionelle Runde Tisch“ wurde am 22. März 1989 eingerichtet und die Partei (MDF) delegierte ihn zu den Diskussionen. Zu diesem Zeitpunkt waren Sie bereits 25 Jahre alt. Wie haben Sie und Ihr Vater damals den Übergangsprozess gesehen?
Ich konnte als Erwachsener den gesamten Übergangsprozess verfolgen und da ich zu diesem Zeitpunkt bereits als Fotojournalist tätig war, hatte ich nicht nur durch meinen Vater die Möglichkeit, die Ereignisse aus nächster Nähe zu beobachten. Mein Vater suchte zunächst nach verschieden Möglichkeiten, eine solche Partei war die Unabhängige Kleinbauernpartei. Er erkannte jedoch, dass allein das MDF die notwendige Basis besaß, um eine Wahl gewinnen zu können. Sein erster großer politischer Auftritt fand etwas mehr als ein Jahr vor den ersten freien Wahlen im März 1989 statt, als er auf dem 1. Nationalkongress der Partei (MDF) eine Rede hielt.
Es war jedoch kein großer Erfolg. Die Teilnehmer empfanden seine etwas lehrerhafte, von historischer Herangehensweise und außenpolitischen Erläuterungen durchdrungen Rede als sehr fremd – viele im Publikum verstanden die Hälfte davon wohl nicht einmal. Er wurde erst später während der Rundtischgespräche, bei denen er die Partei MDF repräsentierte, landesweit bekannt. Die Partei delegierte ihn, weil man glaubte, dass seine einschlägigen Kenntnisse in Verwaltung und öffentlichem Recht ihn für diese Position geeignet machen würden.
Wenn ich zurückdenke, konnte ich mir damals noch nicht vorstellen, dass die kommunistische Staatspartei ihre Macht einfach abgeben würde. Ihre Idee war es dann, die sogenannten alternativen Organisationen arbeiten zu lassen und dabei die tatsächliche politische Macht zu behalten.
Mein Vater war auch Gorbatschow gegenüber ziemlich skeptisch. Er befürchtete, dass er von der Armee gestürzt würde und ein ähnliches Schicksal erleiden würde wie Chruschtschow. Infolgedessen hätten konservative Kommunisten sich verstärken können und die Reformprozesse wären vollständig zum Stillstand gekommen.
Wann hatte die Familie zum ersten Mal das Gefühl, dass das kommunistische Regime gestürzt werden könnte?
Vielleicht zwischen den beiden Runden der ersten freien Wahlen hatten wir das Gefühl, dass die Kommunisten abgelöst werden könnten. Ich erinnere mich, als wir nach dem ersten Wahlgang im Morgengrauen nach Hause gingen, war mein Vater sehr schlechter Laune. Es gab nur dreieinhalb Prozent zwischen dem MDF und [ihrem Hauptkonkurrenten, dem liberalen] SZDSZ. Er machte sich darüber Sorgen, wie er eine stabile Regierung bilden könnte. Er war sich bewusst, dass in einer solch schrecklichen politischen und wirtschaftlichen Situation das Land eine sehr stabile Regierung braucht. In der zweiten Runde erhielt dann das MDF etwas mehr als 42 % der Stimmen. (Es erreichte 164 von insgesamt 386 Parlamentsplätzen, das entsprach 42,5 Prozent der Stimmen.) Er bildete eine Mitte-rechts-Koalition mit der ideologisch nahestehenden Unabhängigen Partei der Kleinlandwirte (FKgP) und der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP).
Wie haben Sie es erlebt, der Sohn des ersten frei gewählten ungarischen Premierministers zu sein?
Gegen Ende des Jahres 1989 hatten mich meine Freunde bereits gefragt, ob ich mich darauf vorbereiten würde, dass mein Vater Premierminister wird. Ich habe diese Fragen immer beseitigt, indem ich sagte: „Warten wir die Wahlen ab!“ Dann, am 8. April 1990, gerade am 58. Geburtstag meines Vaters, konnten wir den Wahlsieg feiern. Diese Nacht war berauschend, sowohl er als auch die ganze Familie hatten das Gefühl, dass sich all die harte Arbeit, in die er jahrzehntelang investiert hatte, endlich ausgezahlt hatte.
Seine Antrittsrede war mir zu pathetisch. Er hatte natürlich immer diesen Stil und daneben war er auch ein Historiker.
Ich habe immer gesagt, dass er die Ideen des 21. Jahrhunderts mit einer Rhetorik des 19. Jahrhunderts präsentiert. Als Premierminister konnte er jedoch nicht glücklich sein.
Er glaubte, dass sich das Land in einer Position befindet, in der es keinen Grund zu Fröhlichkeit gibt. Und in dieser Zeit wusste er noch nicht einmal alles. Es war interessant, dass ich meinen Vater tagsüber fotografierte, während er die Visegrád-Erklärung unterschrieb, und ihn dann erst wieder abends beim Abendessen traf, das heißt, ich habe ihn wenig gesehen.
Wusste man von Anfang an, dass der Regimewechsel nicht einfach sein würde? Hat Ihr Vater von Anfang an seine historische Verantwortung und deren Last gespürt?
Absolut, es hat ihn auch sehr deprimiert. Schon vor der Regierungsbildung kam er immer spät in der Nacht nach Hause. Später als Premierminister hielt er bis spät in die Nacht Regierungssitzungen ab. Es gab immer etwas zu tun, ein Problem zu lösen, Schwierigkeiten zu beseitigen oder nur einen internen Krieg in der Partei MDF zu verwalten, in der einige der Gründer gegen meinen Vater arbeiteten, angeführt von Sándor Lezsák.
Welche sind die drei wichtigsten Errungenschaften der Antall-Regierung?
Das erste und wichtigste war, dass sich die sowjetischen Truppen während seiner Führung aus Ungarn endgültig zurückzogen.
Ein anderer wichtiger Schritt war der Ausbau der Atlantikverbindung, nämlich das äußerst günstige Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, das zum NATO-Beitritt Ungarns geführt hat. Zuletzt wurde auch die Grundlage für den Beitritt zur Europäischen Union geschaffen. Tatsächlich könnte ich die gesamte Außenpolitik der Antall-Regierung nennen, da Ungarn viele diplomatische Beziehungen bis heute aufrechthält, die noch mein Vater aufzubauen begann. Neben den bereits erwähnten Allianzen war sowohl die Idee der Zusammenarbeit der Visegrád-Staaten, als auch die mitteleuropäische Zusammenarbeit seine Idee.
Übrigens hatte er von Anfang an auch im Westen Beziehungen ausgebaut, worauf man später bauen konnte. Ich erinnere mich an die Zeit der „Taxiblockade“, als 40 000 Taxifahrer mit ihren Fahrzeugen Budapests sechs Donaubrücken blockierten. Er war bereits schwer krank, und ich war bei ihm im Krankenhaus zu Besuch.
Er sagte, er habe gerade mit Helmut Kohl telefoniert. Er stimmte mit dem Bundeskanzler ab, dass Ungarn Kohlevorräte erhalten solle, da die Kohlekraftwerke damals stillgelegt worden waren. Für ihn war dazu nur ein einziger Telefonanruf nötig.
Zu Hause erzählte er uns oft, wie wichtig es sei, persönliche Verbindungen in der internationalen Politik aufzubauen. Als er in Japan war, wohnte er im selben Hotel wie die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher. Er schickte ihr eine Visitenkarte, um zu zeigen, dass er gerne mit ihr sprechen würde. Thatcher war absolut offen dafür, also setzten sie sich in die Lobby des Hotels, um darüber zu sprechen, wie mein Vater den Jugoslawienkrieg sah.
Wie waren Sie und Ihre Familie von den oft unbegründeten Kritiken und Angriffen gegen Ihren Vater betroffen, die oft Teil politischer Kämpfe waren?
Er selbst fand es schwierig, es zu ertragen, da er früher ein beliebter Lehrer, später Museumsleiter war. Viele mochten ihn. Er war eigentlich kein richtiger Redner, sondern vielmehr jemand, der sich in kleineren sozialen Kreisen wohl fühlt. Er konnte sehr unterhaltsam und lustig sein, er hatte einen großartigen Sinn für Humor – obwohl er es während seiner Zeit als Premierminister leider nicht viel zeigen konnte – tatsächlich konnte er sehr persönlich sein, und derjenige, den er kritisierte, konnte es nur schwer ertragen. Sein Humor war oft persönlich und wenn er ihn mir gegenüber „anwandte“, mochte ich das gar nicht (lacht).
Ich konnte in meiner Arbeit bei der Presse sehen, wie feindlich die Journalisten ihm und oft sogar mir gegenüber eingestellt waren. Wenn ein Journalist ihn zu diesem Zeitpunkt nicht heftig genug kritisiert hatte, wurde er sofort beschuldigt, einen Deal mit der Regierung zu haben. Auch ich wurde angegriffen.
Wann haben Sie erfahren, dass Ihr Vater schwer krank ist? Wie hat die Familie darauf reagiert?
Er erzählte uns bereits im April 1990, dass er etwas Seltsames in seiner linken Achselhöhle fühlte. Wir rieten ihm natürlich sofort, einen Arzt aufzusuchen. Aber dann musste er sich mit den Schwierigkeiten der Regierungsbildung und verschiedenen dringenden Aufgaben auseinandersetzen, also ging er nicht zum Arzt. Im Herbst hatte er bereits starke Schmerzen und als er Präsident George H. W. Bush in den USA besuchte, konnte er während der Hymne nicht einmal aufrecht stehen, so große Schmerzen bereitete ihm der Knoten. Sofort nach der Taxiblockade im Herbst 1990 rief er mich zu sich ins Krankenhaus, dort erfuhr ich davon. Er sagte, wenn er eine Behandlung bekäme, könnte er vielleicht noch drei Jahre leben, wenn aber nicht, nur noch drei Monate. Er sagte zu mir, ich solle mein zukünftiges Leben in diesem Sinne planen. Was danach kam, war ein Albtraum.
Danach plante er immer nur für zwei-drei Monate im Voraus, sagte aber gleichzeitig immer, er sei ein freier Mann und müsse als todkranker Mensch keine prinzipienlosen Geschäfte machen. Er arbeitete Tag und Nacht, während er sich seiner tödlichen Krankheit voll bewusst war.
Welches Gefühl war es zu sehen, dass Ihr Vater gleichzeitig mit Krebs kämpfte und versuchte, das demokratische institutionelle und politische System Ungarns aufzubauen?
1992 hatte ich in Ägypten die Gelegenheit, mehrere Reiseführer und ein Fotoalbum zu erstellen. Während ich im Ausland arbeitete, kam ich nur alle paar Monate für ein paar Tage nach Hause. Es war schockierend zu sehen, wie schnell sich der Zustand meines Vaters verschlechterte. Am auffälligsten war sein extrem schneller Gewichtsverlust. In der Zwischenzeit sagte er jedoch immer, wenn ich ihn traf, dass er glücklich sei, weil er keine Zeit hat, sich mit seinen eigenen Gesundheitsproblemen zu befassen und darüber zu trauern. Als seine Behandlung begann, waren wir alle hoffnungsvoll. Sogar mein Vater. Zu dieser Zeit sagte er oft, dass er sich eine 50 prozentige Überlebenschance gibt. Ich erinnere mich noch daran, dass meine Mutter und ich zu Hause waren, als der Arzt anrief und mir sagte, dass mein Vater eine aggressive Leukämie habe und nur noch einige Wochen leben würde. Mein Vater hat uns natürlich gebeten, die Nachrichten geheim zu halten. Meine Mutter musste an Protokollveranstaltungen teilnehmen und ich musste versuchen, es zu verbergen, damit niemand dies an uns bemerken konnte. Es war unbeschreiblich schwer.
Was hat Ihr Vater gedacht: dass er schon alles getan hat, was er konnte, oder hat er sich darauf konzentriert, wie viel er noch tun will?
Vielleicht mehr Letzteres.
Ich glaube, er war sich bewusst, dass er während seiner Zeit als Premierminister den Grundstein für die Demokratie im Land gelegt hatte.
Aber er plante immer voraus und überprüfte, welche Aufgaben ihn noch erwarteten. Ich erinnere mich, dass in seinem Kalender beispielsweise Anfang nächsten Jahres ein Treffen mit Präsident Clinton vermerkt war. Aber er konnte nicht mehr dorthin gehen – er lebte nicht lange genug.
Können Sie die legendäre Behauptung widerlegen oder bestätigen, dass József Antall auf seinem Sterbebett Viktor Orbán zu seinem politischen Erben ernannte?
Die Geschichte ist komplizierter. Soweit ich weiß, haben sie miteinander telefoniert. Mein Vater lobte Viktor Orbán [den Vorsitzenden der damals noch liberalen Jugendpartei Fidesz] und würdigte sein herausragendes Talent, weshalb er ihm bei den internationalen Beziehungen half. Wichtig ist zu erwähnen, dass Orbán während der Taxiblockade die liberale Partei SZDSZ nicht unterstützte.
Als unsere Familie sich gerade wieder wegen einer Rede Orbáns im Parlament aufregte, sagte mein Vater immer: er sei ein Oppositionspolitiker, also könne man es akzeptieren. Ich glaube, dass der Hauptgrund für seine verzeihende Haltung war, dass Orbán ihn daran erinnerte, dass er bei einer erfolgreichen Revolution von 1956 – mein Vater war damals 24 Jahre alt – eine ähnliche politische Karriere gehabt hätte. Dies mag eine der Grundlagen seines Mitgefühls gewesen sein. Übrigens sympathisierte er nicht nur mit Orbán, sondern auch mit mehreren anderen Oppositionspolitikern – vor allem denjenigen, mit denen er an den Rundtisch-Gesprächen teilnahm. Die Politiker des SZDSZ gefielen ihm jedoch nicht. Aber dieses Gefühl war beiderseitig.
Dennoch schlossen die beiden Parteien einen Pakt.
Als mein Vater sagte, dass die liberale Partei SZDSZ der Vereinbarung zustimmte, war ich unglaublich überrascht, da diese in erster Linie den MDF begünstigte. Nur so konnte man die Regierbarkeit des Landes sichern. Nach dem damaligen Verfassungssystem war die Verabschiedung des Haushaltsplans unter anderem an eine Zweidrittelmehrheit gebunden, der die Opposition natürlich in der Regel nicht zustimmen würde. In diesem Fall wäre das Land jedoch unregierbar geworden.
Die Sozialisten erwarteten zu Recht, dass die Antall-Regierung in sechs Monaten scheitern würde.
Interessanterweise fanden die Ereignisse der Taxiblockade genau ein halbes Jahr nach den Frühjahrswahlen 1990 statt. Es zeigt auch, dass dies keine spontane Aktion war, sondern ein Putschversuch gegen den Staat. Und das politische Hauptziel war es, den SZDSZ an die Macht zu bringen, wobei die Antall-Regierung ihn in eine Koalition aufnahm.
Es gibt viele berühmte politische Zitate, die mit Ihrem Vater verbunden sind. Welche beschreibt seine Denkweise am besten?
„Wir wussten, was zu tun ist und wir haben getan, was wir konnten.“ Mein Vater musste so Politik machen, dass die Russen keinen Vorwand hatten, hier zu bleiben. Sie wollten nicht abziehen. Darüber hinaus halte auch ich selbst die Situation für absurd, dass Gábor Péter [Chef der berüchtigten kommunistischen Staatspolizei, der ÁVH] und seine Mitarbeiter nicht verurteilt wurden. Auch die sogenannten „Blutrichter“ wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. In dem damaligen politischen Klima war dies leider nicht möglich. Mein Vater war ein Verfechter der Realpolitik, für ihn war es oberste Priorität, die Unabhängigkeit des Landes zurückzugewinnen.
Der Preis für einen demokratischen, friedlichen Übergang war, dass die politische Nomenklatur des vorherigen Systems weiterhin in der Wirtschaft fortbestehen konnte. Ich denke, es war ein realistischer Preis, obwohl es auch mich sehr gestört hat.
Wie bewerten Sie nach 30 Jahren den Prozess des Systemwechsels? Wie erfolgreich war er, was hätte besser gemacht werden können oder sollen?
Im Nachhinein ist es leicht, klug zu sein, aber man muss erkennen, dass die Antall-Regierung etwas erreicht hat, was keinem zuvor gelang: Sie führte das Land von einem fast zu 100 Prozent staatlichem Eigentumssystem in die Privatisierung.
Dies alles geschah tat sie mit einer Wirtschaft in Trümmern, von der viele Menschen, insbesondere am Anfang, nicht einmal wussten, wie sehr sie zerstört war. Mein Vater jedoch sah dies sehr genau: Er sprach auch von einer „Kamikaze-Regierung“.
Viele griffen die Antall-Regierung an, weil sie das Kabinett als eine Wissenschaftler- oder Historiker-Regierung betrachteten. Da war auch etwas Wahrheit drin, aber nur die Kommunisten verfügten über einen politisch versierten Apparat. Natürlich war es nicht möglich, mit denselben Leuten weiterzumachen, aber die Bürokratie musste übernommen werden, da es nicht möglich war, ein Land ohne qualifizierte Beamte zu führen.
Was denken Sie, existiert heute noch diese politische Kultur, die Ihr Vater damals vertrat?
Ich glaube nicht, dass die Mentalität völlig verschwunden ist. Außerdem hat mein Vater auch heute noch Bewunderer, selbst unter den derzeitigen Regierungsmitgliedern. Als Beispiel kann ich den Kanzleramtsminister Gergely Gulyás nennen, aber auch selbst den Ministerpräsidenten.
Heute, 30 Jahre nach dem Regimewechsel, betreiben Sie ein Wissenszentrum, das nach Ihrem Vater benannt ist. Was bedeutet das für Sie?
Es ist etwas absurd, aber durch viele Jahre harter Arbeit habe ich es geschafft, den Namen Antall wiederzugewinnen. Es bedeutet mir sehr viel, diese Institution leiten zu können.
Als ich im Herbst 2001 im Justizministerium in der Amtszeit von Justizministerin Ibolya Dávid arbeitete, kamen wir im Büro des stellvertretenden Außenministers Zoltán Márky auf die Idee, dass das deutsche Parteistiftungsmodell in Ungarn übernommen werden sollte, und wenn es funktioniert, sollte die MDF-Parteistiftung nach József Antall benannt werden, und die nächste politische Generation könnte dort herangezogen werden.
Ich nannte als Beispiel die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung, ich dachte, etwas ähnliches könnte auch hier aufgebaut werden. Mein Vater hatte eine ähnliche Initiative, die Lajos Batthyány Stiftung.
2005 schwor ich mir, den Namen Antall aus dem MDF auszulagern, weil es zu diesem Zeitpunkt schon klar war, dass die damalige Parteiführung ihn nicht optimal nutzen wollte. Zu diesem Zeitpunkt begann ich, ein völlig unabhängiges Institut zu organisieren. Das Wissenszentrum wurde auf der Grundidee des Talentmanagements aufgebaut. Die Basis sollten Studierende sein, die an einem Praktikum teilnehmen möchten, bei dem sie sinnvolle Arbeit leisten können. Außerdem habe ich von meinem Vater gelernt, wie wichtig es ist, internationale Beziehungen aufzubauen, und das Wissenszentrum hat sich auch das als wichtiges Ziel gesetzt. Ich sage meinen Kollegen immer, dass der Name Antall ein Blankoscheck ist, den man nutzen muss.
(Via: der vollständige Artikel erschien auf Hungary Today, geschrieben von Péter Cseresnyés, übersetzt von Ungarn Heute, Fotos: Attila Lambert – Hungary Today)