Während die dritte Welle der Coronaviruspandemie Ungarn massiv trifft, diskutieren Kommentatoren aus allen politischen Lagern über die Strategie der Regierung und spekulieren über mögliche Zeitpunkte für eine Beendigung des Notstands.
In Magyar Demokrata blickt Judit Szabó auf ein Jahr Coronavirus-Notstand zurück und meint, dass wir gute Gründe für Optimismus hätten. Dank der von der Regierung bestellten Impfstoffe Sputnik V und Sinopharm sei die ungarische Impfrate die zweithöchste in der Europäischen Union nach Malta, frohlockt die Autorin und zeigt sich beruhigt, weil die Ärzte das Virus jetzt viel besser verstehen würden als vor einem Jahr und sie den Patienten wirkungsvoller helfen könnten. Der Fall Israel zeige, so Szabó, dass die Impfung ein sehr effektives Mittel im Kampf gegen das Coronavirus sei. Möge Ungarn bald nachziehen und mit fortschreitendem Impfprozess wieder öffnen.
Péter G. Fehér bezeichnet das Impfstoff-Kaufprogramm der EU als einen totalen Reinfall. In einem Kommentar für Magyar Hírlap wirft der regierungsnahe Kolumnist der EU-Spitze vor, chinesische und russische Impfstoffe aus ideologischen Gründen abzulehnen. Nunmehr jedoch würden sie erkennen, dass sie ihre anti-russischen und anti-östlichen Vorurteile beiseite schieben müssten, um die Impfprozesse zu beschleunigen.
In einem Post auf seiner Facebook-Seite widerspricht der konservative Kommentator Gábor Bencsik regierungsnahen und dabei die EU lautstark kritisierenden Stimmen. Bencsik räumt ein, dass die Europäische Union zu bürokratisch und langsam agiere. Dennoch habe sie ihren Mitgliedern, einschließlich Ungarn, preiswerte Impfstoffe besorgt. Die ungarische Regierung habe mit der Genehmigung von Impfstoffen aus dem Osten als Vorreiter klug gehandelt. Allerdings sei das kein Grund dafür, dass die ungarische Rechte die Vorteile der Teilnahme am gemeinsamen Impfstoffeinkauf der EU leugne. „Das alles anzuerkennen, schwächt die Chancen der Rechten bei den Wahlen 2022 keineswegs“, schließt Bencsik seinen Eintrag.
Attila Weinhardt rechnet damit, dass Ungarn bereits im April wieder öffnen könne. Gemäß seiner auf Portfolio veröffentlichten Prognose werde Ungarn innerhalb eines Monats vier Millionen Impfdosen erhalten. Bis zur zweiten Maihälfte werde das Land über genug Impfstoffe verfügen, um die gesamte erwachsene Bevölkerung zu immunisieren. Weinhardt prognostiziert, dass in der zweiten Aprilhälfte die Impfquote über 50 Prozent betragen werde. Dann könnten die Restriktionen vorsichtig gelockert werden.
Zoltán Haszán von 444 bezweifelt hingegen, dass die Impfungen in Ungarn in absehbarer Zeit eine Wiederöffnung des Landes ermöglichen würden. Nach Schätzung des liberalen Onlineredakteurs gibt es bis zu drei Millionen Ungarn, die entweder die Impfung erhalten haben oder durch Genesung gegen das Virus immunisiert wurden. Um die für die Herdenimmunität notwendige Impfquote von 60 bis 70 Prozent zu erreichen, müsse sich die Impfbereitschaft der Ungarn allerdings weiter steigern, so Haszán. Aktuell seien etwas mehr als 50 Prozent der Ungarn bereit, sich impfen zu lassen, und weitere 20 Prozent würden dies in Betracht ziehen.
Magyar Narancs beschuldigt in ihrem Leitartikel auf Seite eins die Regierung, russische und chinesische Impfstoffe zu irrsinnig hohen Preisen einzukaufen. Das linksliberale Wochenmagazin erinnert daran, dass nach Angaben der Regierung die Impfstoffe von Sinopharm 31,50 EUR und die von Spuntik V 10 EUR kosten würden. Laut Berechnungen von Magyar Narancs hat die ungarische Regierung doppelt so viel für den chinesischen Impfstoff gezahlt wie verschiedene andere Länder, darunter der Senegal. (Die chinesische Regierung zahlt Sinopharm umgerechnet 26 Euro für eine Dosis des Impfstoffs. – Anm. d. Red.) Dieser Preis lasse sich nicht durch die schwache Verhandlungsposition Ungarns erklären, vermuten die Leitartikler und behaupten, dass sich die den Impfstoff importierenden Offshore-Firmen im Besitz von Fidesz-treuen Unternehmern befänden, die die Notlage zur Abschöpfung öffentlicher Gelder missbrauchen würden.
Die Regierung bevorzuge aus ideologischen Gründen russische und chinesische Impfstoffe, schreibt Ferenc Falus in einem Gastkommentar für Élet és Irodalom. Nach der Interpretation des linksoppositionellen Bürgermeisterkandidaten bei den Budapester Kommunalwahlen 2014 möchte die Regierung, indem sie auf östliche Impfstoffe setze, eine klare gegen die EU gerichtete Botschaft aussenden. Falus – von Beruf Arzt – ist der Meinung, dass sowohl der russische als auch der chinesische Impfstoff nicht ausreichend getestet seien. Auch kritisiert er die Gesundheitsreform der Regierung mit der Behauptung, sie sei zeitlich falsch geplant, chaotisch und werde in einer Privatisierung des Gesundheitswesens münden.
Péter Pető von 24.hu vertritt die Auffassung, dass sowohl die Regierung als auch die Opposition das Impfgeschehen instrumentalisieren würden, um hochgradig ideologische und demagogische Botschaften auszusenden. Die Regierung nutze das schleppende System des EU-Impfstoffeinkaufs, um das zu wiederholen, was sie als Anti-EU- und Pro-Ost-Botschaften definiere, so der linke Kommentator. Die Opposition hingegen verfolge einen ähnlich ideologisch gepflasterten Weg: So habe sie angeregt, dass nur westliche, von westlichen Gesundheitsbehörden zugelassene Impfstoffe verwendet werden sollten. Und sie habe Ministerpräsident Orbán bezichtigt, die freie und demokratische Welt verlassen zu wollen.
Besonders absurd findet Pető Behauptungen der Opposition, die Regierung riskiere den Einsatz von Impfstoffen, die der Gesundheit der ungarischen Bevölkerung schaden könnten. Es sei doch traurig, dass sowohl Rechte als auch Linke die Notlage ausnutzen würden, um sich gegenseitig um jeden Preis zu diskreditieren. Abschließend konstatiert Pető: Die Verschwörungstheorien und demagogischen Botschaften der Politiker würden das Vertrauen weiter untergraben und eine auf Verschwörungstheorien fokussierte Politik befördern.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: Balázs Mohai/MTI)