"Der Streik findet statt, weil die Regierung ihre Reaktion auf den vernachlässigten Zustand des öffentlichen Bildungswesens nicht länger hinauszögern kann", heißt es in der Erklärung der Lehrergewerkschaft. Weiterlesen
Vielerorts hat der Unterricht in Ungarn am Montagmorgen um 8:00 Uhr nicht begonnen, da ein zweistündiger Warnstreik abgehalten wurde. Die beiden großen Lehrergewerkschaften forderten damit unter anderem eine Lohnerhöhung, eine Verringerung der Arbeitsbelastung und die Rücknahme der kürzlich eingeführten Impfpflicht. Nach Angaben des Ministeriums für Humanressourcen war der Streik rechtswidrig. Die Zahl der am Streik teilnehmenden Lehrer war viel geringer als erwartet.
Nach vorläufigen Zahlen haben sich mehr als 20.000 Lehrer an dem für Montagmorgen angekündigten zweistündigen Warnstreik beteiligt, wie die beiden Lehrergewerkschaften, die den Streik organisiert haben, die Demokratische Lehrergewerkschaft (PDSZ) und die Pädagogische Gewerkschaft (PSZ), auf einer Pressekonferenz am Nachmittag mitteilten. Diese Zahl kann sich noch ändern, da drei Stunden nach Ende des Streiks nur Teilergebnisse vorlagen.
Nach Angaben der Gewerkschaften gab es zwei Gründe dafür, dass sich nur etwa 20.000 Menschen am Streik beteiligten: „Die Regierung hat unglaublichen Druck auf Eltern und Lehrer ausgeübt, um diesen Streik zu verhindern“, sagte Zsuzsa Szabó, Vorsitzende der Gewerkschhaft PSZ. Sie sagte, es gebe Einrichtungen, in denen ganze Delegationen der Schulbezirksleitungen unterwegs waren, um den streikenden Lehrern zu drohen, während in anderen Einrichtungen Beobachter versuchten, die Lehrer zur Beendigung der Arbeitsniederlegung zu bewegen. Sie lehnte es jedoch ab, konkrete Institutionen zu nennen.
Tamás Totyik, stellvertretender Vorsitzender der PSZ, erklärte noch vor dem Streik gegenüber der Zeitung Népszava ebenfalls, dass es Einrichtungen gab, die sich unter dem Druck der Regierung und der Schulbezirke schließlich vom Streik zurückgezogen haben, aber es gab auch Einrichtungen, in denen sich immer mehr Menschen gerade wegen der Drohungen dazu entschlossen hatten, sich an der Aktion zu beteiligen. Der Vizepräsident wies auch darauf hin, dass die Lehrer von vielen Eltern unterstützt wurden, die angedeutet hatten, dass sie ihre Kinder während der Streikzeiten nicht zur Schule bringen würden.
Gleichzeitig mit der Pressekonferenz der Gewerkschaften gab das für Bildungswesen zuständige Ministerium (EMMI) eine Erklärung ab, in der es mitteilte, dass sich weniger als ein Fünftel der landesweit an den Schulen beschäftigten Lehrkräfte am Montag am Streik beteiligten. Außerdem bekräftigte es ihren Standpunkt erneut, dass der Streik illegal war.
Die Gewerkschaften hatten bereits im Oktober die Bildung eines gemeinsamen Streikkomitees angekündigt. Sie stellten fünf Forderungen, nach monatelangen Verhandlungen mit dem EMMI konnte jedoch keine Einigung erzielt wurden.
Zu den Forderungen gehörte eine Erhöhung der Lehrergehälter um 45 %, sowie eine Erhöhung der Gehälter in den Hilfsberufen, die Verordnung über die Pflichtimpfung für Lehrer für mindestens einen Monat auszusetzen, die Pflichtstundenzahl für Lehrer auf 22 Stunden pro Woche herabzusetzen und dass Lehrassistenten bis zu 35 Stunden pro Woche zugewiesen werden sollte
Da es lange Zeit keine Fortschritte gab, riefen die PDSZ und die PSZ schließlich am 15. Dezember einen zweistündigen Warnstreik für den 31. Januar aus. Das für Bildungswesen zuständige Ministerium (EMMI) bezeichnete den Streik als eine Kampagne der Linken, erklärte aber, sie sei weiterhin offen für Verhandlungen. Die beiden Seiten sollten sich über die Einzelheiten des Streiks einigen, was jedoch nach mehreren Verhandlungen scheiterte.
Obwohl das Budapester Gericht am Freitag den Streik für rechtmäßig erklärte, beharrt das Ministerium weiterhin darauf, dass die Arbeitsniederlegung am Montag illegal war, da der Gerichtsbeschluss noch nicht rechtskräftig ist. Die Gewerkschaften betonten, dass das Ministerium nicht das Recht hat, darüber zu entscheiden, sondern nur das Gericht.
Politiker und zivile Organisationen setzten sich am Montag für Lehrer ein
Der gemeinsame Oppositionskandidat Péter Márki-Zay machte auf seiner Facebook-Seite deutlich, dass er sich nicht nur als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, sondern auch als Vater von sieben Kindern für die Lehrer, für die Erneuerung des öffentlichen Bildungswesens und für die Zukunft einsetzen muss. Er zitierte Albert Szent-Györgyi, der sagte, dass die Zukunft so sein wird, wie die Schulen heute sind.
Er sagt, dass der Zustand des öffentlichen Bildungswesens heute allen Eltern Anlass zur Sorge gibt, wenn sie davon träumen, dass ihre Kinder mehr erreichen. Jeder, der ein Kind in der Schule hat und einen Lehrer kennt, weiß das genau:
Lehrerinnen und Lehrer sind überlastet, ständig reguliert und machen für Hungerlöhne eine Arbeit, von der unsere Zukunft abhängt
Er versprach zugleich, das Bildungswesen nach einem Regierungswechsel am 3. April zu erneuern, den Lehrern eine Gehaltserhöhung zu gewähren und die Mittel für das Bildungswesen zu fördern, weil „uns die Zukunft wichtig ist“.
Auch der Budapester Bürgermeister postete auf seine Facebook Seite und schrieb, dass er und seine Frau mit den Problemen der Lehrkräfte vertraut seien und er deshalb den Streik der Lehrer völlig unterstütze.
„.. Ich bin Ehemann einer Lehrerin. Meine Frau hat viele Jahre lang im öffentlichen Schulwesen unterrichtet, aber seit einigen Jahren arbeitet sie in einer Stiftungsschule, die ihr die Freiheit und Unterstützung gibt, die alle ungarischen Lehrer verdienen würden. Ich schließe mich den Protestierenden an und bekunde meine Solidarität mit den Lehrerinnen und Lehrern, denn wenn sie sich für sich selbst einsetzen, setzen sie sich auch für unsere Kinder ein!“ so Gergely Karácsony.
Die unabhängige Abgeordnete Bernadett Szél setzte sich ebenfalls für die Lehrerinnen und Lehrer ein, indem sie ihre Kinder nur um 10 Uhr zur Schule brachte und allen dankte, die das Gleiche taten.
Heute war es für uns sehr wichtig, Solidarität mit den Lehrern zu zeigen! Die Familie blieb zu Hause, ich brachte die Kinder erst um 10 in den Kindergarten und in die Schule. (…) Ich bin sehr stolz auf die streikenden Lehrer, die für sich selbst eintreten, und auf die Eltern, die sich solidarisch zeigen und verstehen, dass sie nicht nur für sich selbst streiken, sondern auch für unsere Kinder…
Ihnen schlossen sich das ehemalige Protestkomitee der Hochschule für Schauspielkunst, FreeSZFE, die Kinderrechtsorganisation „Hintalovon“ und die berühmte Märchen-Schriftstellerin Judit Berg an.
Am Tag des Streiks veranstalteten die Organisatoren auch eine Auto-Kundgebung. Am Nachmittag werden die Wagen mit karierten Bändern versehen und ein Lautsprecher wird die Öffentlichkeit über die „unerträglichen Zustände im Bildungswesen informieren“, so die Lehrergewerkschaft (PSZ) und die Demokratische Gewerkschaft der Lehrer (PDSZ)
(Titelbild: MTI – Vajda János)