Die Gruppe der Studenten aus Ecuador musste zum zweiten Mal Abschied nehmen. Nach einer schweren Flucht aus der Ukraine, nach einem abgebrochenen Studium haben sie ungarische Menschen zwei Wochen lang in gastfreundlicher Fürsorge untergebracht. Nun wurde ihre Heimreise von der Botschaft Ecuadors organisiert, die Studenten wurden mit Bussen zum Flughafen transportiert. Kein lebhaftes Treiben auf der schmalen Straße, die jungen Menschen warten still auf das Einsteigen. Die kleinen Haustiere, 20 Katzen und Hunde haben sie mitgebracht, werden in Boxen in den Gepäckraum gelegt. Viele ungarische Helfer sind da um Abschied zu nehmen. Es ist etwas unendlich Trauriges zu spüren. Vor-Ort-Bericht von Ungarn Heute-Korrespondenten aus Békásmegyer, wo Studenten aus dem Ecuador eine sichere gastfreundliche Obhut gefunden haben.
Am ersten Tag der russischen Invasion wurden ecuadorianische Studenten in Saporischschja (die Stadt liegt im Südosten des Landes und ist derzeit eines der ersten Zielpunkte der russischen Angriffe) an die Uni gerufen. Ihnen wurde mitgeteilt, dass der Präsenzunterricht aufgehoben wird, zum Teil kann das Lernen online fortgesetzt werden, etliche Prüfungen können ebenfalls abgelegt werden. Den Ausländern, unter ihnen den Studenten aus Ecuador, wurde geraten, das Land möglichst schnell zu verlassen. Unmittelbar vor der Abriegelung konnten dann viele von ihnen die Stadt verlassen. Die Ecuadorianer legten den unheimlich langen Weg zur ukrainisch-ungarischen Grenze teils zu Fuß, teils mit Bussen und Zug zurück. Aus den verschiedenen Städten kommende Studenten trafen sich schließlich in Záhony. Die ungarische Botschaft Ecuadors schickte für die 50 jungen Leute einen Bus.
Sie mussten ihr Leben in der Ukraine aufgeben, der Weg in eine sichere Zukunft wurde ihnen wegen des Kriegs und durch das Abbrechen ihres Studiums völlig gesperrt. Wir haben sie im 3. Bezirk von Budapest, in Békásmegyer getroffen, wo sie für einige Woche von der örtlichen Kirche eine Unterkunft erhielten.
Medizinstudent Marcos erzählte uns: Er ist gerade im sechsten Semester, stand vor einer entscheidenden, das Semester abschließenden Prüfung. Er musste all seine Bücher zurücklassen, machte sich auf einen Weg, von dem er nicht weiß, wohin er führt. Wo wird er sein Studium fortsetzen? Muss er von vorne anfangen, da er jetzt eine neue Sprache erlernen muss? Viele Fragen, die jetzt niemand beantworten kann. Er sagt, es herrschen in ihm bittere Gefühle.
Obwohl es eine enorme Erleichterung ist, in Sicherheit zu sein, musste ich ein Land verlassen, das mich aufnahm, wo ich studieren konnte
Nun ist das Studium abgebrochen, die Zukunft ist ein großes Fragezeichen.
Den anderen in der Gruppe geht es ähnlich. Viele studierten Medizin, einige machten eine Ausbildung zum Piloten, andere waren Informatiker. Warum sie gerade in die Ukraine kamen? Am Anfang spielten vor allem finanzielle Gründe eine entscheidende Rolle in der Wahl des Studienortes. Das Studium in der Ukraine ist nämlich viel billiger, als in den anderen Ländern Europas. Die von ihrer Familie finanzierte Studiengebühr wurde von vielen der Studenten zum Beispiel mit Spanischunterricht an Ukrainer ergänzt. Sie haben inzwischen die ukrainische, einige sogar auch die russische Sprache erlernt, haben sich in dem fremden Land gut eingelebt. Viele von ihnen hielten Haustiere, einige haben dort eine Familie gegründet, sogar ein zwei Monate altes Baby war mit den Eltern auf der Flucht.
Das Ankommen der Ecuadorianer in Krottendorf (Békásmegyer- ein Stadtteil von Budapest) löste große Solidarität aus. Der Pfarrer, András Szili bekam vorher einen Anruf, ob die Pfarrei instande ist, ecuadorianische Studenten aufzunehmen. Der junge Pfarrer ist aufgrund seiner Sprachkenntnisse 100%-ig geeignet für die Hilfe. Er ist auch der Seelsorger der in Ungarn lebenden spanischsprachigen Katholiken. Im Abendgottesdienst verkündete er die Botschaft und bat um Hilfe. Das Pfarrgebäude und das dazu gehörende Gemeinschaftshaus sind zwar genug groß für die Beherbergung von 80 Menschen, aber die dafür notwendige Ausrüstung fehlt.
Diese Bitte hat die Menschen in der Umgebung in Bewegung gebracht. In einigen Stunden wurden Matratzen, Decken, Handtücher, Bettwäsche, Hygieneartikel etc. gesammelt.
Hilfsbereite Menschen erfüllten die Gebäude, es wurde alles gesäubert, um die Matratzen aufzustellen. Andere Helfer kümmerten sich um die Versorgung; als die Studenten ankamen, waren die Tische gedeckt, warmes Essen konnte angeboten werden
Die einheimischen Studenten brachten sie zum Friseur, gingen zusammen einkaufen. Mentoren kamen, um über das Weitere zu sprechen.
Im Laufe der Tage entwickelte sich ein professionelles System der Hilfe. Verschiedene Gruppen sorgten für die Versorgung, Säuberung. Spanisch sprechende Freiwillige kamen. Die Fürsorge wollte erzielen, dass die Flüchtlinge sich hier zu Hause fühlen können. Den Studenten war die Anwesenheit von Alicia Ochoa, Präsidentin des Vereines in Ungarn lebender Ecuadorianer wichtig. „Ich bin auch Mutter, ich weiß, was es bedeutet, wenn Kinder der Unsicherheit ausgeliefert sind.“
In der Pfarrei wollten die Gastgeber nicht nur die Grundbedürfnisse erfüllen, sondern die Bedingung eines „echten“ Lebens. So wurde den Studenten auch eine Stadtbesichtigung und ein Filmklub organisiert. Die Pfarrei bekam einen Besuch vom Kardinal Michael Czerny, Sondergesandten des Papstes und Kardinal, Primar Péter Erdő.
Ein Großteil der Ecuadorianer möchte in die Ukraine zurückkehren, andere möchten zu Hause bleiben, einige erkundigten sich nach den Möglichkeiten in Ungarn. Zwei Freiwillige, Zsuzsanna Leitner Solyomvary und Marietta Juszku sammelten Informationen über die Möglichkeiten in Ungarn.
Wir haben untersucht, wer was studiert, dann die Universitäten kontaktiert. Es gibt etliche Möglichkeiten, die Universitäten sind offen für ihre Aufnahme. Ungarn gefällt allen, sie schätzen die hier erfahrene Sicherheit sehr. Trotzdem ist das eine schwere Entscheidung
fassten sie ihre Erfahrungen zusammen. Am Abschiedsabend versammelten sich Ecuadorianer und Einheimische in der Kirche. András Szili las aus der Bibel die Geschichte der Flucht der heiligen Familie aus Ägypten vor. „Unsere Kirche und Pfarrei trägt von nun an mit einem anderen Inhalt den Namen von Sankt Joseph.
Der Vater Jesu wusste, was es bedeutet, zu fliehen; durch unsere Gäste haben wir das hautnah erlebt. Wir sind ihnen dankbar. Sie gaben uns die Möglichkeit zu zeigen, dass man in der Kirche überall zu Hause ist und der Glaube nicht nur aus Worten besteht, sondern zu Taten führt. Wir sind dankbar, weil wir die Kraft der Gemeinschaf, des Zusammenhaltes erfahren konnten.“
(geschrieben von Éva Trauttwein, Fotos: Zita Merényi – Ungarn Heute)