Wie bringt man Hoffnung in die harte, mit Leid erfüllte Welt der Gefangenen? Der seit 10 Jahren als Gefängnisseelsorger und Koordinator der Gefängnisseelsorger dienende Zoltán Stift kennt diese dunkle Welt, findet aber immer die Hoffnung in der Überzeugung, dass das Leben den Menschen tragenden Sinn hat, da der Mensch für Gott wichtig ist. Wegen der Corona-Pandemie fand unser Gespräch in der Paulinerbibliothek des Zentralpriesterseminars und nicht im Gefängnisgebäude statt. Interview.
Zoltán Stift ist als Pater Angelico für seine biblischen Zeichnungen bekannt. Wie kamen Sie zur Gefängnisseelsorge?
Zeichnen ist für mich der Weg der Evangelisierung, eine Art Berufung. Ich werde oft zu Publikumstreffen eingeladen, meine Zeichnungen werden oft ausgestellt.
Das wollte ich nicht verlieren, aber aus meiner Diözöse – Szombathely (Steinamanger) – die sich in Westungarn befindet, wäre die landesweite Kontakthaltung nur bedingt möglich. Mir wurde die Stelle in Budapest als Gefängnisseelsorger angeboten.
Weder als Kind, noch als Priester träumt man davon, unter Gefangenen zu dienen. Aber wenn das Leben das bringt, erkennt man darin die eigene Aufgabe. Den Priester, sogar Gott suchen vor allem die leidenden Menschen. So empfand ich keinen großen Unterschied, ob ich in der Pfarre oder im Gefängnis tätig bin.
Was hat Sie an dieser Arbeit gereizt?
Die Präsenz der Kirche, die durch die Person eines geweihten Priesters wahrgenommen wird, ist im Gefängnis von existentieller Wichtigkeit. Da kann man sich nicht hinter Glaubensformeln verstecken, man muss sich existentiellen Fragen stellen. Das Ziel sei nicht zu missionieren, sondern für die Menschen da zu sein und ihnen als Vertrauensperson einen Hinweis zu geben. Das Wesentliche ist, als Priester da zu sein. Ich bin im Gefängnis am meisten gefordert, deswegen hat mich diese Tätigkeit in meiner Berufung weitgehend gestärkt.
Was halten Sie für Ihre Aufgabe?
Papst Franziskus sagt, der Hirte ist mitten unter den Schafen, behütet und ermutigt die Herde. Das ist unsere Aufgabe unter den Inhaftierten. Begleiten, unterstützen, dem Leben einen Sinn geben, zuhören. Die Gefängnisseelsorge ist keine Justiz, sondern die Betreuung von Leid. Ich sage mir immer: Das Gericht in mir muss sterben. Ich muss Leben und Barmherzigkeit zu den Menschen bringen.
Die dort lebenden Menschen sind von der Gesellschaft abgelehnt worden. Sie haben oft nichts und niemanden, was Ziel und Sinn hätte geben können, sie sind mit der eigenen Schuld, Sorgen und Ängsten allein gelassen. Sie müssen in der knallharten Welt des Gefängnisses zurechtkommen.
Um zu überleben, brauchen sie täglich Ermutigung. Auch Menschen, die keinen Bezug zur Kirche hatten, finden hier Halt in der Religion, die Kirche hat ihnen aus ihrem großen Glaubensschatz Haltendes zu bieten.
Bald feiern wir Ostern, was kann den Gefangenen Hoffnung bringen?
Im Zentrum meiner Pastoral steht die Messfeier. Gott kommt in unsere Mitte in dieser verlassenen Welt. Hinter den Gittern, in der Darbringung von Brot und Wein ist der sich für uns hingebende Christus präsent. Christus litt, starb am Kreuz. Erlebte die Verlassenheit. Wäre das ein Versagen? Vielleicht, aber dieses Opfer brachte uns die Erlösung. Das gibt Hoffnung, das gibt einen Sinn. Ostern spricht darüber, dass das menschliche Dasein mehr ist, weil der Mensch von Gott geliebt wird.
In der Osterzeit sind Gespräche mit Strafgefangenen und auch mit Bediensteten zunehmend wichtiger. In jeder Festzeit kommen Ängste um die Familie, die Zukunft vermehrt hoch. Schuldgefühle und Ohnmacht lähmen den Menschen. Eingeschlossen können sie für ihre Angehörigen nichts tun. Gespräche bringen die Menschen auf andere Gedanken. In den Gottesdiensten und Gruppentreffen erleben wir Gemeinschaft.
Eine große Freude ist, dass die Häftlinge, Männer zwischen 20 und 50 Jahren gerne singen. Das Singen zusammen gibt ihnen Freude.
Wie erleben Sie es: Kommt bei den Menschen an, was die Religion anbietet?
Wir wären auf falschem Wege, wenn wir den Inhaftierten sagen würden, Glaube an Gott erfüllt mit reiner Freude, hebt dich in die Höhe.
Ja, das Leben wird durch den Glauben besser, aber nicht leichter. Die Menschen brauchen täglich Ermutigung.
In den Gesprächen erlebe ich, wenn ich ihnen mit Wohlwollen, ganz ohne Vorwürfe begegne, dass sie sich öffnen, und mir dunkle Geschichten aus ihrem Leben erzählen, die sie niemandem anvertrauen würden.
Wie ist ihre Beziehung zu den Gefangenen?
Ähnlich, wie zu den Gläubigen in der Gemeinde. Ich bin für sie Priester. Wir verstehen uns gut, lachen und weinen zusammen. In den Gesprächen frage ich nach, konfrontiere, wenn es notwendig ist, halte meine Sichtweise nicht zurück, aber ich verurteile niemanden. Nähe und Distanz sind gleichzeitig wichtig. Ich spreche mit jedem, der mich darum bittet.
Die Gefangenen sind gute Menschenkenner. Der Priester ist ein offenes Buch für sie. Wenn wir ehrlich unter ihnen sind, dann wirkt sich schon unser Dasein positiv aus.
Ist die moralische, die das Leben führende Lehre der Kirche in dem Gefängnis kompatibel?
Wenn wir sie richtig verstehen, schon. Der Christ ist kein emotionaler, zimperlicher Schöngeist, sondern ein, sich auf die göttliche Fürsorge verlassender, Gott vertrauender, mit Herz und Verstand handelnder Mensch. Die Liebe verpflichtet, dem anderen keine Möglichkeit lassen, zu freveln. Eine große Versuchung ist, das Leben als sinnlos zu betrachten. Für wen soll ich mich zusammenreißen? Viele haben niemanden und nichts als Ziel. Wenn man sich nicht fassen kann, saugt einen der Knast ein. Ich habe die Aufgabe, selbst immer wieder Hoffnung zu finden und der Gemeinschaft die Quelle meiner Hoffnung anzubieten.
(geschrieben von Éva Trauttwein, Fotos: Attila Lambert)