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Aachener Heiligtumswallfahrt: Eine tausendjährige europäische Tradition mit ungarischer Teilnahme

Éva Trauttwein 2022.04.17.

Der Aachener Dom mit der jahrtausendalten Wallfahrt ist steingewordene und lebendige Geschichte. Ein Teil dieses vielgestaltigen Bauwerkes ist für Ungarn besonders kostbar. König Ludwig von Ungarn stiftete, auf Inspiration seiner frommen, kunstfördernden Mutter, eine Kapelle, die 1367 als gotische Seitenkapelle an das ursprüngliche Bauwerk angebaut wurde (Ungarnkapelle). Nachdem Elisabeth Piasten die erste Wallfahrt nach Aachen zu den Heiligtümern unternahm, machten sich alle sieben Jahre auch ungarische Pilger auf den Weg. Um dieser 700 Jahre alten Tradition neuen Schwung zu geben, ist Peter Drücker, Domvikar von Aachen auf einer einwöchigen Werbetour in Ungarn, und macht die im Juni 2023 stattfindende Heiligtumswallfahrt bekannt.

Die Aachener Heiligtumsfahrt war die drittbedeutendste Wallfahrt in Europa nach Rom und Santiago de Compostela. Karl der Große, König des Fränkischen Reichs hatte vom Patriarchen aus Jerusalem das Kleid Mariens, die Windeln Jesu, das Lendentuch Jesu und das Enthauptungstuch von Johannes dem Täufer geschenkt bekommen. Der sagenhafte Reliquienschatz  steht im Zentrum der seitdem alle sieben Jahre stattfindenden Heiligtumsfahrt, die in der Regel einen Zeitraum von zehn Tagen im Monat Juni einnimmt.

Im 14. Jahrhundert begann schon die Verehrung der vier großen Aachener Textilreliquien. Mit den alle sieben Jahre stattfindenden Heiligtumsfahrten gingen auch bauliche Veränderungen an der Kirche einher. Der kleine rechteckige Ostchor wurde niedergelegt und eine capella vitrea – ein hohes gotisches Chorhaus zur Präsentation der Heiligtümer und Reliquienschreine erbaut, dessen Weihe zum 600. Todestag Karls des Großen 1414 stattfand. Zur gleichen Zeit wurden auf der Südseite zwei Kapellen an das Oktogon angebaut, die Ungarnkapelle (1367) und, direkt an das gotische Chorhaus anschließend, die Matthiaskapelle (1379/1420).

Fact

Wie ist eine ungarische Kapelle in einer Kathedrale des Weltkulturerbes gelandet?

Ab dem 14. Jahrhundert kamen immer mehr Menschen aus Ungarn nach Aachen, für die König Ludwig der Große 1367, also vor knapp 650 Jahren, den gotischen Vorgängerbau der heutigen Kapelle errichten ließ. Die Kapelle wurde von Maria Theresia im Barockstil umgebaut und in diesem Jahr, 1767, vor 250 Jahren neu geweiht. Joseph II. verbot ungarische Pilgerfahrten nach Aachen, und die Kapelle wurde später zur Schatzkammer des Doms. Nach 1956 wurde der Ort für die Ungarn wieder wichtig, denn Aachen wurde neben Mariazell zu einem Treffpunkt der nach Westeuropa ausgewanderten Ungarn, und selbst Kardinal József Mindszenty pilgerte hierher.

Sogar ein „Stephansaltar“ wurde am 15. September 1767 in der Ungarnkapelle zu Ehren des ungarischen Königs Stephan I. geweiht. Auf einem barocken, geschweiften Stipes, der mit dem Orden des hl. Stephans verziert ist, erhebt sich ein kleiner Altaraufsatz aus strukturiertem, hellem Marmor mit verzierten Seitenvoluten. Das Tabernakel wird von einer vergoldeten Tür mit einem Pelikanmotiv verschlossen. Der fütternde Pelikan wird hier als das Symbol des Opfertodes Christi dargestellt.

Hinter der Kapelle steht eine lebensgroße Statue von König Stephan. Die Statue von Imre Varga wurde 1993 im Beisein des damaligen Ministerpräsidenten József Antall enthüllt.

Motto für 2023: „Entdecke mich“ – Fest des Glaubens

Peter Drücker, Domvikar von Aachen vermittelte die Einladung des Domkapitels jetzt auch an Ungarns Kardinal Péter Erdő.

Wir möchten einfach feiern, den Glauben gemeinsam erleben und Zeugnis darüber geben, wie wir zu Christus stehen. Wir möchten der Aufforderung folgen und uns zu Christus bekennen, indem wir den Glauben leben

formulierte Drücker die Absicht der Veranstalter, der auch das Lied der Wallfahrt verfasst hat. Er betonte, wie wichtig ein gemeinsames Feiern für die deutsche, vor der Öffentlichkeit gespaltete Kirche sei.

Bei der letzten Heiligtumsfahrt im Jahr 2014 kamen insgesamt 125.000 Pilger nach Aachen, wir hoffen auch jetzt auf eine aktive Teilnahme. Deswegen haben wir verschiedene Zielgruppen angesprochen, Kinder und Jugendliche – die Sternsinger sind traditionell immer anwesend – Soldaten, Biker, Feuerwehrleute, Politiker zum Beispiel. Das Domkapitel und die Diözese möchte mit weiteren Veranstaltungsformen experimentieren, gezielt niederschwellige Angebote machen. So werden neben den schwerpunktmäßig kirchlichen Veranstaltungen in Kooperation von Stadt, Bistum und Domkapitel umfassende kulturelle Rahmenprogramme mit an zahlreichen Begegnungsstätten rund um den Dom angeboten.

Die Wallfahrt beginnt traditionell mit der Zeremonie der Öffnung des Marienschreins, wo die vier Tuchreliquien aufbewahrt werden. Zu Karls Zeiten waren die Reliquien immer verschlossen, seit dem 14. Jahrhundert wollte man sie sehen. Die Entnahme der Reliquien findet nach altem Ritus statt. Während der Öffnungszeremonie sitzen die Menschen mucksmäuschenstill in der Kirche. Der Bügel des Marienschreins wird zerschlagen, man zählt die Schläge. Letztes Mal waren es 32. Nach dem Zerschlagen des Bügels wird der Schrein geöffnet, die Reliquien werden entnommen. Allein das in Seide verpackte Marienkleid wird entfaltet und auf eine Stange gehängt in den nächsten Tagen bei den Messen gezeigt, die anderen Stoffe bleiben gefaltet und sind mit Seidenband umgebunden. So werden sie in den nächsten Tagen bei den Festmessen gezeigt, ansonsten im Dom, in Vitrinen ausgestellt, vor dem sich lange Schlangen bilden.

Hat Maria das Kleid getragen? Die Echtheit der Reliquien spielt heute erstaunlicher Weise keine bedeutende Rolle. In den 70-er Jahren war das ein großes Thema – erinnert sich der Domvikar. Heute haben die Reliquien als Zeichen der Menschwerdung, der Armut Jesu, der Treue Johannes der Täufers Bedeutung.

Abschlussakte der Heiligtumsfahrt ist das Zuschließen des Schreins. Die mit Seide umhüllten Reliquien werden zurückgelegt, das beim Öffnen des Schreins zu Beginn der Wallfahrt zerschlagene Schloss wird durch ein neues ersetzt, der Schrein wird versiegelt und das Schmuckschloss mit Blei ausgegossen und der Schlüssel zersägt. Das Domkapitel erhält den Kopf, die Stadt den Bart. Das symbolisiert das Zusammenwirken von Kirche und Stadt.

Traditionell kommen zahlreiche kirchliche Würdenträger zu den Feierlichkeiten. Hauptzelebrant der Festmesse am Samstag ist immer der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, am ersten Sonntag der Apostolische Nuntius von Deutschland, am letzten Sonntag der Kardinal von Köln. An den Tagen dazwischen wird immer ein Ungar und ein Kolumbianer – Bogota ist Partnerstadt von Aachen – eingeladen. 2023 feiern die Pilger am 13. Juni mit Kardinal Erdő, Primas von Ungarn.

Die zehn Tage bieten ein breites Spektrum an Veranstaltungen unterschiedlichster Interessengruppen an, mit umfassenden Rahmenprogrammen, Abendveranstaltungen, Konzerte und  Pilgerstammtischen.

(Fotos: Pixabay)