Der israelische Botschafter in Ungarn, Yacov Hadas-Handelsman, ist der Ansicht, dass die Welt die Gefahren des iranischen Atomprogramms ernst nehmen sollte. Dem Diplomaten zufolge sträuben sich die Europäer oft, die Schwere des Problems zu akzeptieren, aber im Falle Israels ist es eine Frage des nationalen Überlebens. Der Arikel basiert auf dem ursprünglich in Magyar Hírlap veröffentlichten Interview.
Premierminister Bennett hat vor kurzem gewarnt, dass Iran gefährlich nahe dazu ist, Atomwaffen zu entwickeln. Er forderte den Westen auch dazu auf, Druck auf das Regime auszuüben. Dennoch war es die Politik des „maximalen Drucks“ des Weißen Hauses unter Trump, die formell zur Aufkündigung des Atomabkommens von 2015 führte. Warum denken israelische Politiker immer noch, das politischer oder wirtschaftlicher Druck der effektivste Ansatz ist?
Die Iraner setzen einerseits auf ihre eigene Kultiviertheit und den fehlenden Konsens des Westens andererseits, aber auch auf die Neigung des Westens, zu sagen, ok, wir haben etwas getan, und jetzt können wir nach Hause gehen. Das Abkommen gab dem Iran eine Art Legitimation, mit ihrer Atom- und Waffenentwicklung fortzufahren, weil es einerseits das Abkommen gibt, aber dies beinhaltete kein Verbot der Entwicklung von Trägermitteln, d.h. Raketen. Iranische Amtrsträger behaupten, dies sei nur zur Selbstverteidigung. Aber wenn man sich selber verteidigen will, muss man keine interkontinentalen Raketen entwickeln. Ganz Europa ist nun in Reichweite von iranischen Raketen.
Diese Arten von Raketen werden nur für einen einzigen Zweck entwickelt, nämlich um einen unkonventionellen Sprengkopf zu tragen. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) hat den Iran kürzlich wegen Verstoßes gegen das Abkommen verurteilt, weil der Iran sich nicht an diese Zusagen hält. Sie schalten Kameras aus, verzögern Inspektionen, räumen Bereiche von illegalem Material. Der Iran ist ein terroristischer Staat, der alle bedroht, aber aus israelischer Sicht droht er, uns auszulöschen.
Wir haben die Tendenz zu glauben, dass sie das ernst meinen und wir sind entschlosssen, sie zu stoppen. Es wäre besser, wenn die internationale Gemeinschaft dies tun würde, aber am Ende geht es um unsere Existenz.
Die Realität ist, dass der Westen, einschließlich der USA, keinen Einfluss hat, das iranische Regime umzustimmen, und das wahrscheinlichste Szenario ist, dass sich eines Tages die Seismographen bewegen und die Welt in der Realität eines atomar bewaffneten Irans erwacht. Oder gibt es eine realistische Alternative zu diesem Verlauf der Ereignisse?
Die Situation im Iran ist nicht einfach und das ist noch untertrieben. Ein Land, dass mit die größten Ölreservoirs der Welt hat, ein Land, das einst reich war, hat nun Probleme mit der Lebensmittelversorgung und mit Wasser. Sie aber verwenden ihr Geld um Terror und Zerstörung zu finanzieren. Wenn wir den Druck aufrechterhalten und entschlossen sind, wird das Regime entweder einlenken oder gehen müssen. Es ist nur eine Frage des Durchhaltevermögens. Sie verstoßen gegen jedes internationale Recht und jeden Grundsatz, also gibt es keine Lösung aus dem Lehrbuch und alles hängt von der Entschlossenheit der Nationen ab. Das Problem ist, dass, auch wenn oberflächlich betrachtet alle darauf bedacht zu sein scheinen, den Iran daran zu hindern, Atomwaffen zu erhalten, und sie öffentliche Erklärungen zu diesem Zweck abgeben, letztendlich jeder seinen bilateralen Interessen den Vorrang gibt. Wenn ein gutes Wirtschaftsabkommen im Blick ist, dann sind wir bereit, unsere Ideologie zu vergessen. Die Einheit der internationalen Gemeinschaft wird nur solange aufrechterhalten, bis lokale Interessen die Oberhand gewinnen. Länder können manchmal wegsehen. Aber das ist die Realität. Die Alternative dazu ist, rumzusitzen und nichts zu tun, bis der Iran seine Atomwaffen entwickelt. Wenn man sie jedoch unter Druck setzt, sind die Chancen für einen Erfolg vielleicht nicht 100%, aber man kauft sich dennoch Zeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Iran Atomwaffen einsetzt, ist angeblich gering, aber sehen Sie sich an, was passierte, als Russland vor kurzem seine Atomwaffen ansprach. Sie haben nur den Drachen steigen lassen und die internationale Reaktion beobachtet. In einem konventionellen Krieg gegen einen Gegner anzutreten, der über Atomwaffen verfügt, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass er sie einsetzt, ist ein anderes Spiel. In jedem Fall sind wir hier auf uns allein gestellt, denn wir sind diejenigen, die sie zu zerstören drohen.
Sie haben den Grundsatz „Wirtschaft vs. Sicherheit“ erwähnt. Im Jahr 2015, während der Migrationskrise, haben die europäischen Regierungen argumentiert, dass dies kein Problem sei, da sie ihre Volkswirtschaften mit neuen Arbeitskräften auffüllen müssten. Die ungarische Regierung hatte jedoch argumentiert, dass Sicherheitserwägungen Vorrang vor wirtschaftlichen Argumenten haben müssten, wofür die Regierung heftig kritisiert wurde. In diesem Jahr hat Jens Stoltenberg nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine die Sache auf den Kopf gestellt und gesagt, wir müssen Opfer bringen, niemand sollte mit Russland Geschäfte machen, weil Sicherheitsbelange Vorrang haben. Ist der Westen nicht etwas wählerisch, wenn es um dieses Prinzip geht?
Die Länder handeln nach ihren eigenen unmittelbaren Interessen. In Europa finden diese Diskussionen in Bezug auf Russland statt. Einige Länder wollen sich von bestimmten Sanktionen befreien, und das zu Recht, denn wenn man zum Beispiel keinen Treibstoff hat, friert man, oder man kann nicht mehr Auto fahren. Andere Länder haben andere Ressourcen, die Ungarn vielleicht nicht hat. Deshalb ist es für sie kein Problem, Russland zu boykottieren. Aber manche sagen: Tut mir leid, ich muss meine Bürger ernähren.
Das ist die Realität, das ist das Leben. Nur wenn es eine echte, unmittelbare Bedrohung ihrer Existenz gibt, werden sich die Menschen auf direktem Wege zusammenschließen.
Aber jetzt hat jeder seine eigenen Interessen. Für viele Länder ist Sicherheit gleichbedeutend mit Wirtschaft, und deshalb gibt es Länder, die ehrlich zu der Tatsache stehen, dass sie ihre Wirtschaft in Gang halten müssen.
Der israelische Premierminister geht sogar so weit zu sagen, dass „das iranische Atomprogramm nicht aufhören wird, bis es gestoppt wird“. Die wahrscheinlichste Interpretation dieser Aussage ist, dass er damit auf die Notwendigkeit der Anwendung von Gewalt anspielt. Allerdings gab es vorher keine Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt und mit dem Krieg in der Ukraine ist dies so gut wie undenkbar geworden. Können wir diese Option daher völlig ausschließen?
Die Iraner wissen genau, was der Westen hören will, und werden das auch sehr eloquent sagen. Dies ist ein wesentlicher Teil der iranischen Taktik: verzögern und täuschen. Sie zögern die Dinge bis zum allerletzten Moment hinaus, kurz bevor Konsequenzen folgen würden, und halten Versprechen genau zum Stichtag ein. Und ja, niemand will Gewalt anwenden, aber wir behalten in dieser Frage eine gewisse Ambivalenz bei. Niemand will zu Gewalt greifen, aber zumindest hat der Krieg in der Ukraine bewiesen, dass der Westen geeint sein kann. Er hat auch bewiesen, dass es andere Mittel als die direkte militärische Konfrontation gibt. Aber der Krieg in der Ukraine ist eine andere Sache, denn niemand glaubt wirklich, dass Russland Atomwaffen einsetzen wird. Der Iran ist anders.
Dann gibt es auch eine globale Propaganda und einige werden versuchen, Israel für die iranische Aggression verantwortlich zu machen. Selbst Saddam Hussein sagte, als er in Kuwait einmarschierte, er habe dies nur getan, um auf die Notlage der Palästinenser unter israelischer Besatzung aufmerksam zu machen. Es gab europäische Politiker, die ihm das glaubten. Sie wollten ihm glauben, denn sie wären bereit, fast alles zu tun, um einen Krieg zu vermeiden. Und so verhält es sich auch mit der iranischen Bedrohung.
Wir scheinen unsere Angst vor einem nuklearen Armageddon verloren zu haben. Während der kubanischen Raketenkrise war die ganze Welt von der Angst vor dem, was passieren würde, ergriffen, heute ist der durchschnittliche Bürger der Welt zunehmend apathisch gegenüber den Gefahren einer nuklearen Konfrontation. Woran liegt das Ihrer Meinung nach, und was kann getan werden, um diese Einstellung zu ändern?
Nicht nur Atomwaffen, sondern auch ein schlecht gewarteter Reaktor ist eine Gefahr. Wir hatten einen schweren Unfall in Tschernobyl oder Fukushima, aber es ist genau das Gleiche passiert, wie wenn man an einem Verkehrsunfall vorbeifährt. Man ist geschockt, fährt eine Stunde lang vorsichtig, aber dann beginnt man allmählich wieder zu beschleunigen und verliert die Hemmungen. Doch die nukleare Gefahr ist immer da. Die Menschen in Europa wollen nicht beunruhigt werden, dieses Thema scheint weit weg von ihnen zu sein, sie wollen einfach ihren eigenen Weg gehen und sich nicht mit solchen Bedrohungen auseinandersetzen. Aber im Fall Israels sind diese Probleme existenziell.
via hungarytoday.hu, Beitragsbild: offizielle Facebook-Seite von Yacov Hadas- Handelsman