In der mittel- und osteuropäischen Region prognostiziert die Organisation für Ungarn mit 10,3 Prozent die höchste Inflation unter den Nachbarländern und für Österreich mit 5,6 Prozent die niedrigste.Weiterlesen
Wirtschaftswissenschaftler aus dem gesamten politischen Spektrum beschäftigen sich mit den Gründen für die galoppierende Inflation sowie möglichen Gegenmaßnahmen.
Nach der am Freitag veröffentlichten Schätzung des ungarischen Finanzministeriums wird die diesjährige Inflationsrate bei 8,9 Prozent liegen. Gleichzeitig sollte die Wirtschaft 2022 um 4,3 Prozent wachsen. In der letzten Prognose der Nationalbank vom März wurden für das laufende Jahr Inflationsraten von 7,9 bis 9,4 Prozent, ein Wachstum von 3,9 bis 5,7 Prozent sowie ein Haushaltsdefizit von 4,9 Prozent veranschlagt. In seinem Bericht vom April ging der IWF von einer Inflationsrate von 10,3 % in Ungarn aus – das ist die höchste Rate innerhalb der Visegrád-Gruppe, ist aber niedriger als im Baltikum.
Károly Lóránt von Magyar Hírlap fordert die Regierung auf, den Haushalt auszugleichen und die Schulden zu verringern. Der regierungsnahe Wirtschaftswissenschaftler erinnert daran, dass es Ungarn zwischen 2010 und 2016 gelungen sei, das Haushaltsdefizit abzubauen und damit die Staatsverschuldung zu senken. Möge die Regierung nach ihrem erneuten überwältigenden Wahlsieg den Haushalt nicht durch Sparmaßnahmen ausgleichen, wie sie von neoliberalen Ökonomen und Politikern befürwortet würden. Vielmehr sollten ungarische Unternehmen verstärkt investieren und ihre Gewinne im Land halten, rät Lóránt. Allerdings werde dies einigen politischen Mut erfordern.
Sándor Jobbágy macht auf dem Nachrichtenportal Telex darauf aufmerksam, dass die Bekämpfung der Inflation, die vor allem auf globale Prozesse zurückzuführen sei, eine sehr schwierige Herausforderung für die Regierung darstellen werde. Das Kabinett laufe Gefahr, die Inflation weiter anzuheizen, sollte es sich für die Erhöhung von Einnahmen entscheiden, um Wachstumsanreize zu schaffen und die Energiepreise zu subventionieren, warnt der Makroökonomie-Analyst von Concorde Securities.
László Békesi, Finanzminister der letzten kommunistischen Regierung der Jahre 1989/90, schreibt im Wochenblatt Élet és Irodalom: Die Regierung werde im Sinne einer Stabilisierung der Wirtschaft früher oder später massivere Einschränkungen verabschieden müssen. Sie dürfte um Steuererhöhungen nicht herumkommen, wolle sie die Inflation bremsen, vermutet der inzwischen zum Liberalen mutierte Ökonom.
In Magyar Nemzet wirft Ferenc Kis den Linken vor, sie würden mit ihrer Kritik an den von der Regierung verfügten Preisobergrenzen den Interessen des ausländischen Kapitals dienen. Der regierungsfreundliche Kolumnist ist der Meinung, dass die Opposition ihre traditionellen Werte aufgegeben habe: Statt für soziale Solidarität und die Unterstützung von bedürftigen Ungarn einzutreten, würden sie einen „globalistischen, anti-nationalen, fundamentalistisch-marktorientierten“ Weg verfolgen, der den „Superprofit“ multinationaler Unternehmen in den Vordergrund stelle.
Die Regierung werde die inflationsbedingten Mehreinnahmen nutzen, um die Unterstützung von Familien zu verstärken und Subventionen weiter zu erhöhen, argwöhnt Miklós Bonta von der Tageszeitung Népszava. Der linke Kolumnist glaubt zudem, dass die Regierung multinationalen Unternehmen demnächst neue Steuern auferlegen dürfte.
Laut Géza Sebestyén haben sich die Inflationszahlen in Ungarn im historischen Vergleich deutlich verbessert. In den Jahren bis Ende 2021 hätten sich die ungarischen Inflationsraten dem westeuropäischen Niveau angenähert, während selbst die Inflationsrate vom Februar 2022 mit 8,3 Prozent unter dem OECD-Durchschnitt gelegen habe, erinnert der Analyst der regierungsnahen Denkfabrik Mathias Corvinus Collegium auf Mandiner. Die ungarische Regierung und die Nationalbank hätten bereits massiv eingegriffen, um die Inflation in Schach zu halten. Als Beispiele nennt Sebestyén die Verlängerung der Preisobergrenzen (siehe BudaPost vom 30. April) sowie Zinserhöhungen seitens der Nationalbank.
Die hohe Inflation fresse die Forint-Ersparnisse auf, da die Zinsen für Einlagen – und sogar für einige Staatsanleihen – niedriger seien als die Teuerungsrate, beklagt Péter Hajdú in Magyar Hang.
Auf dem Nachrichtenportal 24.hu äußert Zsuzsanna Tamás Szabó die Befürchtung, dass die rasant steigende Inflation ungeachtet einer jüngst von der Regierung verkündeten Erhöhung der Altersruhebezüge auch den Rentnern schaden werde.
Im Wochenmagazin Magyar Narancs weist Balázs Váradi darauf hin, dass die Inflation ein zweischneidiges Schwert sei: Einerseits erhöhe die Teuerung die Haushaltseinnahmen und helfe der Regierung, das Staatsdefizit ungeachtet von Mehrausgaben relativ niedrig zu halten. Die arbeitende Bevölkerung hingegen, deren Löhne nicht mit der Inflation Schritt hielten, würden schlechter gestellt. Der liberale Wirtschaftswissenschaftler fragt sich, ob die Regierung die Inflation nutzen werde, um Finanzspekulationen, ausländische Einzelhandelsketten und Liberale zu verteufeln, indem sie ihnen die Schuld für die Preissteigerungen in die Schuhe schiebe.
Die Inflation werde von der EU angefacht, behauptet Zoltán Kisszely im Blog Mozgástér. Der regierungsnahe Analyst sieht die Hauptursache für die steigende Inflation in den EU-Sanktionen gegen russische Energielieferungen. Kisszely spekuliert, dass die Reaktion der EU auf das Corona-Virus sowie der Krieg in der Ukraine Teil des „Great Reset“ genannten Masterplans der globalen Eliten seien, die die Mittelschichten verarmen lassen wollten, um ihren eigenen Profit zu steigern.
(Via: budapost.de, Titelbild: MTI/Szigetváry Zsolt)