Wenn 2022 das Jahr des Krieges war, dann sollte dieses Jahr das Jahr des Friedens sein, erklärte das Staatsoberhaupt.Weiterlesen
In ihrem ersten Interview mit einer ausländischen Zeitung, seit sie 2022 im Alter von 44 Jahren die erste Frau und jüngste Präsidentin der Republik wurde, gibt Katalin Novák einen umfassenden Überblick über die Welt aus ungarischer Sicht. Wir haben das im Corriere della Sera veröffentlichte Gespräch zusammengefasst.
Ungarns Ziel ist die Deeskalation. Novák sieht keinen Widerspruch zwischen der Bündnistreue und dem Wunsch nach einem baldmöglichsten Friedensschluss. Ihr Land, das auch bisher über seine Kräfte den Ukrainern humanitäre Hilfe geleistet habe, sei mehr als andere vom Konflikt betroffen, auch durch das Vorhandensein der ungarischen Minderheit in Transkarpatien.
Europa müsse an einem Strang ziehen, weil Putin „den Rubikon überschritten habe“.
Allerdings sind die Möglichkeiten der einzelnen Länder recht unterschiedlich, deswegen braucht es offene Gespräche, um ein gemeinsames Vorgehen bei aller Achtung der verschieden Ausgangslagen abzustimmen.
Im Bezug auf Europa setzt sie sich ein für eine Einheit in der Vielfalt auf der Grundlage der jüdisch-christlichen Wurzeln des Kontinents, nur so kann die EU zu einem Erfolgsmodell werden. Italien sei ein gutes Beispiel für die Treue zur eigenen nationalen Identität.
Novák plädiert für Realismus in Bezug auf Russland: Die Größe des Landes, ihr wirtschaftliches und kulturelles Gewicht machen die Aufrechterhaltung der zwischenstaatlichen Beziehungen unverzichtbar, auch in Anbetracht der Tatsache, dass es auch eine Zeit nach Putin geben wird. Ungarn sei jedoch bemüht, so schnell wie möglich seine Energieabhängigkeit zu verringern. Die Erinnerung an die Ausübung des sowjetischen Imperialismus sei in Ungarn noch viel zu lebendig, um sich Illusionen hinzugeben.
Die ungarische Präsidentin sieht in Italien ein eng verbündetes Land, dessen Regierung sich gleichfalls für ein entschiedenes Vorgehen gegen die illegale Migration, für die Aufnahme der Westbalkan-Länder in die EU, für die Verteidigung der verfolgten Christen und für den Schutz der Familie einsetzt.
Darüber hinaus stehe ihr Land durch die gemeinsame Geschichte den Visegrád-Staaten nahe, den südeuropäischen Nationen, welche den zunehmenden Migrationsdruck und die demografische Herausforderung meistern müssen. Es steht den Ländern nahe ohne Meereszugang, wegen den gleichen Problemen in der Energieversorgung, und den Westbalkan-Staaten, deren Platz nach ungarischer Sicht in der EU sei.
Ungarn akzeptiert keine Diktate in der Frage der Zuwanderung. Seine realistische Position wird von immer mehr Staaten geteilt. Man müsste die unterschiedlichen Sichtweisen zur Kenntnis nehmen. Es gibt Länder, die Wirtschaftsflüchtlinge brauchen und andere, die das nicht tun.
Das gegen ihr Land eingeleitetes Rechtsstaatlichkeitsverfahren bezeichnet die ungarische Präsidentin als „unwürdiges Tauziehen“.
Man nimmt seit 19 Jahren seine Verpflichtungen gewissenhaft wahr, daher bestehe Ungarn auf einen gleichberechtigten Platz am „Brüsseler Tisch“.
Gefragt was sie zu Orbáns „illiberale Demokratie“ meint, besteht Novák auf die Betonung der Demokratie.
Sie kann nicht nachvollziehen, dass die historisch bedingte Tatsache, dass die Grenzen des ungarischen Staates und die der Nation nicht deckungsgleich sind, als Quelle des Revisionismus angesehen werden.
Die Zusammenarbeit in der Visegrád-Gruppe werde weitergehen, auch wenn außerhalb Ungarns eine politische Instabilität feststellbar ist.
Das Wesen der ungarischen Familienpolitik sei, dass niemand aus wirtschaftlichen Gründen auf Kinder verzichten muss. Die verfassungsmäßige Förderung der traditionellen Familie bedeute aber keine Diskriminierung sexueller Minderheiten.
Von ihrem eigenen Lebenshintergrund her setze sich Novák persönlich dafür ein, dass Familie und Karriere für immer mehr Frauen in Ungarn vereinbar werden.
Macht sei für das erste weibliche Staatsoberhaupt Ungarns ein Mittel, kein Zweck. Wenn die Absicht, den Partner zu verstehen, dem Wunsch, ihn zu überzeugen, vorausgeht, dann können sich ihrer Erfahrung nach auch bisher verschlossene Türen öffnen.
Beitragsbild: Katalin Novák Twitter