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Der Ungar, der die Sterne von Real Madrid in den Himmel steigen ließ – Interview mit József Tóth-Zele

Enikő Enzsöl 2024.06.01.
Foto: Ungarn Heute

Fußballer, Revolutionär, Emigrant, Trainer und Scout von Real Madrid, Mitglied der Freunde von Ungarn Stiftung –  Herausgeber unseres Nachrichtenportals und unserer Schwesterseite Hungary Today – und vieles mehr kann man mit József Tóth-Zele verbinden, nach dem im Heimatdorf seiner Mutter, Gesztely, auch eine Fußballakademie benannt wurde. Wir haben die Legende von Real Madrid über sein Leben, das heutige Champions-League-Finale, die ungarische Nationalmannschaft und die Zukunft des ungarischen Fußballs befragt.


Können Sie uns ein wenig über sich selbst erzählen? Wie kam ein Junge aus Füzesabony nach einem Abstecher in Österreich und in Frankreich als Fußballer zu Atletico Madrid und wurde dann nach seiner aktiven Fußballkarriere Trainer bei Real Madrid?

Das ist eine lange Geschichte, also werde ich versuchen, sie kurz und bündig zu erzählen. Ich stamme aus Füzesabony. Als Schüler habe ich das Dobó István Gymnasium in Eger besucht. Ich habe dort Fußball gespielt, aber die Wahrheit ist, dass ich kein Fußballer werden wollte. Nach der Schule hätte ich zwar studieren können, aber ich entschied mich gegen ein Studium und ging nach Heves, um zu arbeiten. Hier begann ich meine Fußballkarriere als Erwachsener in einem Drittligateam.

Als ich vom Ausbruch der Revolution im Radio hörte (die Revolution von 1956 – Anm. d. Red.), dachte ich, ich fahre von Heves nach Budapest, um zu sehen, was in der Hauptstadt passiert. Ich stieg am Bahnhof Keleti aus, wo die Revolutionäre nach Fahrern suchten, die einen Führerschein für einen Lastwagen hatten. Ich hatte einen. Deshalb wurde ich sofort nach Transdanubien geschickt, um der revolutionären Jugend Lebensmittel zu bringen. So kam ich mit den Revolutionären in Kontakt. Der einzige Unterschied zwischen mir und ihnen war, dass ich nicht studiert hatte, wir dachten auf dieselbe Weise über die Welt. Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Lastwagen nach Szolnok, aber auf dem Rückweg schoss ein Scharfschütze auf meinen Begleiter. Ich brachte den Verwundeten zur Corvin Gasse (Corvin-köz, ein zentraler Ort der Revolution in Budapest – Anm. d. Red.), wo ich den Leiter der Jugendgruppe, Gergely Pongrátz, kennenlernte, mit dem ich mich – wie es der Zufall wollte – später in Madrid getroffen habe.

Nach meinen Erfahrungen in Budapest beschloss ich, dass ich genug von den Kommunisten und dem Kommunismus hatte.

Nachdem die Revolution niedergeschlagen war, floh ich am 23. November nach Österreich. Hier musste ich mich entscheiden, was ich machen wollte: Lastwagenfahrer oder Fußballer zu sein. Die zweite Möglichkeit war vielversprechender.

Im Gegensatz zu Ferenc Puskás, der schon in jungen Jahren Fußballer werden wollte, war ich etwas spät dran und entschied mich erst mit 19 Jahren.

Ich landete in einem Flüchtlingslager in Österreich, wo ich einen Ungar aus Australien kennenlernte, der eine Mannschaft für ungarische Fußballer, die damals das Land verlassen hatten, organisieren wollte. Er versprach mir einen Platz in der 24-köpfigen „Emigranten-Nationalmannschaft“. In der Mannschaft sollten unter anderem Ferenc Puskás, Sándor Kocsis und Zoltán Czibor (Fußballer der ungarischen Goldenen Mannschaft – Anm. der Red.) spielen. Doch aus diesem Plan wurde nichts, Kocsis und Czibor wurden von Barcelona und Puskás von Real Madrid „geholt“, so dass ich auf der Strecke blieb.

Ich beschloss, die erste Gelegenheit zu ergreifen, die sich mir als Fußballer aus dem Westen bot, da ich das Flüchtlingslager nicht mochte. Es war die französische Mannschaft von Grenoble, die als erste auf mich zukam, und so landete ich in Südfrankreich als einfacher Zweitligafußballer. Der Verein ermutigte mich, die französische Staatsbürgerschaft anzunehmen, weil ich es vielleicht sogar in die Nationalmannschaft schaffen würde, aber das wollte ich nicht.

Ich verbrachte 3 Jahre in Frankreich, erst spielte ich in Geroble, von wo aus es mich in die französische Hauptstadt lockte, wo ich für Red Star Paris spielte.

Von dort aus war es eine Bekanntschaft aus dem Flüchtlingslager in Österreich und nicht meine Spielweise, die mich zu meinem nächsten Verein brachte. Ein ungarischer Freund von mir, Peter Ilku, der für Atletico Madrid spielte, war in einen schweren Autounfall verwickelt. Der Verein fragte ihn, wen er als Ersatz empfehlen würde, bis er wieder gesund ist. Er schlug mich vor. So bin ich also bei Atletico Madrid gelandet. Im Madrid traf ich auch Gergely Pongrátz wieder, wir waren beide Politikstudenten an der Wirtschaftsuniversität.

József Tóth-Zele (Foto: Ungarn Heute)

Am Ende meiner aktiven Fußballkarriere absolvierte ich zusammen mit Sándor Kocsis und Ferenc Puskás einen Trainerlehrgang beim spanischen Fußballverband, der vom damaligen Kapitän der spanischen Nationalmannschaft, László Kubala, geleitet wurde. Nach der Ausbildung trainierte ich kostenlos Jugendspieler aus der dritten Liga von Moscardo, mit denen wir auch Spiele gegen Jugendspieler von Real Madrid bestritten. Normalerweise schlugen sie alle, aber mit meiner Mannschaft spielten sie zweimal unentschieden. José Santamaria fragte mich nach dem zweiten Spiel, nachdem er die Leistung meiner Mannschaft gesehen hatte, ob ich im nächsten Jahr als Trainer zu Real Madrid gehen würde. Natürlich habe ich zugesagt.

So bin ich bei Real Madrid gelandet, wo ich 30 Jahre lang als Jugendtrainer und Scout tätig war. Die Mannschaft hat mir Emilio Butragueño, Míchel, Martín Vázquez, Miguel Pardeza und José Antonio Camacho zu verdanken, um nur einige große Namen zu nennen. Was die aktuellen Spieler angeht, so habe ich auch Álvaro Morata, Dani Carvajal und Hakimi nach Madrid geholt.

Deshalb wurde und werde ich bei dem Verein respektiert und geschätzt. Der einzige Grund, warum ich die A-Mannschaft von Real Madrid nicht trainieren konnte, war der Grundsatz von Santiago Bernabéu, dass nur ehemalige Fußballer des Vereins in diese Position berufen werden konnten. Für den Rivalen Atletico Madrid habe ich aber gespielt.
Meine Karriere bei Real Madrid habe ich beendet. Aber ich bin dem Verein und dem Fußball immer noch verbunden. In diesem Jahr habe ich die Jugendmannschaft von Real Madrid zum 16. Mal zum Puskás-Suzuki-Cup (einem der wichtigsten internationalen Jugendturniere für U17-Fußballer in Europa – Anm. d. Red.) nach Ungarn gebracht, und sie haben den Pokal 2024 gewonnen.

Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass es nur wenige Menschen gibt, denen Real Madrid in beruflicher Hinsicht so viel zu verdanken hat, wie Sie, der dem Team jahrzehntelang als Jugendtrainer und Scout geholfen hat. Auf welchen Erfolg des Vereins sind Sie besonders stolz?

Viele Leute sagen mir, dass, wenn man den zehnten Pokal gewinnt, er so wertvoll ist wie der erste. Das stimmt aber nicht.

Am stolzesten bin ich auf den allerersten Pokal, den ich mit den 17-jährigen Spielern von Real Madrid gewonnen habe.

Natürlich bin ich auch stolz auf die Fußballer, die ich zum Team holte und die später zu großen Spielern wurden, wie Butragueño und die anderen, aber der erste Pokalsieg mit meiner Mannschaft, die FC Barcelona, Athletic Bilbao und die anderen besiegt hat, liegt mir am meisten am Herzen.

Stehen Sie in Kontakt mit ehemaligen und aktuellen Spielern und Trainern von Real Madrid? Treffen sie sich untereinander?

Mit den Fußballern, die ich entdeckt habe, sind wir natürlich in Kontakt. Ich habe zwei ehemalige Mannschaften, mit denen ich einmal im Monat zu einem gemeinsamen Mittagessen gehe, wir reden und schwelgen in Erinnerungen. Mit Camacho zum Beispiel, der jetzt Präsident des Altherrenteams von Real Madrid ist, verbindet mich immer noch eine gute Freundschaft. Ich habe die Senioren von Real Madrid früher bereits zum Fußballspielen nach Eger geholt und bin gerade dabei, einen weiteren Besuch in Eger im Januar zu organisieren. Butragueño, der auch ein guter Freund von mir ist, hat sogar ein Interview für einen Film über mich gegeben.

Fact

Der Werdegang von József Tóth-Zele ist Gegenstand eines Porträtfilms mit dem Titel „A jószemű José“ (Der José mit den guten Augen), der von Dr. Barnabás Kovács, Botschafter, Produzent des Films und Róbert Bencsik als Regisseur, gedreht wurde. In dem Film kommen neben den ehemaligen Fußballschülern auch der heutige Manager von Real Madrid, Emilio Butragueño, zu Wort, der stolz über seine Erfahrungen und die Beziehung zu seinem ehemaligen Mentor berichtet. Der Film hatte bereits in Ungarn und Spanien Premiere.

Nemzeti Sport Chefredakteur György Szöllősi, Emilio Butragueño, József Tóth-Zele und Dr. Barnabás Kovács (l-r) bei der Premiere des Films in Madrid (Foto: Facebook/Embajada de Hungría en Madrid // Magyarország Nagykövetsége, Madrid)

Heute Abend findet das Champions-League-Finale statt, bei dem Dortmund auf Real Madrid treffen wird. Was erwarten Sie von diesem Spiel?

Ich glaube, ich wäre kein echter ‚Madridista‘, wenn ich sagen würde, dass Real Madrid nicht gewinnen wird. Real Madrid ist ein außergewöhnliches Team in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft.

Nach 14 Champions-League- und 2 UEFA-Cup-Siegen hat die Mannschaft immer noch den Schlüssel zum Sieg in der Hand.

Bald beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland, für die sich die ungarische Nationalmannschaft mit dem Trainer Marco Rossi ungeschlagen, als Gruppenerster qualifiziert hat. Was die Unschlagbarkeit angeht, so ist das Team auf den Spuren der „Goldenen Mannschaft“, denn das letzte Team, die eine vergleichbare Serie aufweisen konnte, war die „Goldene Mannschaft“, die nach der Niederlage im WM-Finale von 1954 15 von 18 Spielen gewann und drei Unentschieden erreichte. Kann man die beiden Mannschaften vergleichen? Wie schätzen Sie die Chancen der ungarischen Nationalelf bei der Europameisterschaft ein?

Zunächst einmal möchte ich Marco Rossi gratulieren. Ich bin sehr froh, dass die ungarische Nationalmannschaft einen Trainer hat, der zwar in seinem eigenen Land (Italien – Anm. d. Red.) bisher keinen Erfolg hatte, aber mit der ungarischen Nationalmannschaft außergewöhnliche Ergebnisse erzielt hat. Ich finde es richtig, dass er die Zusammensetzung der Mannschaft nicht danach bestimmt, wer wo spielt, sondern nach der Qualität des Fußballs, der gespielt wird.

Der Trainer unserer Nationalmannschaft ist mutig genug, Fußballer, die im Ausland in der zweiten Liga spielen, in die Nationalelf zu holen, wenn er der Meinung ist, dass sie gute Leistungen bringen, und dazu gratuliere ich ihm.

Die Nationalmannschaft mit der Goldenen Mannschaft zu vergleichen, ist meiner Meinung nach jedoch indiskutabel und hält nicht stand. Damals war der ungarische Fußball mit Abstand der beste der Welt. Wenn die Goldene Mannschaft durch die zweite Mannschaft ersetzt worden wäre, hätten meines Erachtens die Ungarn immer noch die Welt geschlagen.

Sie haben über Real Madrid gesagt, dass es eine Weltmannschaft ist, deren Management versucht, die besten Spieler anzuziehen. Glauben Sie, dass es einen ungarischen Spieler gibt, der gut in diese Mannschaft passen könnte?

Es schmerzt mich, das zu sagen, aber im Moment gibt es keinen.

Der ungarische Kapitän Dominik Szoboszlai, der derzeit für Liverpool in England spielt, ist ein hervorragender Fußballer, aber er muss sich noch beweisen und im Westen glänzen, bevor er das Interesse von Real Madrid auf sich ziehen kann.

Da Real Madrid eine Weltmannschaft ist, ist es für junge Spieler, die es in die Mannschaft schaffen wollen, nicht einfach.

József Tóth-Zele (Foto: Ungarn Heute)

In Ungarn erfreut sich der Fußball von Jahr zu Jahr größerer Beliebtheit. Welche Ratschläge würden Sie Trainern und jungen Spielern für die Zukunft des ungarischen Fußballs geben?

Die ungarische Liga sollte mit ungarischen Spielern wiederbelebt werden. Die Ungarn lieben den Fußball, aber sie schauen sich die ungarische Liga nicht an, sondern verfolgen lieber ausländische Ligen, weil sie sagen, dass der ungarische Vereinsfußball nicht gut genug ist.

Es wäre wichtig, dass ungarische Jugendliche und ungarische Trainer Chancen in den A-Mannschaften bekommen und nicht überwiegend Ausländer.

Wenn das Gegenargument lautet, dass sich die ungarischen Spieler nicht genug entwickeln, dann muss man darüber nachdenken, was man tun kann, auch mit Hilfe von Experten, um die ungarischen Fußballer wieder auf Weltniveau zu bringen. In den Sportarten, in denen sich die Ungarn in den 1950er Jahren hervorgetan haben – Kajakfahren, Schwimmen, Wasserball –, sind sie auch heute noch gut dabei. Die Ausnahme ist der Fußball. Es ist an der Zeit, den Fußball mit ungarischen Spielern wiederzubeleben. Der Ungarische Fußballverband hat Initiativen zur Förderung der Spielmöglichkeiten für junge Ungarn ergriffen, aber meiner Meinung nach muss noch mehr getan werden.

Wir haben uns zum ersten Mal auf der Konferenz der Freunde von Ungarn Stiftung getroffen. Was halten Sie von den Aktivitäten der Stiftung?

Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur 10. Konferenz der Stiftung, ich fühle mich geehrt, an einer so prestigeträchtigen Veranstaltung teilgenommen zu haben. Meiner Meinung nach besteht definitiv ein Bedarf an einer Organisation, die Ungarn aus der ganzen Welt, die ihr Heimatland lieben, zusammenbringt und sie mindestens einmal im Jahr nach Hause holt. Ich danke der Freunde von Ungarn Stiftung für ihre Arbeit.

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Beitragsbild: Ungarn Heute