Der Geist des königlichen Gründers der ungarischen Staatlichkeit bewahrt die Nation in schwierigen ZeitenWeiterlesen
Die Nationalfeiertage der meisten Länder haben mit der Erklärung der Unabhängigkeit oder dem Sieg über eine andere Nation zu tun. Dass die Heiligsprechung eines Monarchen die Bürger einer „res publica“ zumindest an einem Tag vereinen soll, dürfte weltweit wohl einmalig sein.
Wenn dieser Herrscher der erste König überhaupt ist, der zu den Ehren der Altäre erhoben wurde, noch dazu als erster Heilige nach der Großen Kirchenspaltung von 1054 auch von den orthodoxen Christen verehrt wird, dann darf der oft bescholtene ungarische Nationalstolz fröhliche Urständ feiern.
Aus den vorhin angedeuteten Gründen kann die einigende Wirkung eines Nationalfeiertages so gut wie nie über die jeweiligen Staatsgrenzen hinausreichen. Wie kaum eine andere Gestalt der ungarischen Geschichte kann die Person des ungarischen Staatsgründers divergierende Interessen in In- und Ausland versöhnen, was dem heutigen Feiertag zusätzliche Strahlkraft verleiht. Man könnte so weit gehen, dass man sagen kann: Alle Nationen des Karpatenbeckens könnten – ohne Verrat an der eigenen Geschichte zu üben – mitfeiern.
Die Verehrung der ungarischen Heiligen Könige aus der Arpadier-Dynastie (Stephan, Ladislaus, Emmerich) war ein wesentlicher Bestandteil jenes Hungarus-Bewusstseins, das man als mittelalterlichen Verfassungspatriotismus bezeichnen kann und bis zu jener Französischen Revolution bestand, welche die Entstehung der europäischen Nationalismen legitimierte.
Die Sprache oder die konfessionelle Zugehörigkeit hinderte beispielsweise Slawen und Rumänen nicht daran, das vom Heiligen Stephan gegründete Staatswesen als ihr eigenes wahrzunehmen.
Davon zeugen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die König-Stephan-Darstellungen in siebenbürgisch-sächsischen, rumänischen und slawischen Gotteshäusern: Malmkrog (Mălâncrav), Magyarremete (Remetea), Marosszentanna (Sântana de Mureş), Marosszentkirály (Sâncraiu de Mureș), Mezőtelegd (Tileagd), Muraszombat (Murska Sobota), Pelsőc (Plešivec), Sepsibesenyő (Beşineu) und Zsigra (Žehra, Zips).
Auch in Rumänien kaum bekannt, gehören die Darstellungen der ungarischen Könige von Ribița (Ribice), Criscior (Kristyor) und Chimindia (Kéménd) zu den Spitzenleistungen byzantinisch-mittelalterlicher Kunst auf dem heutigen Gebiet des südosteuropäischen Landes. Historisch gesehen befinden sich diese Dörfer im Grenzgebiet zwischen Siebenbürgen und Ungarn, genauer im heutigen Kreis Hunyad, ein kulturgeschichtlich unglaublich spannender Schauplatz konfessioneller und ethnischer Identitätsverschiebungen. Die mittelalterlichen Kirchen der gebirgigen Gegend dienten abwechselnd als katholische, orthodoxe, reformierte Gotteshäuser, dabei waren hier oft die gleichen Menschen, die die Gottesdienste besuchten. Magyarisierte Rumänen und rumänisierte Ungarn gaben sich die Klinke in die Hand und bekreuzigten sich mal von rechts nach links, mal umgekehrt, mal überhaupt nicht, je nach dem welcher Konfession sie gerade angehörten. Ähnlich wie im westlichen Teil Europas bestimmten (aber bei weitem nicht immer) die adeligen Kirchenpatrone den Ritus. Die rumänischen Knesen orthodoxen Glaubens gingen irgendwann in dem ungarischen Adel auf und wurden katholisch, später reformiert. Die Bauern folgten nicht immer ihren Schirmherren. Teile der Gemeinden wurden reformiert, Teile blieben der Ostkirche treu. Der Wechsel der Sprache lässt sich kaum nachverfolgen.
Wenden wir uns zunächst den Wandmalereien aus dem frühen 15. Jahrhundert von Kristyor zu, auf denen die ungarischen Heiligen friedlich neben Ştefan Bâlea stehen, einem Knesen, der eine bedeutende rumänische Bevölkerung im Dorf ansiedelte und auch den ungarischen Adelstitel bekam. Der Maler hat ihn mit Frau und einem der beiden Söhne nach walachisch-moldauischen Vorbild in rumänischer Tracht auf der West-Seite des Kirchenschiffes verewigt. Die Söhne des rumänischen Adeligen hießen Stephan und Ladislaus.
Laut einer in der Kirche aufliegenden Broschüre durften die orthodoxen Christen nur dann Steinkirchen bauen, wenn die ungarischen Könige abgebildet wurden. Dafür verantwortlich sei ein Erlass des Königs Ladislaus IV. von 1279. In Wirklichkeit hat die Kirchensynode von Ofen (Buda) in diesem Jahr den Bau orthodoxer Kirchen an die Genehmigung des katholischen Ortsbischofs geknüpft. Eine Auflage, wie die in der rumänischen Publikation erwähnte dürfte ein Produkt der Phantasie sein. Ladislaus IV. soll serbischen Legenden zufolge sogar heimlich zur Ostkirche übergetreten sein.
Die Wandmalereien von Ribice zeigen viele stilistische Ähnlichkeiten mit denen von Kristyor. Im 17. Jahrhundert wird die Kirche von den calvinistischen Schirmherren übertüncht. Die Fresken kamen erst um die Jahrtausendwende zum Vorschein. Erhalten sind nur die Abbildungen von Stephan („Sfântul Ștefan Craiul”) und Emmerich („Sfântul Imbre Craiul”), deren Kleidung und Ausrüstung die Merkmale morgenländischer Soldaten-Heiligen mit abendländisch-ritterlichen Attributen vereinen.
Die reformierte Kirche von Kéménd liegt am rechten Ufer des Mieresch und ist heute verwaist, vor Ort gibt es keine Gemeinde mehr. Die Fresken kamen nach dem Einsturz des Dachs zum Vorschein. Das Regenwasser löste die Kalkschicht der Reformation ab: Zum Vorschein kamen u.a. die drei Heiligen königlichen Geblüts, indentifizierbar anhand von Attributen und kirchenslawischen Inschriften. Die Stifter waren offensichtlich orthodoxen Glaubens.
Es gehört zur bitteren Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet in der Gegend, wo auch die Orthodoxen König Stephan verehrten, die ungarische Bevölkerung fast vollständig ausgerottet wurde. Die Habsburger bedienten sich der rumänischen Aufständischen, um die ungarische Revolution zu schwächen. Dabei war ihnen jedes Mittel recht.
Der ungarische Volkskundler Imre Harangozó weist drauf hin, dass die königliche Trias möglicherweise vorchristliche Archetypen (Urbilder) versinnbildlicht: Stephan steht für das Urbild des weisen Greisen, Ladislaus für den erwachsenen Helden und Emmerich für das Kind oder den Jüngling. Die Urbilder sind universell und somit Völker verbindend. Wie dem auch sei, die hier vorgestellten Fresken sind die stummen Zeugen eines jahrhundertelangen friedlichen Zusammenlebens, dessen Fundamente vom Heiligen König Stephan gelegt wurden.
Die Bilder wurden freundlicherweise von Imre Harangozó zur Verfügung gestellt.