„Der Hauptzweck unserer Politik für die ungarischen Gemeinschaften im Ausland ist es, die dort lebenden Ungarn in ihrem Heimatland zu halten, und ihre ungarische Identität zu bewahren.“ betont Péter Szilágyi, der als Ministerkommissar für ungarische Gemeinden im Ausland zuständig ist. Obwohl Trianon für einen Ungar etwas ganz anderes bedeutet als für einen Rumänen oder Slowaken, Szilágyi glaubt, dass das Land ihnen verständlich machen könne, warum 2020 – der 100. Jahrestag von Trianon – ein Gedenkjahr wird. Der ungarische Kommissar erklärt auch, dass er die Ungarn des Karpatenbeckens und der Diaspora in eine Kraftquelle des Landes verwandeln will. Dieses Ziel wird das Hauptthema des Jubiläums im nächsten Jahr sein. Geschrieben von Miklós Halász-Szabó – Hungary Today.
Mit einer überwältigenden Mehrheit hat das Parlament das Jahr 2020, den 100. Jahrestag des Friedensvertrags von Trianon, zum „Jahr des nationalen Zusammenhalts“ erklärt. Was bedeutet das für die Politik der ungarischen Gemeinden im Ausland?
Dies ist eine weitere Gelegenheit, die 15 Millionen Ungarn besser zu verbinden und am Ende des Gedenkjahres allen Ungarn mitzuteilen, was wirklich in Trianon passiert ist. Die Tatsache, dass fast einhundert Prozent des Parlaments die Initiative unterstützt hat, zeigt, dass dies eine nationale Entscheidung ist. Das Gedenkjahr wird auch Teil einer Reihe von Programmen sein.
Die Tatsache, dass 2020 den Namen „Jahr des nationalen Zusammenhalts“ bekommen hat, lässt darauf schließen, dass es sich nicht um ein Trauerjahr handelt.
Selbst mit dem Tag des nationalen Zusammenhalts haben wir versucht zu betonen, dass wir am Jahrestag der Entscheidung von Trianon einerseits trauern, andererseits auch feiern. Wir feiern, dass wir, Ungarn immer noch eine Gemeinschaft mit 15 Millionen Menschen sind, sogar einhundert Jahre nach Trianon. Und wir feiern auch, dass wir zusammen gehören. Daraus können wir Kraft für die Zukunft schöpfen.
Welche Programme sind geplant?
Wir werden später über spezifische Programme entscheiden, aber wir wollen alle ausländischen ungarischen Organisationen in den Entwurfs- und Entwicklungsprozess einzubeziehen.
Kurz nachdem das ungarische Parlament 2020 zum „Jahr des nationalen Zusammenhalts“ erklärt hatte, betonte Rumänien seine Besorgnis. Haben Sie erwartet, dass einige Länder auf diese Weise reagieren?
Bereits zuvor hatte auch die Slowakei ihr Missfallen zum Ausdruck gebracht.
Leider gibt es in Bezug auf die Politik für ungarische Gemeinschaften im Ausland immer noch ein altes Denken
Dennoch gibt es solche historische Persönlichkeiten, die diese Nationen verbinden könnten, weil es in unserer Vergangenheit vieles gemeinsam gibt. Natürlich bedeutet Trianon etwas anderes für uns als für einen Rumäne oder einen Slowake. Ich hoffe, wenn wir ihnen erklären können, worum es im Gedenkjahr und in den Ereignissen geht, sie werden die Entscheidung akzeptieren.
Insbesondere im Karpatenbecken stehen die Bemühungen der Politik für ungarische Gemeinschaften im Ausland im Widerspruch zu den Vertretern der Mehrheitsnationen – während die Führung des jeweiligen Landes in bestimmten europäischen Angelegenheiten auch ein Verbündeter der ungarischen Regierung ist. Wie kann Ihre Arbeit unter solchen Umständen wirksam sein?
Ich denke, dass die Arbeit, die wir 2010 begonnen haben – in den Bereichen Bildung, Kultur und kirchliche Unterstützung – von diesen Ländern schon akzeptiert wurde. Wir haben auch die Unterstützung der Staats- und Regierungschefs der jeweiligen Länder für wirtschaftliche Entwicklungsprogramme im Wert von mehreren Milliarden Euro erhalten, sei es in Rumänien, der Ukraine, Serbien oder der Slowakei. Diese Programme sind oft günstig auch für die Mehrheit der Nation. Wir spielten immer mit offenen Karten.
Es besteht jedoch kein Zweifel, dass wir in einigen Punkten keine Einigung erzielen konnten, wie zum Beispiel im Staatsangehörigkeitsrecht in der Slowakei oder im Gesetz über Sprache und Bildung in der Ukraine.
Wie unterscheiden sich die Maßnahmen bei den unterschiedlichen ungarischen Gemeinschaften, ich meine im im Karpatenbecken und in der Diaspora?
Zehn Millionen Ungarn leben im Mutterland, weitere zweieinhalb Millionen außerhalb der Landesgrenzen im Karpatenbecken und etwa zweieinhalb Millionen Ungarn in der Diaspora, hauptsächlich in Nordamerika. Obwohl viele von ihnen kein Ungarisch mehr sprechen, machen die amerikanischen und kanadischen Volkszählungen immer noch deutlich, dass sie ungarischen Ursprungs sind. Ungarn gingen in mehreren Wellen ins Ausland: erst Ende des 19. Jahrhunderts, Anfang des 20. Jahrhunderts und später Jahrzehnte nach Trianon. Anschließend, nach dem Zweiten Weltkrieg während der kommunistischen Übernahme, während und nach der Revolution von 1956. Die vierte Welle begann nach dem Regimewechsel und nach unserem Beitritt zur Europäischen Union. Natürlich müssen wir diese Leute anders ansprechen.
Die größte Schwierigkeit für die Ungarn im Karpatenbecken besteht darin, dass die politischen Führer der Mehrheitsnationen versuchen, sie zu assimilieren. Sie waren oft auch finanziell in einer schlechten Lage. Die Ungarn der Diaspora lebten hingegen, im Allgemeinen, unter besseren finanziellen Umständen, aber sie waren mehr besorgt, dass sie weit von ihren Wurzeln entfernt waren. Beachten Sie diesen Dingen bei der Zusammenstellung der Programme?
Die in der Diaspora lebenden Menschen bauten im 20. Jahrhundert gut funktionierende Gemeinschaften auf: zivile Organisationen, Kirchen, Zeitungen, ungarische Häuser, Volkstanzgruppen und Pfadfinderorganisationen. Ihr Geist ist ebenso unterschiedlich wie ihre materiellen Umstände. Die Ungarn der Diaspora hatten es schwerer, ihre Sprache und Kultur zu bewahren als die im Karpatenbecken lebenden Ungarn, auch wenn die Führung der Nachfolgestaaten versucht hatte, ihr Leben zu erschweren. Sie konnten jedoch ihre ungarische Identität frei erfahren. Die Diaspora-Ungarn, die aufgrund des Kommunismus gezwungen waren, im Ausland zu leben und an ihrer Kultur festhalten, gehören heute eher zu einer älteren Altersgruppe. Aus diesem Grund ist es zum Beispiel wichtig, dass im Rahmen des „Memory-Projekts“ unter der Leitung von Réka Pigniczky und Andrea Lauer und in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern des Kőrösi-Programms Interviews mit 56-Jährigen geführt werden. Für ihre Arbeit wurden sie im vergangenen Jahr mit einem Sonderpreis der Stiftung der Freunde von Ungarn ausgezeichnet. Es ist eine Herausforderung, jemanden zu finden, der den Platz dieser Generation in der Führung der ungarischen Gemeinden einnimmt. Aus diesem Grund unterstützen wir auch viele Programme für junge Menschen in der Diaspora. Aus diesem Grund schicken wir junge Menschen mit dem Kőrösi-Programm, um Beziehungen zu jungen Menschen ungarischer Herkunft aufzubauen.
Aus diesem Grund gibt es das Diaspora-Camping-Programm, bei dem zusammen mit dem Verein Rákóczi jedes Jahr Tausende junger Menschen nach Ungarn kommen.
Mit dem Programm ReConnect Hungary wenden wir uns an Ungarn der zweiten und dritten Generation, die kein oder kaum Ungarisch sprechen, aber ihre Herkunft noch kennen. Wir bringen sie für zwei Wochen nach Hause, um die ungarische Kultur besser kennenzulernen und sie zu den Siedlungen zu bringen, aus denen ihre Vorfahren stammten. Außerdem arbeiten sie am Ende des Programms als „Entschädigung“ für eine ungarische Organisation und berichten über ihre Reise.
2013 wurde das sogenannte „Mikes Kelemen-Programm“ ins Leben gerufen, um das Verschwinden wertvoller ungarischer Artefakte zu retten, die andernfalls möglicherweise auf einem Schrottplatz landen könnten. Viele Raritäten wurden auf diese Weise gerettet, zum Beispiel Kunstwerke aus dem XVI-XVII. Jahrhundert, Zeichnungen von Endre Szász und Fotografien vom Erzbischof Mindszenty, die während seines Australienbesuchs aufgenommen wurden. Alles ist jetzt in der Nationalbibliothek und im ungarischen Nationalarchiv aufbewahrt. Wir unterstützen zivile Organisationen, Kirchen, Volkstanzgruppen, Wochenendschulen und haben den Ungarischen Diasporarat ins Leben gerufen, um die Führer der Organisationen jedes Jahr nach Ungarn zu holen – um über die Vorgänge zu Hause informiert zu werden und ihnen zu erlauben zu sagen, was sie mit der Unterstützung der Regierung erreichen möchten. Darüber hinaus ist es unser langfristiges Ziel, ein Diaspora-Zentrum zu schaffen, damit man mehr über die reiche Kultur und die Errungenschaften der in der Diaspora lebenden Menschen erfahren kann.
Was sind die wichtigsten Programme für Ungarn im Karpatenbecken?
Der Hauptzweck unserer Politik für ungarische Gemeinschaften im Ausland ist es, die in diesen Ländern lebenden Ungarn in ihrem Heimatland zu halten, und ihre ungarische Identität zu bewahren. Eines der wichtigsten Programme ist die Unterstützung für Bildung und Kindererziehung. So bekommen die ungarischen Kinder außerhalb der Landesgrenzen jährlich 5 Milliarden Forint. Das Programm erreicht 250.000 ungarische Kinder. Dies bedeutet, dass einmal im Jahr die Familien aller ungarischen Kinder, die bereits seit dem Kindergarten in ein ungarisches Institut eingeschrieben wurden, 22.400 HUF erhalten. In der osteruopäischen Region entspricht dies einem Monatsmindestlohn.
Es ist auch wichtig, ein angemessenes institutionelles System und ungarische Intellektuelle zu haben – dies ist ein Schlüssel zum Überleben. Wir unterstützen auch Kirchen, weil es auch den Ungarn wichtig ist. Wir haben große wirtschaftliche Entwicklungsprogramme gestartet, um die Regionen zu verbessern, in denen die ungarische Bevölkerung lebt.
Darüber hinaus kündigt das Staatssekretariat seit 2012 thematische Jahre an: In den ersten Jahren lag der Schwerpunkt auf dem Bildungswesen, und ab 2015 stehen eher wirtschaftliche Fragen im Mittelpunkt. Das letzte und auch das diese Jahr stehen für die ungarischen Familien im Ausland.
Das Ziel ist, dass immer mehr Kinder im Ausland geboren werden, genau wie in Ungarn
Seit Trianon ist der am wichtigsten Schritt das sogenannte „Karpatenbecken-Kindergarten-Entwicklungsprogramm“, um jedem Elternteil die Möglichkeit zu geben, sein Kind in einer ungarischen Einrichtung im Karpatenbecken einzuschreiben. Dies bedeutet den Bau von 150 neuen Institutionen und die Durchführung von über 450 Renovierungsarbeiten.
Sie haben eine Reihe von Programmen erwähnt, aber wenn wir uns den ungarischen Haushalt ansehen, kommt heraus, dass der Anteil der Förederungsgelder überhaupt nicht hoch ist.
Ja, das stimmt. Ungefähr einhundert Milliarden Forint aus einem Budget von ungefähr 18.000 Milliarden pro Jahr werden für grenzüberschreitende Zwecke ausgegeben. Dies ist ein Betrag von rund 0,55%. Die Subventionen der Diaspora belaufen sich auf rund zwei Milliarden Forint, was in Prozent eigentlich nicht viel ist.
In Bezug auf die Förderungen stellen die Kritiker die Frage, warum der ungarische Staat die Ungarn unterstützt, die jenseits der Grenze leben und die Staatsbürger eines anderen Landes sind. Man könnte aber auch fragen, ob es überhaupt möglich ist, dies wirksam zu machen mit so viel Geld.
Die Antwort auf die erste Frage lautet, dass die Regierung, die 2010 ihr Amt angetreten hat, deutlich gemacht hat, dass sie in Nationalität und nicht in Grenzen denkt.
Jeder Ungar, sollte er irgendwo auf der Welt leben, ist ein Mitglied der ungarischen Nation.
Durch die Erleichterung der Zulassung der Staatsbürgerschaft haben wir auch die legale Gelegenheit dazu geschaffen, und infolgedessen ist die Zahl der Ungarn mit ungarischer Staatsbürgerschaft um eine Million gestiegen. Wenn wir uns die derzeit in Bearbeitung befindlichen Ressourcen für die Politik für ungarische Gemeinden im Ausland ansehen, dann sehen wir, dass sich dieser Betrag seit 2010 verdoppelt hat, als nur etwa 10 Milliarden Forint für dieses Ziel ausgegeben wurden. Das heutige Geld ist genug für uns, wenn wir gute Programme finden und die Ressourcen gut verteilen. Die Ergebnisse bestätigen dies auch: In der Slowakei wurden im laufenden Schuljahr mehr Kinder in ungarischen Schulen eingeschrieben als in den letzten Jahren. In der Region gibt es eine Renaissance der ungarischen Sprache und Bildung: Selbst die Ukrainer und andere dort lebende Nationalitäten besuchen ungarische Schulen, weil sie sehen, welche Entwicklungen gemacht wurden, und mit ungarischen Kenntnissen kann man Erfolg haben.
Hunderttausende sind in den letzten anderthalb Jahrzehnten seit dem EU-Beitritt ins Ausland gegangen. Wie wollen Sie verhindern, dass sie oder ihre Kinder und Enkel ihre ungarischen Wurzeln verlieren?
Tatsächlich sind viele Ungarn seit unserem EU-Beitritt ins Ausland gegangen, hauptsächlich nach Westeuropa. In ihrem Fall haben sie jedoch eine lebendigere Beziehung zu Ungarn, ihren Verwandten; Ihre Freunde leben hier, sie können jederzeit nach Hause kommen, und viele Kinder als Privatschüler legen ihre ungarischen Schulprüfungen ab. In ihrem Fall gibt es keine Trennung wie bei den 56ern. Außerdem sind sie häufig am Leben ausländischer ungarischer Gemeinschaften beteiligt oder gründen ihre eigenen Organisationen.
Aus den Zahlen geht hervor, dass in letzter Zeit immer mehr Menschen nach Hause zurückkehren.
Die Spaltung des ungarischen Volkes nach Trianon (1929) wird gewöhnlich als Tragödie angesehen. Könnte die Tatsache, dass ein Drittel von 15 Millionen Ungarn in anderen Ländern lebt, nicht zu einer Ressource werden?
Ja, dies könnte, wie im Falle anderer Nationen eine Stärke sein. Man könne nur an die Juden, die Iren oder die Armenier denken, die sind gute Beispiele dafür. Wir wollen die Ungarn aus dem Karpatenbecken und der Diaspora in eine „Kraftquelle“ des Landes verwandeln. Dieses Ziel wird auch das Hauptthema des Jubiläums im nächsten Jahr sein.
(Geschrieben von Miklós Halász-Szabó – Hungary Today, Fotos: Attila Lambert – Hungary Today, übersetzt von Ungarn Heute)