Angesichts einer Debatte im Europäischen Parlament über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn glauben sowohl ein regierungsnaher als auch ein linker Kommentator, dass das EP außerstande sei, wirklich Einfluss auf die in Budapest betriebene Politik zu nehmen, eine Presseschau von Budapost.
In der Debatte vom Donnerstag über die ungarische Coronavirus-Notstandsgesetzgebung forderten deren Kritiker den Rat auf, wegen Verletzung der Grundrechte einschließlich der Redefreiheit ein weiteres Verfahren nach Artikel 7 gegen Ungarn einzuleiten. Einige Abgeordnete schlugen auch vor, dass die Finanzausstattung Ungarns durch die EU von der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit abhängig gemacht werden sollte. Die Bitte von Justizministerin Judit Varga, ihr Land in der Debatte vertreten zu dürfen, wurde abgelehnt. Regierungschef Viktor Orbán sei der einzige ungarische Repräsentant, der gemäß der Geschäftsordnung im Plenum sprechen könne, erklärte die Parlamentspräsidentschaft. Orbán erklärte in diesem Zusammenhang, dass er zu beschäftigt sei, um teilnehmen zu können. Der Ministerpräsident weilte am Donnerstag zu einem offiziellen Besuch in Serbien. Vor Pressevertretern kündigte er unter anderem an, dass seine Regierung wahrscheinlich noch vor Ende des Monats die im Rahmen des Virus-Notstandsgesetzes übernommenen Sondervollmachten wieder abgeben werde.
Zsolt Bayer bezeichnet es als erbärmlich, dass das Europäische Parlament Justizministerin Judit Varga nicht erlaubt habe, die ungarische Regierung in der Debatte über ihre Notstandsmaßnahmen zu vertreten (siehe BudaPost vom 8. Mai). Der regierungsfreundliche Kommentator der Tageszeitung Magyar Nemzet vergleicht die Debatte des Europaparlaments mit dem „Friedensdiktat von Trianon“ des Jahres 1920, als die Westmächte über die Zukunft Ungarns entschieden, ohne das Land in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. (Der im Palais Grand Trianon im französischen Versailles abgeschlossene Vertrag verpflichtete Ungarn zu riesigen Gebietsabtretungen und verursachte dadurch eine drastischen Reduzierung seiner Bevölkerung – Anm. d. Red.) Bayer empfiehlt, die Ungarn sollten sich nicht allzu sehr mit dem Streit beschäftigen, da das Europaparlament zu schwach sei, um „Ungarns Grab zu schaufeln“.
In Népszava pflichtet Gábor Horváth den Kritikern der Notstandsmaßnahmen der ungarischen Regierung bei. Doch auch er glaubt, dass das Europäische Parlament nicht in der Lage sei, echten Einfluss auf ungarische Angelegenheiten zu nehmen und demokratische Normen zu verteidigen. Allerdings glaubt der linksorientierte Journalist auch, dass die EU im Rahmen der Verhandlungen über den EU-Haushalt Druck auf die ungarische Regierung ausüben könne. Diese Gespräche dürften sich zu einer harten Auseinandersetzung zwischen der EU und der Regierung in Budapest entwickeln. Sollte die Union die ungarische Regierung durch eine Kürzung der EU-Fördermittel bestrafen, werde dies dem Land nur kurzfristig schaden, langfristig jedoch von Vorteil sein, stellt Horváth abschließend fest.
(via budapost.de, Beitragsbild: pixabay)