Mit dem Titel „Orbáns starkes Mandat“ erschien eine Publizistik von Stephan Löwenstein (Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeine für Österreich und Ungarn). Hierbei finden Sie den ganzen Artikel:
Anfangs sah es so aus, als würde die Mehrheit von Orbán wackeln. Doch die Ungarn halten an ihrem Ministerpräsidenten fest – Orbán kämpfte dabei auch mit unfairen Mitteln.
Der Wahlsieg von Viktor Orbán ist eindeutig. Jeder zweite Wähler in Ungarn hat dem seit acht Jahren regierenden Ministerpräsident seine Stimme gegeben. Auch die Kandidaten seiner nationalkonservativen Partei Fidesz haben fast überall im Land über die der Oppositionsparteien obsiegt, und zwar in den meisten Fällen sehr deutlich. Die Ungarn wollen, dass Orbán weiter ihre politischen Geschicke bestimmt, und haben ihm, auch durch eine hohe Wahlbeteiligung, dafür ein starkes Mandat verliehen.
Es lässt sich sicher einiges daran aussetzen, wie Orbán seine Macht im innenpolitischen Kräftespiel einsetzt. Unter dem Einfluss des Fidesz sind die öffentlich-rechtlichen Medien zu unkritischen Verlautbarungsorganen der Regierung geworden. Mit Steuergeld wurde eine Dauerkampagne bezahlt, in der Parteiparolen und „Regierungsinformation“ nicht mehr unterscheidbar waren. Behörden, die den Wettbewerb und die freie Medienlandschaft sichern sollten, haben daran mitgewirkt, dass der Fidesz einen beträchtlichen Teil auch der privaten Medien unter seine Kontrolle brachte. Das Wahlrecht wurde auf die Bedürfnisse der Regierungspartei hin optimiert.
Aber auch mit diesem Wahlrecht wäre eine Ablösung Orbáns möglich gewesen. Nicht von ungefähr hatte es kurz vor dem Wahltag allerlei nervöse Aktivität auf Regierungs- wie auf Oppositionsseite gegeben. Beide Seiten haben einen Verlust der Regierungsmehrheit zeitweise für möglich gehalten. Und selbst in dieser Medienlandschaft findet ein lebhafter, kontroverser Meinungskampf statt. Wer regierungskritische Informationen und Beurteilungen lesen oder hören will, der kann das überall im Lande haben. Ungarn ist keine Diktatur.
Die Regierung mit der Ein-Thema-Kampagne
Warum hat die Regierung nicht auf ihre Bilanz verwiesen und mit einem inhaltlichen Programm für sich geworben? Warum hat sie stattdessen auf eine Ein-Thema-Kampagne gegen Migration gesetzt, obwohl dieses Problem die täglichen Bedürfnisse der Bevölkerung so gut wie nicht berührt? Man kann das wohl nur mit Blick auf das Jahr 2002 beantworten, als Orbán nach seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident abgewählt wurde, obwohl es dem Land nicht schlecht ging und er sich sicher im Sattel wähnte. Damals war eine breite Öffentlichkeit gegen ihn. Das, so hat man in den vergangenen Jahren von Fidesz-Leuten immer wieder gehört, sollte ihm nie wieder passieren.
Orbáns Erfolg beruht seither auf einer Taktik der dauernden Polarisierung. Sein Prinzip lautet: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Um diesen Grundsatz in einer Kampagne anzuwenden, benötigt man einen klar benennbaren Gegner. In der Innenpolitik hat sich kein Widerpart in Orbáns Gewichtsklasse mehr gefunden, und der starke Mann Ungarns hat geschickterweise auch keinen Oppositionspolitiker für diese Rolle aufgebaut, indem er seine Angriffe gegen ihn gerichtet hätte.
Stattdessen hat Orbán sich George Soros zum Feindbild erkoren. Der aus Ungarn stammende, einst dem Holocaust entronnene amerikanische Milliardär unterstützt Nichtregierungsorganisationen und Bildungseinrichtungen in Mittelosteuropa. Er beeinflusst somit mindestens indirekt das politische Geschehen in eine Richtung, die durch den Namen von Soros‘ „Open Society Foundation“ markiert wird.
Es ist legitim, diesen Einfluss zu benennen und zu problematisieren. Aber dass Soros als Feind der Nation dargestellt wird, der hinter jeglicher kritischer oder oppositioneller Regung stehe, ist unlauter – auch Fidesz-Leute wissen, dass das Unsinn ist. Die Art und Weise, wie dieses Sujet plakatiert wurde, bedient schlimme antisemitische Klischees. Das ist inakzeptabel. Dass die Europäische Union (zuletzt auch noch die UN) als Handlanger des „Soros-Plans“ wie ein äußerer Feind dargestellt wurde, ist ein schwerer Schlag für den Zusammenhalt und das Vertrauen in der EU.
Wohin führt die Dämonisierung?
Sollte Orbán diese Dämonisierung fortsetzen, dann nähme er sich selbst den politischen Spielraum, den er sich durch sein unbequemes, schroffes, im Grundsatz aber vertretbares Agieren in der Flüchtlingskrise über die eigentlichen Möglichkeiten Ungarns hinaus geschaffen hat. Für andere Länder wie Polen gilt Orbáns Ungarn als Leuchtturm, an dem sie sich orientieren. Dabei ist Orbán an sich kein EU-Gegner. Er weiß die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Union zu schätzen, nicht nur wegen der Transferzahlungen, sondern auch wegen der Absatzmärkte. Wenn es in Fragen der gemeinsamen Außenpolitik zum Schwur kommt, wie zuletzt bei der Ausweisung russischer Diplomaten, dann ist Ungarn unabhängig von der Weisheit des einzelnen Schrittes dabei.
Es liegt im Interesse Ungarns, aber auch der anderen EU-Staaten, insbesondere Deutschlands, dass der Graben nicht vertieft, sondern möglichst überbrückt wird. Dazu müsste Orbán darauf verzichten, innenpolitisch weiterhin ohne Rücksicht zu agieren. Dazu müssten aber auch die anderen akzeptieren, dass Orbán ein legitim gewählter Repräsentant seines Landes ist, den zu bevormunden unangebracht wäre.
(Via: faz.net, Beitragsbild: Károly Árvai / kormany.hu)