Während und nach der ungarischen Revolution im Jahr 1956, zwischen dem 23. Oktober 1956 und 30. April 1957, sind rund 200.000 Ungarn vor der Rückkehr der Kommunisten und den Vergeltungen Richtung Westen geflüchtet und haben ihr Heimatland oft für immer verlassen. Die Mehrheit hat sich in den USA, Kanada, Großbritannien, Westdeutschland, der Schweiz und Frankreich angesiedelt, aber auch in Österreich ist ein beträchtlicher Teil geblieben. Ein Großteil der Emigranten kam aus der intellektuellen Schicht, das heißt hochqualifizierte Personen wie Ärzte, Ingenieure, Volkswirte, sowie Studenten. Tatsächlich hat die Universität von Sopron Hunderte von Studenten und Professoren nach Kanada verlegt. Zahlreiche „1956-er“ Emigranten konnten in der Folge eine sensationelle Karriere in ihrem neuen Zuhause einschlagen. Unter ihnen befinden sich Weltklassesportler, Filmregisseure und Nobelpreisträger aus der Wissenschaft.
Ende Oktober 1956 wurden die Grenzkontrollen als Folge der Revolution von 1956 schrittweise abgeschafft. Die Intervention der sowjetischen Truppen zielte zunächst nicht auf die Schließung der Grenzen ab, so dass die westliche (und südliche) Grenze für die ungarische Bevölkerung, die bis Mitte/Ende November hermetisch vom Westen abgeschottet war, praktisch offen war. In diesen wenigen Wochen flohen wie erwähnt (nach westlichen und zeitgenössischen ungarischen Schätzungen) etwa 200.000 Menschen aus dem Land, meist über die grüne Grenze. In der damaligen kommunistischen Propaganda bezeichnete man diese Emigranten – zusammen mit anderen Personen, die während der Zeit des Parteistaats illegal ausgereist waren – im Volksmund als „Dissidenten“.
Die Mehrheit der Flüchtlinge hat das Land Richtung Österreich verlassen, wo sie sich zuerst in Auffanglagern aufhalten mussten. Von dort aus wurden sie zwischen 1956 und 1958 auf 35 andere westliche Staaten verteilt. Die Mehrheit hat sich in den USA (35.000), Kanada (24.000), Großbritannien (20.000), Westdeutschland (14.000), der Schweiz (12.000) und Frankreich (10.000) angesiedelt, aber auch in Österreich (19.000) ist ein beträchtlicher Teil geblieben. Während die Flüchtlinge im Westen meist herzlich empfangen wurden, sind sie von dem rückkehrenden kommunistischen Regime in Ungarn für unerwünscht erklärt worden. Den Kontakt mit ihren zurückgebliebenen Verwandten konnten sie nur über Briefe pflegen, da die meisten erst nach vielen Jahren wieder ihr Heimatland besuchen konnten.
Die Flüchtlinge machten sich in Lastwagen, Bussen und zu Fuß auf den Weg zur grünen Grenze. Die österreichische Grenze konnte aufgrund der Minensperre nur auf bestimmten Wegen sicher überschritten werden. Für den Transport von Menschen von Budapest zur Grenze wurden in der Regel Lastwagen eingesetzt. Nach dem 4. November ordnete die verstärkte sowjetische Militärführung die bewaffnete Bewachung der Grenze an, doch die Flüchtlingswelle hielt an, wobei es zu einigen tödlichen Schießereien kam. Schließlich erreichte die bewaffnete Bewachung der Grenze ein solches Ausmaß, dass die Flucht allmählich eingestellt wurde.
Ein Großteil der Emigranten stammt aus der intellektuellen Schicht, das heißt hochqualifizierte Personen wie Ärzte, Ingenieure, Volkswirte, sowie Studenten, die noch mobil waren und ihre ganze Existenz im Westen aufbauen konnten. Das bedeutete für Ungarn einen riesigen Verlust, für den Westen aber einen großen Gewinn. Es ist daher kein Wunder, dass man im Senat der USA über die in den Jahren 1956-57 angekommenen Ungarn gesagt hat:
Diese Einwanderungsgruppe ist von der besten Qualität, die je in die USA gekommen ist
Die Mehrheit der Flüchtlinge konnte sich in die neuen Gesellschaften integrieren und eine erfolgreiche Karriere einschlagen. Während die Aufnahme der Ungarn den Aufnahmeländern am Anfang sozialen und finanziellen Aufwand bereitete, konnten sie von den gebildeten Menschen später viel profitieren.
Nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution 1956 entschied sich der Großteil der Studenten und Professoren der Forstwirtschaftsfakultät der Hochschule der Grenzstadt Sopron (Ödenburg) für das Verlassen des Landes. Insgesamt 450 Studenten und 50 Professoren haben die grüne Grenze zu Österreich übertreten. Da der Dekan Kálmán Roller bei den österreichischen Behörden vergeblich versuchte, den Unterricht genehmigen zu lassen, schickte er insgesamt zwanzig Ländern einen Brief, von denen sich die kanadische University of British Columbia bereit erklärte, die Fakultät aufzunehmen. Daraufhin haben sich 200 Studenten und 28 Professoren weiter in Richtung Kanada auf dem Weg gemacht. Die „Sopron Division“ erhielt eine vollständige Eigenständigkeit, die Studenten konnten ihre Studien weiter auf Ungarisch fortsetzen, bis sie die englische Sprache beherrscht haben. Insgesamt 141 ungarische Förster haben in Vancouver ihr Studium absolviert. Der Großteil von ihnen ließ sich in Kanada und in den USA nieder. Seit der Wende haben mehrere von ihnen ihre Heimat und ihren Studienort Ödenburg mehrmals besucht.
Die ersten Flüchtlinge konnten frühestens wieder nach Ungarn in der Mitte der 1960er Jahren einreisen, also 10 Jahre nach der Revolution, jedoch nur diejenigen, die keine bedeutende Rolle beim Aufstand gespielt haben. In den kommenden Jahren hat das kommunistische Regime ihre Heimatbesuche auch wegen der erhofften Valutaeinnahmen genehmigt. Die wahren Freiheitskämpfer haben aber erst über 30 Jahre später, nach der Wende, wieder ungarischen Boden betreten.
Einem geheimen Bericht des ungarischen Zentralamts für Statistik aus dem Jahr 1957 zufolge waren die Emigranten eher städtisch – die Hälfte der Emigranten stammte aus Budapest -, ein größerer Anteil der Emigranten kam aus der Region Transdanubien, doppelt so viele Männer wie Frauen und die Hälfte der Flüchtlinge war unter 25 Jahre alt. Etwa 2/3 der Flüchtlinge waren erwerbstätig, davon 63,5 % in manuellen Tätigkeiten (34,6 % waren Facharbeiter).
Bekannte Flüchtlinge von 1956 (Auswahl)
Ferenc Puskás (Fußballspieler)
Der wohl bis heute bekannteste Ungar im Ausland spielte mit seiner Mannschaft Budapest Honvéd während der Revolution gerade gegen Athletic Bilbao in Spanien. Als er die Nachricht über die Niederschlagung der Revolution erfuhr, entschied er sich, in Wien zu bleiben. In seinem späteren Leben konnte er eine ausgezeichnete Spieler- und Trainerkarriere in verschiedenen Ländern einschlagen.
Andrew G. Vajna (Filmproduzent)
András Vajna verließ mit 12 Jahren mithilfe des Roten Kreuzes das Land und ließ sich später in Los Angeles nieder, wohin ihm auch seine Familie folgte. Nach verschiedenen Tätigkeiten konnte er sich ab den 1980er Jahren als einer der erfolgreichsten Filmproduzenten Hollywoods etablieren. Unter anderem sind Filme wie die Rambo-Trilogie, Stirb langsam, Evita, Basic Instinct oder Terminator 3 mit seinem Namen verbunden.
Violetta Ferrari (Schauspielerin)
Die ungarische Schauspielerin konnte nach ihrer Flucht ihre erfolgreiche Laufbahn auch in Westdeutschland fortsetzen. In den späten 1950er und in den 1960er Jahren hat sie in zahlreichen deutschen Heimatfilmen gespielt. Außerdem sang sie auch einige Schlager wie zum Beispiel das Lied „Es muß die Liebe sein“, welches Platz 12 bei den Deutschen Schlager-Festpielen 1964 belegte.
György Ligeti (Komponist)
Der in Siebenbürgen geborene Ligeti war einer der bekanntesten Komponisten des 20. Jahrhunderts und Repräsentant der Neuen Musik. Nach der Niederschlagung des Volksaufstandes floh er gemeinsam mit seiner Frau nach Wien und erhielt 1967 die österreichische Staatsbürgerschaft. Darüber hinaus lebte er auch in Westberlin, wo er Mitglied der Akademie der Künste wurde.
György Oláh (Budapest, 22. Mai 1927 – Beverly Hills, 8. März 2017) Nobelpreisgekrönter Chemiker
Der in Ungarn geborene amerikanische Chemieprofessor ungarischer Abstammung, Träger der ungarischen Corvin-Kette und des Großen Széchenyi-Preises, György Oláh erhielt den Nobelpreis für Chemie „für seinen Beitrag zur Carbokation“. Er ist der Erfinder der vielbeachteten Direktmethanol-Brennstoffzelle, die auch eine Lösung für das Problem der globalen Erwärmung bietet. Der Nobelpreisträger war ein Gründungsmitglied der Stiftung „Freunde von Ungarn“, dem Herausgeber der Nachrichtenportale „Hungary Today“ und „Ungarn Heute“.
Quelle: kisalfold.hu mnl.gov.hu blog.panyizsuzsi.hu Bild: Fortepan / ETH Zürich