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Getrennt und wieder vereint – Ungarn feiern den Tag der nationalen Einheit

Ungarn Heute 2024.06.04.

Im Friedensdiktat von Trianon ging es nicht nur darum, eine unmögliche Menge an Territorium wegzunehmen, sondern auch darum, dass Ungarn zu einem ausgestoßenen, stigmatisierten Staat wurde, sagte Áron Máthé, Historiker und stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Gedenkkomitees, am Jahrestag des 4. Juni 1920 gegenüber hirado.hu. Politiker gedenken dem Tag der nationalen Einheit.

In Europa und in der Welt gab es zur Zeit des Ersten Weltkrieges zu viele Großmachtinteressen, die miteinander in Konflikt standen, erklärte Áron Máthé. Die britisch-deutsche Rivalität, die französische Rache gegen die Deutschen und natürlich die russischen Pläne für den Balkan und die Türkei. Dem gegenüber stand die deutsche Idee von Berlin-Bagdad. Die österreichisch-ungarische Monarchie war die einzige, die wirklich nichts weiter wollte, als in Ruhe gelassen zu werden. Aber die Ermordung des Thronfolger war eine erfolgreiche Provokation und Österreich-Ungarn blieb nichts anders übrig als die Kriegserklärung, denn eine laxere Reaktion hätte die Existenz der Monarchie als Staat in Frage gestellt, so der Historiker.

Nach dem Ende des Krieges interessierten sich die europäischen Mächte für die Aufteilung des Nahen Ostens, die Ölquellen und das erhoffte antibolschewistische Ende des Bürgerkriegs in Russland.

Außerdem ging es nicht darum, wo die neuen ungarischen Grenzen verlaufen würden, sondern darum, dass die Grenzen der Tschechoslowakei, Rumäniens und Österreichs bereits grob gezogen waren. Und was bleibt, der Rest, wird Ungarn sein,

erklärte der Experte.

Foto: Facebook/Városi Múzeum

Mitte Januar 1920 reiste die ungarische Friedensdelegation nach Paris. Die Ungarn dachten, sie würden als Verhandlungspartner empfangen, was natürlich ein Irrtum war. Die Franzosen waren die vehementesten, sowohl in ihren Verhandlungsmethoden als auch in ihrem Tonfall, so der Historiker. Man muss wissen, dass das Vereinigte Königreich und Frankreich ein sehr breit angelegtes parlamentarisches System hatten. Das britische und französische Volk, die Wählerschaft, erwartete nach dem Krieg Antworten auf das Blutvergießen des Krieges. Deshalb war es notwendig, die Schuldigen zu finden.

Mitteleuropa wurde Westeuropa untergeordnet, mit einem Machtvakuum zwischen Berlin und Moskau. In den Augen der Franzosen waren natürlich die Deutschen die Hauptschuldigen, aber sie wurden nicht so hart bestraft, wie sie es sich gewünscht hätten, was zum Teil auf den mangelnden Willen der Alliierten zurückzuführen war, sagte Áron Máthé.

Trianon hat in der ungarischen Psyche ein Gefühl der Niederlage eingebrannt, das nur durch eine erfolgreiche Revision hätte behoben werden können. In Trianon ging es nicht nur um die Einnahme einer unmöglichen Menge an Territorium, sondern auch darum, dass Ungarn zu einem ausgestoßenen, stigmatisierten Staat wurde,

so der Historiker und fügte hinzu, dass Ungarn sich gerade erst aus diesem Gefühl der Niederlage befreit hatte, als der Zweite Weltkrieg, der Holocaust und die doppelte Besatzung, der brutale Marsch an die Front, kamen.

Dennoch hat es bis 1956 ein sehr starkes Gefühl von Gemeinschaftssinn und Solidarität gegeben. Während der Revolution 1956 war das ungarische Volk einige Tage lang wie in Trance, weil es glaubte, es könne gewinnen. Sie haben es geglaubt, weil sie dazu gebracht wurden, es zu glauben. Doch das erhoffte Eingreifen des Westens erfolgte nicht und es kam die nächste bittere Enttäuschung: die Sowjets und die Kommunisten kehrten zurück. Doch diese Enttäuschung hatte auch ein positives Ergebnis, erklärte Áron Máthé:

Das ungarische Volk lernte ein für alle Mal, dass es keine Großmacht gibt, der man trauen kann.

Einerseits hat Trianon das Land kleiner gemacht, andererseits hat man den Ungarn eingeimpft, dass sie immer die Schuldigen, die Dümmsten in Ostmitteleuropa sind. Áron Máthé betonte, dass es eine würdige Herausforderung für die heutigen Denker wäre, hier Abhilfe zu schaffen.

Trianon Denkmal von Dávid Tóth in Hatvan, Komitat Heves. Foto: wikimedia

Fact

Am 31. Mai 2010 erklärte das ungarische Parlament den 4. Juni, den Tag der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Trianon zur Beendigung des Ersten Weltkriegs, zum Tag der nationalen Einheit. In dem Gesetz heißt es, dass „jedes Mitglied und jede Gemeinschaft der ungarischen Nation, die der Rechtsprechung mehrerer Staaten unterliegt, Teil der vereinten ungarischen Nation ist, deren Zusammenhalt über die Staatsgrenzen hinweg eine Realität und gleichzeitig ein bestimmendes Element der persönlichen und gemeinschaftlichen Identität der Ungarn ist“. Der 1920 unterzeichnete Vertrag von Trianon erklärte die österreichisch-ungarische Monarchie für aufgelöst. In der Folge verringerte sich das ungarische Staatsgebiet (ohne Kroatien) von 283.000 Quadratkilometern auf 93.000 Quadratkilometer und die Bevölkerungszahl von 18,2 Millionen auf 7,6 Millionen.

Die Ungarische Regierung erinnert mit einem Facebook-Post an den Tag der nationalen Einheit mit Bildern der brennenden Flamme, die seit dem 100. Jahrestag als ewige Flamme am Denkmal der nationalen Einheit auf dem Kossuth-Platz steht.

Der Tag der nationalen Einheit sei eine Gelegenheit, sich am Jahrestag des Friedensdiktats von Trianon nicht nur an die historischen Traumata, sondern auch an unsere Erfolge zu erinnern,

sagte der Staatssekretär für Nationale Politik Árpád János Potápi und betonte, dass Ungarns Geschichte nicht nur aus besiegten Kriegen und niedergeschlagenen Revolutionen bestehe, denn „trotz aller Schwierigkeiten stehen wir hier als größte Nation des Karpatenbeckens“, und „wir haben in den vergangenen 104, vor allem aber in den vergangenen 14 Jahren Erfolge erzielt, auf die wir zu Recht stolz sein können“. Zu den kulturellen und sportlichen Erfolgen zählte er die Leistungen ungarischer Wissenschaftler, darunter Nobelpreisträger, sowie die Erfolge der Fußballnationalmannschaft und der Olympiasieger.

Er erinnerte daran, dass 2010 das neue Parlament symbolische Gesetze verabschiedete, wie das Gesetz über die doppelte Staatsbürgerschaft und den Tag der nationalen Einheit. Diese Gesetze boten die Gelegenheit, eine neue nationale Politik zu entwickeln, die sich vor allem an Kinder richtet. Bisher haben fast 540.000 Kinder am Programm „Grenzenlos“ teilgenommen, und die Regierung nutzt die Bildungsförderung, um jedes Jahr 230-240.000 ungarische Schüler von jenseits der Grenze zu erreichen und ihnen bewusst zu machen, dass sie Teil ein und derselben Nation sind, auch wenn sie in verschiedenen Ländern leben.

Wir denken im Sinne einer geeinten Nation und die Regierung trägt die Verantwortung für die jenseits der Grenze lebenden Ungarn,

so der Politiker.

Zsolt Semjén, stellvertretender Ministerpräsident und Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP), sagte bei einer Gedenkveranstaltung in Zebegény im Komitat Pest anlässlich des Tages der nationalen Einheit, dass das Gesetz zur nationalen Einheit auf drei Ideen basiere: Trauer, Lehren ziehen und Stolz, dass wir Trianon überlebt haben. Jetzt in Europa, inmitten eines weiteren eskalierenden Krieges, im Schatten der Gefahr eines Weltkrieges, ist es besonders wichtig, sich daran zu erinnern, dass kein Krieg in der Geschichte jemals mit Blick auf das Ende begonnen hat, so der Politiker.

Bence Rétvári, parlamentarischer Staatssekretär des Innenministeriums, sagte während der Gedenkveranstaltung, dass die Gedenkstätte, die Nationalflagge, der 4. Juni und der Tag der nationalen Einheit daran erinnern sollten, dass die Ungarn immer zusammenstehen werden. Eine weitere wichtige Lehre aus den Ereignissen vor 110 Jahren sei, dass „wir Ungarn denselben Fehler nicht noch einmal machen dürfen. (..) Zweimal im 20. Jahrhundert haben wir dafür einen sehr hohen Preis bezahlt, und wir Ungarn können nicht noch einmal einen solchen Preis für die Kriege anderer bezahlen“, sagte er.

Das Rad der Geschichte in eine gute Richtung drehen
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Das haben wir 2010 getan, als wir sagten, dass wir Verantwortung für die Ungarn im Ausland tragen, sagte Staatssekretär Potápi in Eisenburg (Torockó).Weiterlesen

 via hirado.hu, MTI, Beitragsbild: Facebook/Ujvári Imre