Helmut Kohl, eine führende Persönlichkeit der europäischen Christdemokratie, spielte eine Schlüsselrolle bei der Wiedervereinigung Deutschlands und starb heute vor fünf Jahren, am 16. Juni 2017, im Alter von 87 Jahren.Weiterlesen
Das vergangene Jahr stand im Zeichen eines doppelten Jubiläums: 2022 jährte sich der Todestag von Helmut Kohl zum fünften, und der Geburtstag von József Antall zum 90. Mal. Diese beiden großen Politiker waren nicht nur in ihren Ländern, sondern auch in Europa einflussreiche Persönlichkeiten. Aus diesem Anlass veranstaltete das Institut und Archiv zur Erforschung der Geschichte des Regimewechsels (RETÖRKI) mit Unterstützung des Nationalen Kulturfonds (NKA) am 24. Mai 2023 im Oberhaus des Parlaments eine wissenschaftliche Konferenz. Die Konferenz stand unter der Schirmherrschaft von Dr. László Kövér, dem Präsidenten des ungarischen Parlaments, der aufgrund seiner offiziellen Verpflichtungen nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnte.
„Die Wende der 1980er und 1990er Jahre war eine Zeit der Suche nach einem neuen Weg, als die Schwächung und spätere Auflösung der Sowjetunion es den Staaten Mitteleuropas ermöglichte, ihren eigenen demokratischen Weg einzuschlagen“ – sagte Gábor Nyári, Geschäftsführer von RETÖRKI in seiner Eröffnungsrede. „Die heutige internationale wissenschaftliche Konferenz will daher die Rolle der beiden konservativen Politiker bei den Regimewechseln in Mitteleuropa untersuchen und ergründen, wie die Nationen, die ihre Freiheit gewonnen haben, ihren eigenen Weg suchten und wie sie miteinander verbunden waren.“
Auf der Konferenz sprachen bekannte und angesehene Persönlichkeiten wie zum Beispiel Prof. Dr. Hans Kaiser, ehemaliger Bundesminister für Europaangelegenheiten und Minister der deutschen Bundesländer, Dr. Tamás Fricz, wissenschaftlicher Chefberater von RETÖRKI, und Dr. Endre Marinovich, stellvertretender Generaldirektor des Forschungsinstitutes VERITAS, der in der ersten Legislaturperiode nach dem Regimewechsel als Kabinettschef von Ministerpräsident József Antall tätig war.
Professor Hans Kaiser betonte, dass die Freundschaft zwischen Helmuth Kohl und József Antall auch die historische Freundschaft zwischen Deutschland und Ungarn vertiefte, die dann die Politikgeschichte Europas nachhaltig beeinflusst hat: ohne Helmuth Kohl wären die Berliner Mauer und der Eiserne Vorhang, die die beiden Weltordnungen trennten, nicht gefallen, und József Antall hatte als erster demokratisch erwählter Ministerpräsident Ungarns einen unbestreitbaren Anteil daran, dass der Regimewechsel in Ungarn unblutig, friedlich und demokratisch vollzogen wurde. „Helmuth Kohl, als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland hat auf die Hoffnung auf die Wiedervereinigung Deutschlands nie verzichtet und hat dafür sehr hart gekämpft. Es war ihm aber klar, dass ein friedlicher Regimewechsel ohne die Mitwirkung der Sowjetunion nie vollzogen werden könnte, deshalb hat er die politischen Beziehungen zu Michael Gorbatschow aufgebaut, um den Weg zueinander zu finden.“
Helmuth Kohl war der Vater der Wiedervereinigung Deutschlands
betonte Professor Kaiser.
Was aus dieser Freundschaft bis heute geworden ist, ist eine andere Frage und sollte ausführlich erörtert und analysiert werden. Kaiser ist der Meinung, dass zwischen unseren Ländern in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren eine merkwürdige Distanzierung zu spüren sei, die schwer zu begreifen ist. Er meint, dass Deutschland und Ungarn dafür sehr viel tun müssen, um sich wieder anzunähern, und um Konflikte und Missverständnisse aus der Welt schaffen zu können. Eines ist sicher – sagt Kaiser -, um Ungarn verstehen zu können, muss man hier leben und in dieser inspirierenden Umgebung die ungarische Kultur und Mentalität kennenlernen.
In der heutigen weltpolitischen Situation sollten nämlich Deutschland und Ungarn nicht gegeneinander kämpfen, sondern nebeneinander stehen und einander unterstützen.
Tamás Fricz zufolge bestand kein Zweifel daran, dass das Europa der 1980er und 1990er Jahre voller charismatischer Politiker und Staatsmänner von großem Format war, wie Margareth Thatcher, Giscarde D‘ Estagne, Jacques Chirac oder, auf der linken Seite, Francois Mitterand, Felipe Gonzalez und Helmut Schmidt. In vielerlei Hinsicht ragt aber auch hier Helmut Kohl heraus, dem das Verdienst zukommt, die zweite deutsche Einheit nach Bismarck im Jahr 1871 geschaffen zu haben.
Helmut Kohl hat sich das Schicksal der Länder Ost- und Mitteleuropas immer zu Herzen genommen, insbesondere das von uns, Ungarn. Natürlich gab es dafür historische und kulturelle Gründe, und die gemeinsame Vergangenheit erklärt dies auch, aber es ist auch klar, dass Deutschland die Region, die sie Osteuropa nennen, die wir eher als Mitteleuropa bezeichnen, immer als einen kleinen Teil seiner eigenen Interessensphäre betrachtet hat.
„Es ist daher nicht verwunderlich, dass, als es Ende der 80er Jahre politisch zu gären begann und die Sowjetunion unter Gorbatschow zunehmend geneigt war, die annektierten mittel- und osteuropäischen Länder aus dem Griff des Kommunismus zu befreien und ihnen Freiheit und Unabhängigkeit zu gewähren, es Helmut Kohl war, der als westdeutscher Bundeskanzler offen für Veränderungen war und deutlich signalisierte, dass er den östlichen Ländern, insbesondere Ungarn und Polen, die an der Spitze der Demokratisierung standen, bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise und der hohen Verschuldung helfen wollte, die für die Stabilisierung der Demokratie unerlässlich waren“, erklärte Fricz.
„Die reale Aussicht, dass sich die kommunistische DDR, die östliche Hälfte des ehemals geeinten Deutschlands, von der Sowjetunion lösen und nicht nur dem Lager der freien Länder, sondern auch der zweiten deutschen Einheit, der Wiedervereinigung, die schon Konrad Adenauer vorschwebte, beitreten würde, gab ihm besonderen Auftrieb. Helmut Kohl stand also vor einem besonders großen historischen Moment, und es war ein Glück für die Deutschen, dass gerade in diesem geschichtlichen Augenblick ein wahrer Staatsmann an der Spitze der Bundesrepublik stand, der ohne Zögern und Zaudern die erheblichen geopolitischen Risiken auf sich nahm, die mit der Schaffung der deutschen Einheit verbunden waren“ – betonte Tamás Fricz.
Der bekannte Politologe fügte hinzu, dass die Hilfsbereitschaft bei Bundeskanzler Helmut Kohl nur dadurch verstärkt wurde, dass
wir 1989 mit der Öffnung unserer Grenzen den zu uns geflüchteten Osteuropäern die Ausreise nach Österreich ermöglicht haben und von da an in Ostdeutschland revolutionäre Prozesse in Gang gesetzt wurden, die schließlich zum Fall der Berliner Mauer am 9. November führten, was symbolisch das Ende des Kalten Krieges in Europa bedeutete.
Von da an bis zu seinem Tod sprach Helmut Kohl immer mit viel Gefühl und Aufrichtigkeit davon, dass es die Ungarn waren, die den ersten Stein aus der Berliner Mauer herausgeschlagen haben.
Beitragsbild: Ungarn Heute