Das enteignete Stadtpalais wurde mit finanzieller Unterstützung der ungarischen Regierung zurückgekauft.Weiterlesen
Temeswarer Domplatz: links Palais Brück, rechts serbisch-orthodoxer Bischofspalast, beide von László Székely entworfen
In der Banater Großstadt, die als rumänische Hochburg des Multikulturalismus angepriesen wird, muss um jedes Minderheitenprogramm gekämpft werden.
Wenn Brüssel darüber befindet, was die Multikulturalität ausmacht, ist in der östlichen Hälfte Europas äußerste Vorsicht angesagt. Wenn auch die Bukarester Regierung mitmischt, müssen Rumäniens ethnische Minderheiten zusehen, wie sie als Feigenblätter einer Politik benutzt werden, die – um den Literaturkritiker Titu Maiorescu (1840-1917) zu zitieren – auf inhaltsleeren Formen („forme fără fond“) abzielt.
So geschehen in einer der diesjährigen Kulturhauptstädte Europas, der Banater Großstadt Temeswar. Die nurmehr ansatzweise vorhandene Mehrsprachigkeit des einstigen „ungarischen Manchester“ und das vollmundige Versprechen des Multikulturalismus haben den anderen großen Bewerber im Rennen um den prestigeträchtigen Titel, das siebenbürgische Klausenburg, ausgestochen. Die Ungarn, nach der massiven Abwanderung der örtlichen Deutschen, die größte nicht-rumänische Volksgruppe der Stadt, freuten sich über diese einmalige Gelegenheit, den Beitrag der ungarischen Kultur zur Entwicklung der Metropole an der Bega einer breiteren Öffentlichkeit zu zeigen. Leider machten die Magyaren die Rechnung ohne den Wirt: Das Organisationskomitee veröffentlichte im Vorfeld der offiziellen Eröffnung im vergangenen Jahr eine ausführliche Zusammenfassung in englischer und rumänischer Sprache darüber, was Temeswar der Welt als Kulturhauptstadt Europas vermitteln möchte.
In der „Botschaft“, die auch von Brüssel angenommen wurde, war von der Bedeutung der LGBTQ-Bewegung und der Roma-Minderheit in Temeswar die Rede, andere einheimische Volksgruppen wurden jedoch nicht erwähnt.
Die ungarische Gemeinschaft wollte mit einer Ausstellung über das Lebenswerk des größten Architekten Temeswars, László Székely (1877-1934), punkten. Seine Gebäude prägen heute noch das herzeigbare Gesicht der Stadt und sind in allen Werbebroschüren zu sehen, die verständlicherweise nicht die kommunistischen Plattenbauten, sondern die Stadtpalais der „Belle Époque“ präsentieren. Das Vorhaben fiel durch das multikulturelle Sieb Brüsseler Observanz. Hinter vorgehaltenen Hand wird darüber gemunkelt, dass das frühere Projektmanagement deswegen gehen musste, weil seine Mitarbeiter nicht „europäisch“ genug waren. Gekommen sind Leute, die keinerlei Bezug zu der Banater Hauptstadt haben, wo unter anderen zwei Nobelpreisträger lebten, die Banater Schwaben Herta Müller und Stefan W. Hell, aber auch einer der größten Mathematiker aller Zeiten, der Ungar János Bolyai (1802-1860), der hier „aus dem Nichts eine neue, andere Welt geschaffen“ hat. Die „europäische Aussicht“ hat leider nichts mit den zitierten Persönlichkeiten zu tun, sondern mit einer ideologischen Agenda, die hinlänglich bekannt sein dürfte.
Die ungarische Gemeinschaft will in dem mit Budapester Regierungsmitteln gekauften und renovierten Stadtpalais, das widerrechtlich verstaatlicht und nicht rückerstattet wurde, auch den anderen Volksgruppen (jeweils 4000 Deutsche und Serben, 1500 katholische Bulgaren) die Gelegenheit bieten, ihre Programme im Kulturhauptstadt-Jahr durchzuführen.
Unter der Ägide der Multikulturalität wollen die Banater Ungarn auch die Öffnung des sogenannten Triplex Confinium, des Drei-Länder-Grenzübergangs, anstreben, die seit Jahren von Klaus Werner Iohannis, rumänischer Staatspräsident und Träger des Karlspreises für europäische Verständigung, torpediert wird. Ein weiteres Anliegen nicht nur der magyarischen Banater wäre der Wiederaufbau der Eisenbahnlinie zwischen den beiden Partnerstädten Temeswar und Szegedin. Vor über hundert Jahren gab es täglich 7-8 Züge zwischen den beiden Großstädten, heute keinen einzigen: Ursprünglich verlief die Bahnstrecke in gerader Linie über Hatzfeld (Zsombolya, Jimbolia) und Großkikinda (Nagykikinda). Nach dem Anschluss an Rumänien wurde die Marosch-Brücke, die die Zugverbindung aus dem Banat bediente, abgebaut, gleich wie die Eisenbahnstrecke ab Großkikinda.
Für die pragmatischen Banater heißt „Multikulturalität“ und „Europa“ die Freiheit ohne große Umwege zu reisen und reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, rumänisch, deutsch, ungarisch, serbisch, bulgarisch, aber auf jeden Fall ohne ideologische Scheuklappen. Weder Brüssel noch Bukarest sollten diese selbstverständlichen Wünsche vereiteln.
Beitragsbild: Bagyinszki Zoltán, Szecessziós Magazin Facebook