Die Mehrheit der Kommentatoren sieht keinen großen Spielraum bezüglich einer Neuausrichtung der italienischen Außenpolitik nach dem Erdrutschsieg der Mitte-Rechts-Koalition.
La Reppublica zitiert Ursula von der Leyen, deren ungewollter Anfall von Ehrlichkeit den Parteien der Mitte-Links-Koalition mehr geschadet als genutzt hat: „Wir werden das Ergebnis der Abstimmung in Italien abwarten, und wenn sich die Dinge in eine schwierige Richtung entwickeln, haben wir Instrumente, wie im Falle Polens und Ungarns“.
Von Corriere della Sera gefragt, wie er von der Leyens Rute im italienischen Fenster sieht, bewertete Salvini diese gar nicht versteckte Drohung als „würdelos und peinlich“ und rang um die richtige Einschätzung derselben („eine Drohung, eine Erpressung, institutionelles Mobbing?“). Da die Lega das von ihrem Parteisekretär erwartete „außerordentliche Ergebnis“ doch nicht erzielt, ja sogar die psychologische Schwelle von 10 Prozent unterschritten hat, kann man davon ausgehen, dass Salvinis Partei auf der Suche nach einem schärferen Profil ein unbequemer Koalitionspartner sein wird. In welche Richtung diese gehen wird ist noch schwer vorherzusehen. Da sowohl FdI wie auch FI dem transatlantischen Bündnis die Treue geschworen haben, böte nur eine vorsichtige Distanzierung einen gewissen Spielraum. Diese ist jedoch alles anderes als einfach, da die Unterstützung für die Ukraine, zu der Meloni bereits umfangreiche Zusicherungen gegeben hat, für Brüssel eine rote Linie ist, die nicht überschritten werden darf. In Straßburg ist die Fraktion der Konservativen und Reformisten, deren Chefin Giorgia Meloni ist, in der Mehrheit, die Roberta Metsola unterstützt, während um die „Identität und Demokratie“-Fraktion, in der die Lega sitzt, die Mehrheit im Europäischen Parlament eine Art „Cordon sanitaire“ errichtet hat, meint ansa.it
Aus ungarischer Sicht gibt Salvinis überraschende Ablehnung einer Nähe zu Orbáns Ungarn nicht viel Anlass zur Hoffnung auf ein gemeinsames Auftreten in der EU: „Das ist nicht mein Modell. Aber wenn das Volk wählt, hat es immer Recht. Orbán macht Fehler, wie in der Abtreibungsfrage (wo er weit von der Realität entfernt ist), aber wie jeder andere auch.“, wird Salvini von Corriere della Sera zitiert. Das ist umso bemerkenswerter, als dass Salvini im Wahlkampf beispielsweise die ungarische Familienpolitik ausdrücklich gelobt hat (wir berichteten).
EUNEWS zitiert den nationale Koordinator von Forza Italia und Vizepräsidenten der Europäischen Volkspartei (EVP), Antonio Tajani, der den anderen Juniorpartner der Mitte-Rechts-Koalition als „entscheidend für die Stabilität und Glaubwürdigkeit (Italiens) auf internationaler Ebene“ sieht. Er verspricht, dass seine Partei sich für „ein atlantisch orientiertes Italien einsetzen wird, mit engen Beziehungen zur NATO und zu Brüssel“.
In Bezug auf den ungarischen Ministerpräsidenten Orbán, bekräftigte Tajani, dass „er einen Rückschlag erlitten hat und keine Unterstützung von Forza Italia erhält“.
Die ersten Reibereien bezüglich der internationalen Verbündeten in der künftigen Regierungskoalition zeichnen sich bereits ab, meint EUNEWS.
Der Ungarn gegenüber kritisch eingestellte Il Giornale verbietet sich die Einmischung der Kommissionspräsidentin, die, „seit sie täglich damit beschäftigt ist, Polen und Ungarn zurechtzuweisen, jegliches Gespür für Maß und Geschichte verloren hat und die italienischen Wähler wie ungezogene Bengel unter Vormundschaft behandelt.“ Mit einer kleinen Empathie-Übung könnte Il Giornale vielleicht Parallelen zwischen dem Verhalten der Linken in Italien und dem Vorgehen ihrer Gesinnungsgenossen in Ungarn ziehen: „Eine verzerrte Sichtweise auf das selbstzerstörerische Geschwätz“, so Il Giornale, die in ganz Europa verbreitet wird, könnte man nämlich auch für die ungarische Linke geltend machen.
Die linksgerichtete La Repubblica sieht einem Sieg der von Meloni geführten Koalition mit Sorge entgegen. Die Spannungen mit Ungarn könnten angesichts des politischen Gewichts Italiens zu einem „zu vernachlässigendem Detail“ verkümmern. Die Unterstützung aus den Visegrád-Staaten könnten sogar zu einer politischen „Neuausrichtung des Kontinents“ führen.
Beitragsbild: Giorgia Meloni Facebook