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Die führenden Tageszeitungen Italiens versuchen einen Blick hinter den Kulissen der gestrigen Treffen der italienischen Regierungschefin mit konservativen Politikern zu werfen. Trotz unterschiedlicher Einschätzungen herrscht Einigkeit darüber, dass Viktor Orbán bei den Bemühungen um eine Neuorganisation der europäischen Rechten unumgänglich ist.

Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sagt Nein zu Viktor Orbán, schrieb die auflagenstärkste italienische Tageszeitung Corriere della Sera in ihrer heutigen Ausgabe, wobei diese Behauptung nicht näher belegt wird. Der ungarische Ministerpräsident würde gerne ihrer Fraktion der Konservativen und Reformisten (EKR) beitreten, aber das politische und zahlenmäßige Nachdenken über Viktor Orbáns Wunsch kommt nicht von ungefähr: Der etwaige Beitritt des angeblich „umstrittenen“ Regierungschefs Ungarns (d.h. der FIDESZ, Anm. d. Red.) hätte spaltende Folgen. Viktor Orbán wird von einigen Mitgliedern der derzeitigen EKR, den Belgiern und den Finnen, als nicht „salonfähig“ angesehen, und diese haben Meloni gegenüber deutlich gemacht, dass sie im Falle eines Beitritts Viktor Orbáns die Fraktion sofort verlassen würden.

Viktor Orbán traf Giorgia Meloni im Hotel Amigo, berichtete die rechtsgerichtete Tageszeitung Il Giornale in ihrer gestrigen Online-Ausgabe. „Das Treffen mit Meloni verlief gut, es klappt immer gut. Die Zusammenarbeit mit Italien ist immer gut“, sagte Ungarns Premierminister, der sich nicht zu einer möglichen Wiederwahl von Ursula von der Leyen an die Spitze der Europäischen Kommission äußerte. „Es ist noch zu früh etwas über die Ernennungen zu sagen. Wir werden nach dem Abendessen heute Abend mehr Informationen haben, im Moment ist alles offen“, kommentierte Viktor Orbán. Neben den Verhandlungen über die Ernennungen wird es auch zu internen Auseinandersetzungen innerhalb der verschiedenen Fraktionen im Europäischen Parlament kommen.

Die EKR, die von der italienischen Ministerpräsidentin angeführt wird, begehrt insbesondere die 11 Sitze der FIDESZ.

Johan Van Overtveldt, ein führendes Mitglied der flämischen Unabhängigkeitsbewegung N-VA und ehemaliges MdEP, sagte, dass der Eintritt der Partei des ungarischen Ministerpräsidenten in die Fraktion eine „No-Go-Zone“ sei.

Mateusz Morawiecki Facebook

In der heutigen Ausgabe derselben konservativen Tageszeitung erschien eine Analyse, derzufolge Giorgia Meloni an zwei Fronten spielt. Die erste ist das zweite Mandat von Ursula von der Leyen, an dem sie angesichts der soliden Beziehung zwischen den beiden keine persönlichen Zweifel hat. Aber es gibt noch eine zweite Front, und das ist das, was bei den verschiedenen Treffen, die Meloni im Hotel Amigo abgehalten hat, zur Sprache gekommen ist. Zunächst mit dem ehemaligen polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki, einem der Führer von PiS, und dann mit dem ungarischen Premierminister Viktor Orbán. Beide stehen von der Leyen sehr ablehnend gegenüber. Offensichtlich wurden die neuen Gleichgewichte in der europäischen Rechten diskutiert, mutmaßt Il Giornale:

Die Hypothese einer einzigen Fraktion, die Hypothese einer Rechten mit zwei Fraktionen (EKR und ID) und eventuell einer dreipoligen Gruppierung (mit der FIDESZ).

Sicher ist, dass die Polen sich sehr von Marine Le Pens Rassemblement National angezogen fühlen, die im Falle eines Sieges bei den Parlamentswahlen am 30. Juni und 7. Juli zum Gravitationspunkt der europäischen Rechte werden könnte. Und an dieser Front könnte das grüne Licht von Meloni für von der Leyen unerwartete Erschütterungen auslösen.

Bis vor einigen Monaten arbeitete Meloni für ein rechtes Bündnis und wollte Marine Le Pen und Viktor Orbán unter denselben „gemäßigten“ Banner bringen, schreibt die Mitte-Links-Tageszeitung La Reppublica in ihrer heutigen Ausgabe.  Die Idee war, eine große Fraktion zu bilden, die die PSE, die Partei der Europäischen Sozialisten, an Geschlossenheit übertreffen könnte. Die Aussicht auf einen Beitritt zur Koalition von Ursula von der Leyen ist ungewiss. Meloni ist bestrebt, die Rechte attraktiver zu machen, um in den Kreis der europäischen Institutionen aufgenommen zu werden. Aber in diesem Sinne kann sie keine Garantien geben. Es besteht der Verdacht, dass die FdI-Vorsitzende einige wichtige Sitze für die italienische Regierung gewinnen will, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu können.

Marine Le Pen. Foto: Marine Le Pen Facebook

Während andere Regierungschefs sich um eine Einigung über die Spitzenpositionen bemühten, versuchte die italienische Ministerpräsidentin gestern in den Räumen des Hotel Amigo, den Zerfall ihrer Fraktion zu verhindern:

Giorgia Meloni traf unter anderem den ehemaligen polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki, der einen Kommunikationskanal mit Le Pen öffnete, um eine selbstständige Gruppierung zusammen mit Viktor Orbán zu schaffen.

Theoretisch wäre die FdI Teil des Projekts, aber Meloni würde das Zepter verlieren und durch die Koexistenz mit der Chefin des Rassemblement National erdrückt werden. Morawiecki hat gegenüber der italienischen Ministerpräsidentin die Möglichkeit eines Austritts der PiS (20 von 77 Abgeordneten) aus der EKR-Fraktion nicht ausgeschlossen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte – die einzige schwache Zusicherung von Meloni – wird die Koordinierung der rechten Fraktionen bestehen bleiben. Andererseits schwebe das „Gespenst Orbán“ über der EKR: Sollte die Partei des ungarischen Regierungschefs der Fraktion beitreten, würden laut La Reppublica 25 „gemäßigte“ Abgeordnete die Fraktion verlassen, eine Behauptung, die jeglicher Grundlage entbehrt, da die Wahren Finnen und die belgische N-VA zusammen nur 4 Abgeordnete stellen.

Beitragsbild: MTI/Miniszterelnöki Sajtóiroda/Fischer Zoltán