1956, Budapest. Gerade zwei Wochen lang währte die Revolution im Oktober 1956 in Ungarn. Dann schlugen sowjetische Truppen den Aufstand nieder. Die Ungarn hofften 13 Tage lang auf Freiheit und Demokratie. 1956. Storkow. Eine Schulklasse, die in der DDR aus Solidarität mit dem ungarischen Aufstand eine Schweigeminute abhält, wird in der Folge kollektiv bestraft und vom Abitur ausgeschlossen. Einer der Schüler war Karsten Köhler, der nach mehr als 60 Jahren nach Budapest kam, um das Land zum zweiten Mal zu besuchen. Das Land, das sein Leben für immer veränderte. Journalisten aus 10 Ländern der Welt hatten die Möglichkeit, im Rahmen der Konferenz Hungary at first „site“, von der Stiftung Freunde-von-Ungarn organisiert, den ehemaligen Klassensprecher zu fragen, wie er die ungarische Revolution in der DDR erlebt hatte.
„Es war erstauend“ – reagierten die meisten Journalisten, nachdem sie sich den Film „Schweigendes Klassenzimmer“ im Rahmen einer Konferenz der Stiftung Freunde-von-Ungarn anschauen hatten. Im Film wurde die Geschichte einer Abiturklasse dargestellt, deren Schüler wegen einer Solidaritätsaktion gegenüber den ungarischen Freiheitskämpfern kollektiv bestraft und vom Abitur ausgeschlossen wurden. Erst 15 Monate später konnten sie in Westdeutschland das Abitur abgelegen.
Die Journalisten hatten die Möglichkeit, bei einem Rundtischgespräch, Fragen an dem ehemailgen Klassensprecher, Karsten Köhler zu stellen.
Über den Film erzählte Köhler, dass der an einigen Stellen von den historischen Begebenheiten abweicht: „Es ist ja schließlich ein Spielfilm und keine Dokumentation. Der Regisseur hat gesagt, ich mache einen Spielfilm, keine Dokumentation. Der soll unterhalten. Deswegen hat man die verschiedenen Figuren durcheinander gemischt.“
„Solidarität für die Menschen war damals etwas Wichtiges“
Köhler wurde auch darüber gefragt, welche seine ersten Eindrücke in Westdeutschland gewesen sind.
„Wir kamen nach Bensheim, und wurden dort toll untergebracht, das war für uns was Neues. Wir hatten kein Geld, weil wir keine Sachen mit uns hatten, wir sind alle nur mit einer Aktentasche geflüchtet. Solidarität für die Menschen war damals etwas Wichtiges.“ Er bedankte sich noch einmal bei Allen, die ihm und seinen Mitschülern damals geholfen hatten.
„Ich habe lange Zeit nicht geglaubt, dass ich die Wiedervereinungung erleben werde“
Er erzählte auch über die „ersten kritischen Meinungen“, die er bis dahin in Ostdeutschland, in Bezug auf den Sozialismus nie gehört habe. „Man wurde einfach mutiger“ – so Köhler. „In dieser Zeit begannen auch die ersten „Montagsdemonstrationen“.
Da hat man schon leise Hoffnung gehabt
Köhler fügte hinzu: „ab 1990 ist dann etwas passiert.“ „Auf beiden Teilen des Landes sagte man: „Wir sind ein Volk!“
Die Journalisten fragten ihn auch darüber, wie er die Lage von Ostdeutschland sieht. Köhler sagte:
Meine Frau und ich leben seit 1993 in Brandenburg. Wir haben die Entscheidung ganz bewusst gefällt, dahin zu ziehen. Ich wollte einfach nach Hause!
Köhler fügte hinzu: der östliche Teil hatte früher große ökonomische Probleme aber heute ist die Situation viel besser.
1990 hat uns Helmuth Kohl blühende Landschaften versprochen. Die gibt es. Aber auf die Gefühle und Empfindungen der Ostdeustchen wurde leider wenig Rücksicht genommen.
Laut Köhler hatte dies negative Folgen: so konnte beispielsweise die AfD kürzlich in Sachsen 25% der Stimmen kriegen. „Das hätten wir uns vor 10 Jahren nicht geglaubt.“
Schließlich gab Köhler zu, er habe die Schweigeminute nicht bereut, und würde die wieder abhalten. Er glaubt, das würde die Mehrzahl seiner Klassenkameraden genauso sehen.
Unser früheres Interview mit Karsten Köhler finden Sie hier.
(Beitragsbild und Fotos: Tamás Lénárd)