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Kohl und Orbán: Die Freundschaft zweier Ausnahmepolitiker

Enikő Enzsöl 2017.06.30.

Nach Angaben des Magazins „Der Spiegel“ bevorzugte die Witwe des verstorbenen Altkanzlers Helmut Kohl, Maike Kohl-Richter, den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán als Redner bei der Trauerfeier ihres verstorbenen Mannes am 1. Juli in Straßburg. Offenbar entsprach es also ihrem Wunsch, dass nicht Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern nur ausländische Gäste sprechen. Kohl-Richter ist später von diesem Vorhaben abgerückt, als Vertraute vor einem Eklat warnten, wenn mit Orbán einer der erbittertsten Gegner der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingspolitik zu Wort kommt, während Merkel selbst nur Zaungast bleibt.

Altkanzler Helmut Kohl (r.) mit seiner zweiten Frau Maike Kohl-Richter (l.) (Foto: fnp.de)

Kohls Verhältnis zu Merkel war seit 1999 zerrüttet, als sie mit einem Zeitungsartikel das Ende der Ära Kohl besiegelt hatte. Nach Kohls Wunsch findet zum ersten Mal ein europäischer Gedenk- und Trauerakt in Straßburg für einen früheren europäischen Spitzenpolitiker statt. Ein deutscher Staatsakt mit Kanzlerin Angela Merkel als Hauptrednerin wird es hingegen nicht geben.

Orbán kam deshalb als Redner ins Gespräch, weil er seit der Wende mit Kanzler Kohl eng befreundet war. Kohl würdigte die Öffnung der ungarischen Grenze für Flüchtlinge aus der DDR als einen Schritt, der die Wiedervereinigung erst möglich machte. Nach Kohl war es Ungarn wo „der erste Stein aus der Mauer geschlagen“ wurde.  Orbán war Kohl umgekehrt dankbar für dessen Unterstützung bei Ungarns Bemühungen, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Orbán betonte in seinem Beileidsbrief an Kohls Witwe, dass „wir den großen Architekten des vereinten Europas verloren haben gerade in einer Zeit, wo man den Mut, Weisheit und Weitsichtigkeit der Gründungsväter besonders nötig hätte.”

Im September 2000 überreichte Viktor Orbán (r.) Helmut Kohl (l.) die Millenniums-Medaille der Ungarischen Regierung im ungarischen Parlament (Foto: mdr.de)

Kohl und Orbán unterstützten sich auch in schweren Zeiten gegenseitig, als sie heftiger Kritik ausgesetzt waren. Im Jahr 2000, als Kohl wegen der Spendenaffäre in seiner Partei auf Ablehnung stieß, verlieh Orbán ihm die Millenniums-Medaille für Staatsmänner, die Ungarn den Weg nach Europa geebnet haben. Als Orbán für seine Politik von europäischen Politikern kritisiert wurde, stand Kohl ihm zur Seite. Auf die Frage, warum ein so großer Europäer wie Helmut Kohl, den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán empfängt, antwortete er im November 2014 im Magazin „Stern“ „Weil er ein großer Europäer ist.“

Die beiden Staatsmänner Kohl und Orbán verbanden klare Visionen und das Durchsetzungsvermögen, ihre Ziele zu realisieren. Beide hatten den Mut, ihre Meinung offen zu vertreten und sich vom Mainstream klar abzugrenzen. Kohl glaubte fest daran, dass die Folgen des Zweiten Weltkrieges durch europäische Einigung überwunden werden können. Er verankerte Deutschland in der Europäischen Union und war überzeugt, dass die deutsche Einheit durch die Einigung Europas erreicht werden kann. So erkannte Kohl, dass die Zeit für die Wiedervereinigung gekommen war, als andere Politiker daran zweifelten. Er nutze die Gunst der Stunde, um die Zustimmung anderer Länder für die Wiedervereinigung Deutschlands zu gewinnen.

Helmut Kohl (r.) traf Viktor Orbán (l.) am 28. Juni 2014 in Ludwigshafen (Foto: Barna Burger / Miniszterelnöki Sajtóiroda – MTI)

Orbán war der erste unter den europäischen Politikern der erkannte und zugleich den Mut hatte zu sagen, dass Europas Außengrenzen vor unkontrollierter Migration geschützt werden müssen.  Als 2015 hunderttausende Migranten die ungarische Grenze überquerten und sich auf dem Weg nach Westen machten, baute die ungarische Regierung eine Zaunanlage. Vorrangiges Ziel war es, den Zutritt von Migranten zu kontrollieren und ihre Identität zu erfassen. Er wurde für diese Entscheidung von Westeuropäischen Ländern, unter anderen Deutschland, nachdrücklich kritisiert. Zunehmend setzte sich aber auch die Erkenntnis unter den anderen EU Mitgliedern durch, dass die Grenze vor unkontrollierter Migration geschützt werden muss. Mit der Zeit gewann Orbán Zustimmung für seine Politik auch in anderen Ländern und zunehmend eine Reputation als „Europas Retter.“

Viktor Orbán (l.) überreicht ein Exemplar der ungarischen Ausgabe von dem Buch „Aus Sorge um Europa – Ein Appell“ dem Autoren, Helmut Kohl (r.) (Foto: n-tv.de)

Im April 2016 besuchte Orbán als letzter Staatsmann den bereits schwerkranken Alt-Kanzler Kohl in dessen Wohnhaus im Ludwigshafener Ortsteil Oggersheim. Orbán brachte ein Exemplar der ungarischen Ausgabe von Kohls Buch „Aus Sorge um Europa – Ein Appell“ mit.  In der Einleitung des Buches, die Kohl speziell für die ungarische Ausgabe schrieb, stellt er fest, dass die Europäische Union wegen der Flüchtlingskrise in einer „Zerreißprobe“ steht. Es gehe um existentielle Fragen des Friedens und der Sicherheit. Neben den humanitären Aspekten müsse Europa „wohlbegründete kulturelle und sicherheitspolitische Interessen berücksichtigen.“ Ein Großteil der Migranten komme “aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Sie folgen zu einem wesentlichen Teil auch einem anderen, als dem jüdisch-christlichen Glauben, der zu den Grundlagen unserer Werte- und Gesellschaftsordnung gehört”.  „Die Lösung liegt in den betroffenen Regionen. Sie liegt nicht in Europa. Europa kann nicht zur neuen Heimat für Millionen Menschen weltweit in Not werden“ schrieb Kohl. Migration „führt nachvollziehbar zu Diskussionen unter den politisch Verantwortlichen sowie zu Verunsicherungen bei den Menschen: Es geht um unsere Existenz.“

Durch diese Unterstützung wird sich Orbán bestätigt gefühlt haben.

Beitrag von Edith Oltay

Über die Autorin: Edith Oltay Politologin, die in Berlin lebt und an der Nationalen Universität für Öffentliche Verwaltung, Budapest, über die ungarischen Minderheiten in Nachbarländern ihre Doktorarbeit schreibt. Zu ihrem Themengebiet zählt das Parteiensytem in Mittelosteuropa insbesondere Ungarn. Über die Entwicklung von Fidesz hat sie 2013 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Fidesz and the Reinvention of  the Hungarian Center-Right“ („Fidesz und die Neuerfindung des Ungarischen Mitte-Rechts“).