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Kollektivschuld wird heute noch in der Slowakei als Rechtsgrundlage geduldet

Ferenc Rieger 2022.10.03.

Seit seiner Gründung im Jahr 2012 bietet das Institut für den Rechtsschutz der Minderheiten (KJI) ungarischen Gemeinschaften im Ausland Rechtshilfe an und leistet bei Bedarf fachliche und finanzielle Unterstützung. Besonders wichtig ist das in Zusammenhang mit den heute noch wirksamen Folgen der Beneš-Dekrete, die von der Kollektivschuld der Ungarn ausgehen. Laura Gyeney hat im Juli dieses Jahres erneut die Leitung des Instituts übernommen. Dem ungarischsprachigen slowakischen Nachchrichtenportal ma7.sk gab sie ein Interview, dessen Inhalte hier wiedergegeben werden.

Die Aufgaben und Ziele eines Minderheiten-Rechtsschützers betreffen die vollständige Einhaltung der geltenden Rechtsvorschriften sowie die Arbeit, die darauf abzielt, neue Rechtsvorschriften zu entwickeln, wenn es keine Garantiegesetze gibt, die sicherstellen, dass die Identität der Angehörigen von Minderheiten gewahrt bleibt.

Als Verteidiger von Minderheitenrechten nutzen die Mitarbeiter des KJI die traditionellen Rechtsinstrumente, um bestehende Gesetze durchzusetzen. Hier kommt die strategische Prozessführung ins Spiel: Der rechtliche Kampf für individuelle Freiheitsrechte hat Folgen für die kollektive Freiheit.

Laura Gyenei (Foto: Facebook)

Der Fall Bosits beispielsweise hat viel Aufmerksamkeit erregt und wurde von den Verfechtern der Minderheitenrechte als ein Durchbruch angesehen. Das staatliche Forstunternehmen wollte unter Berufung auf die Beneš-Dekrete Land beschlagnahmen, das einer Privatperson gehört. Die Rechtsgrundlage für die Enteignung war, dass die früheren Eigentümer Ungarn waren.

Dieser Fall ist in der Praxis deswegen so wichtig, weil der Gerichtshof in dieser Rechtssache entschieden hat, dass die Beneš-Dekrete, mit denen die Ungarn in der Slowakei nach dem Zweiten Weltkrieg kollektiv entrechtet wurden, auch heute noch in diesem Land angewendet werden.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie in einem strategischen Prozess rechtlicher und politischer Druck auf den jeweiligen Staat, im Falle der Beneš-Dekrete insbesondere auf die Slowakei, ausgeübt wird, damit dieser nachgibt und Maßnahmen ergreift, um die Rechte der Minderheiten umfassend zu gewährleisten.

Fact

13 der 14 Präsidialdekrete von Edvard Beneš , die zwischen dem 14. Mai und dem 27. Oktober 1945 erlassen wurden, stellten die Kollektivschuld von Deutschen und Ungarn fest. Mit anderen Worten, dass jeder Deutsche und Ungar, vom Säugling bis zum Greis, für die Schrecken des Zweiten Weltkriegs verantwortlich ist. Neben den von den tschechoslowakischen Behörden begangenen Massenmorden, Deportationen und anderen Entrechtungen bedeutete dies die Umsiedlung von etwa 70-80 Tausend Ungarn nach Ungarn und die Beschlagnahmung ihres beträchtlichen Vermögens in der Tschechoslowakei im Rahmen des schließlich ausgehandelten „Bevölkerungsaustausches“.

Edvard Beneš (1884-1948)

In der europäischen Praxis stehen eher die soziokulturellen Minderheiten im Fokus des Rechtsschutzes. Der Schutz der ethnischen Minderheitenrechte ist mehr als nur ein Teil des individuellen Rechtsschutzes und für Ungarn insofern spezifisch, da es ungarische Volksgruppen in und außerhalb der Europäischen Union gibt. Viele Nachfolgestaaten nehmen diese Minderheiten außerdem nicht als Ressource, sondern als Problem der nationalen Sicherheit wahr.

Auffallend ist, dass selbst innerhalb der Europäischen Union die Staaten eine sehr unterschiedliche Haltung gegenüber einheimischen Minderheiten einnehmen. Dies kann sich auch auf die Möglichkeiten des Minderheitenschutzes auswirken. Wenn jeder zehnte Europäer einer einheimischen Minderheit angehört, ist es nicht unerheblich, ob die Eigenart der autochthonen Gemeinschaft geschützt werden soll oder ob dies durch den Territorialstaat geschieht. Die unterschiedlichen Ausgangssituationen machen einen gemeinsamen Auftritt oft nicht einfach.

Seit ihrer Gründung leistet die KJI den ungarischen Gemeinschaften im Ausland Rechtshilfe und unterstützt sie bei Bedarf fachlich und finanziell. Ein zuverlässiger Rechtshilfedienst, der auf die Arbeit von Anwälten aufbaut, die auch im Gegenwind zu ihrem Ungarisch-Sein stehen, nimmt sich der Fallbearbeitung an und vertritt geschädigte Kunden in nationalen und internationalen Gremien.

Auf die Slowakei umgemünzt gehören Fälle von Staatsbürgerschaft, Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der rückwirkenden Anwendung der Beneš-Dekrete und Sprachrechte zum Rückgrat der Arbeit des Rechtsschutzdienstes.

Man versucht, die wichtigsten Fälle auf verschiedene Weise zu untersuchen, und man zählt auch auf die Beschwerdeführer, die sich melden, da die Behebung der Rechtsverletzungen von Einzelpersonen die Situation der gesamten ungarischen Gemeinschaft in der Slowakei verbessert.

Beitragsbild: Ungarische Frauen und Kinder aus der südlichen Slowakei, die vor der Umsiedlung geflohen sind. Facebook