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Haslau (Hazlov). Dorf in der heutigen Tschechischen Republik. Und zugleich ewige Ruhestätte für ungarische Ingenieur-Professoren und ehemalige Studenten der Budapester Technischen Universität. Sie waren keine Soldaten im Zweiten Weltkrieg, doch wurden sie Mitte April 1945, drei Wochen vor Kriegsende, Opfer eines amerikanischen Tieffliegerangriffs. Professoren und ihre Absolventen, die aus Ungarn 1944 ausgesiedelt wurden, um ihren Uni-Abschluss machen zu können. Mehr als 70 Jahre nach ihrem Tod hat sich der ungarische Staat verpflichtet, die Grabstätte nicht nur instand zu setzen, sondern auch, sich zukünftig um den Gedenkort zu kümmern.

Die tragische Geschichte der Architekturstudenten und ihrer Professoren begann im Dezember 1944. Vier Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs entschied die damalige ungarische Regierung, alle Schulen und Universitäten zu schließen, ausgenommen die 3. und 4. Jahrgänge der Fakultäten Medizin, Pharmazie, Tiermedizin, Bauingenieurwesen, Architektur, Maschinenbau  und Chemie. Diese Studenten wurden von der Einberufung befreit und sogar nach Deutschland ausgesiedelt. 2528 Menschen waren betroffen. Die erste Reise ging durch Breslau nach Dresden. Nach einem Monat Aufenthalt in der Stadt, wo man Schulen für die Studenten als Quartiere eingerichtet hatte, fuhren sie weiter nach Dresden, weil sie im Radio die folgende Durchsage gehört haben:

Die rote Armee ist bei Warschau durchgebrochen. Die Wehrmacht steht in schweren Abwehrkämpfen. Breslau wird verteidigt. Die hier stationierten ungarischen Studenten sind Soldaten, die in der Verteidigung der Stadt  teilnehmen werden.

 

 

Die Leiter der Studenten reagierten sofort: sie mussten nach Halle umgesiedelt werden, und haben Breslau  mitten in der Nacht zu Fuß verlassen. Es war minus 20 Grad, auf der einen Seite wurden sie von den Sowjets beschossen, auf der anderen Seite von den Deutschen. Sie marschierten eine Woche lang im Schnee, ihre Taschen wurden auf ihren Zeichenbrettern hinter sich hergezogen.

Am 3. Februar 1945 kamen sie in Halle an, da verbrachten sie insgesamt zwei Monate.  Nach der Bombardierung der Stadt wurden sie in zwei Gruppen aufgeteilt: die eine wollte nach Ungarn zurückgehen, die andere Gruppe beschloss, nach Dänemark zu ziehen. Während der Reise nach Ungarn geschah die Tragödie: beim Dorf Haslau haben neun amerikanische Tiefflieger den Zug mit Bomben angegriffen. Drei Professoren sind gefallen, weiterhin drei Assistenten, 27 Studenten und drei Familienmitglieder. Es gab 50 Verwundete.

„Die gesunden Kollegen haben die Verwundeten und die Leichen der Gefallenen gesammelt. Gleich sind die Einwohner Haslaus gekommen. In kurzer Zeit waren die Rettungswagen auch da… Die Verluste waren beim Wagen Nr. 6. Den Prof. Szily hat eine Splitterbombe getroffen…“ – steht in dem Tagebuch eines ehemaligen Studenten der Universität.

Am 12. April 1945 wurden die 23 Gefallenen im Friedhof Haslau beerdigt. Drei Personen liegen in individuellen Gräbern. Die anderen wurden in zwei Massengräber gelegt.

 

Ruhestätte für ungarische Ingenieur-Professoren und ehemalige Studenten der Budapester Technischen Universität in Haslau.

 

Die Gräber existieren auch heute und gute Menschen pflegen sie: die Witwe eines gefallenen Studenten und eine Frau, die am Ende des Krieges erst 10 Jahre alt und Augenzeuge des Angriffs war.

Heute steht auch eine Gedenktafel da: „Mit Trauer erinnern wir uns an die am 11.04.1945 bei dem Fliegerangriff gefallenen ungarischen Studenten und Mitarbeiter der Technischen Universität, die hier beerdigt  wurden.“

 

Gedenktafel der Technischen Universität

 

Die Pflege  der Grabstätte  wird jetzt von der Technischen Universität mit staatlicher Förderung übernommen, die geschah auch in Abstimmung mit den Nachkommen eines der Opfer. Der Vater von Ádám und Alinka Szily reiste auch in dem Zug, der von der Bombe getroffen wurde. Zum Zeitpunkt seines Todes waren sie fünf und drei  Jahre alt. Später wurde der Sohn auch Ingenieur und die Tochter Atomphysikerin.

Einer der ehemaligen Studenten schrieb folgendes über den beliebten Professoren in seinem Tagebuch:

„Nur drei von unseren Professoren haben die Aussiedlung auf sich genommen. (Unter ihnen war Prof. József Szily. unterrichtete Wasserbau I.) Sie waren alle großartige Menschen, die mit kluger Politik erreicht haben, dass wir bis Ende, eigentlich als Studenten zusammenbleiben konnten und nicht in die Kämpfe eingesetzt wurden. Ihnen könnten wir nur dankbar sein. Das Schicksal war gegen sie erbarmungslos: sie sind bei Haslau gefallen.“

 

Ádám Szily, Sohn des Professors József Szily. Foto: aus dem Film „University in Flight“

 

Der Sohn des Professors József Szily lebt  heute in Hamburg. Er hat Ungarn mit seiner Mutter und Schwester 1956 nach dem Volksaufstand verlassen. In unserer Spalte „Landliebe” beantwortete er unsere vier Fragen, so können wir ein bisschen auch sein Schicksal nachfolgen.

  1. Wann und warum haben Sie Ungarn verlassen?

Nach dem Volksaufstand, im Dezember 1956 bin ich mit meiner Mutter und Schwester geflohen. Unsere Familie wurde als „Klassenfeind“ eingestuft. Die Niederschlagung der Revolution hat uns die Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit genommen.

  1. Was ist Ihre bedeutendste/r Erfahrung/Gedenke über Ungarn?

Die Sprache, die eine der wichtigsten Säule der Kultur ist. Die gemeinsame Geschichte und die, auf ein Leben unvergesslichen Episoden wie z.B. die Revolution, der für uns alle unvorstellbar gehaltene Zusammenbruch des Kommunismus, die Beerdigung von Imre Nagy mit der historischen Rede von Viktor Orbán.

  1. Was fehlt Ihnen aus Ungarn am meisten?

Das Heimatgefühl, die Sprache, die Unverkrampfheit, die seit Jahrzehnten andauernden familiären Bindungen, Freundschaften.

  1. Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie/oder Ihre Familie einmal zurückkehren?

Ja, das ist ein ständiger Traum von mir. Aber einfach ist das nicht. Meine Familie, Ehefrau, Tochter und Enkelinnen sind alle hier zu Hause. Ein wenig kann ich mir diesen Traum mit mehreren Aufenthalten im Jahr in Ungarn erfüllen.

 

Sie können sich den Film (auf Ungarisch) hier anschauen:

(Via: Tagebuch von einem ehamaligen Studenten der Technischen Universität, port.hu, Fotos und Beitragsbild: aus dem Film „University in Flight“ (2005))