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„Nationaler Rahmenlehrplan“ bei erheblichem Protest verabschiedet

Ungarn Heute 2020.02.07.

Der neue Nationale Rahmenlehrplan (NAT) wurde am 31. Januar verabschiedet. Seitdem macht sich unter einigen Lehrern, aber auch Schriftstellern Unmut breit. Die Regierung hofft, dass die Änderungen dazu führen werden, dass „ungarische Jugendliche  2030 schon zu den Besten der Welt gehören“. Viele Kritiker des Änderungsantrags geben jedoch an, dass es ernsthafte Probleme mit dem neuen Lehrplan gibt, insbesondere mit den Geisteswissenschaften, die ihrer Meinung nach zu ideologisch motiviert sind.

„Die Änderungen des Nationalen Rahmenlehrplans von Ungarn wurden abgeschlossen und beinhalten die effizientesten internationalen Praktiken sowie ungarische Werte und Traditionen“ – dies teilte Personalminister Miklós Kásler in einer Pressekonferenz genau vor einer Woche mit. Laut Kásler soll der Lehrplan allen Kindern die gleichen Chancen bieten, unabhängig von ihrem Wohnort und ihrem sozialen Status. Ziel sei es, dass die ungarische Jugend bis 2030 zu den besten der Welt zählt, und zwar aufgrund eines öffentlichen Bildungssystems, das europäische Werte und moderne Erziehungsmethoden einbezieht, sagte Kásler.

Als einer der schwerwiegendsten Kritikpunkte nennen die Kritiker, dass der NAT ohne Konsultation mit denen erstellt wurde, die letztlich danach unterrichten müssen. Zuletzt wurde der Lehrergewerkschaft 2018 ein Entwurf des NAT zur Ansicht und Stellungnahme gesandt. Seitdem soll die Arbeit am Landeslehrplan hinter verschlossenen Türen verlaufen.

Fact

Die Entwicklung des neuen Lehrplans war von Anfang an, von ernsthaften Debatten umgeben. 2017 bat der damalige Staatssekretär für Bildung, László Palkovics, die Psychologin und das Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA), Valéria Csépe, den neuen Lehrplan zu schaffen. Der Entwurf wurde bis August 2018 fertiggestellt, der Text wurde jedoch nicht von der Regierung unterstützt. Sie hielten eine ernsthafte Überarbeitung des Themas Ungarisch, Geschichte (beides laut Presseinformationen nicht „national genug“) und Naturwissenschaften für erforderlich. Gabriella Hajnal wurde dann zur für die Entwicklung des erforderlichen Rahmens zuständigen Kommissarin ernannt.

Die wichtigsten Änderungen

Einer größten Kritikpunkte ist, dass die Stundenzahl für Schüler zwar verringert wurde, die Menge des Lehrstoffs jedoch erhöht. Damit finden sich die Lehrer in einer prekären Situation: Was eigentlich als Rahmen gedacht war, in dem es Zeit und Raum für eigene Ideen geben sollte, ist stattdessen ein starr durchstrukturierter Marschplan, wobei dem Lehrkörper einiges abverlangt wird, diesen Plan auch einzuhalten.

Das neue Dokument legt die maximale Anzahl von Stunden pro Woche in jeder Klasse fest: In den ersten drei Jahren haben Grundschüler 24 Stunden. Die Anzahl der Stunden erhöht sich im vierten Jahr auf 25, dann auf 28, 30 und schließlich haben die Schüler in den Klassen 9 bis 12 insgesamt maximal 34 Stunden pro Woche.

Fremdsprachenunterricht:

Laut des Ministers Kásler beabsichtige NAT auch, beim Unterrichten von Fremdsprachen effektivere Methoden anzuwenden, um die Ergebnisse zu verbessern. Bildung werde in die moderne digitale Kultur und die aktuellen Trends auf dem Arbeitsmarkt integriert, fügte der Politiker hinzu.

Mathematik: 

In der Mathematik wird der Einsatz digitaler Geräte eine viel größere Rolle spielen als bisher. Ein neues Ziel ist es, bis zum Ende des Gymnasiums  mit Mathematikprogrammen in einer digitalen Umgebung arbeiten zu können. IT wird durch „digitale Kultur“ ersetzt, während die Grundschulen in der Lage sein werden, Chemie, Physik und Biologie durch ein integriertes „naturwissenschaftliches“ Fach zu ersetzen.

Auch Familienerziehung und Patriotismus werden eine wichtigere Rolle spielen als zuvor, und in der achten und zwölften Klasse wird auch eine Klasse für Staatsbürgerkunde als neues Fach eingeführt.

Die am meisten kritisierten Fächer: Ungarisch und Geschichte

Der nächste Kritikpunkt bezieht sich auf den konkreten Inhalt. Gegen den nicht nur die Lehrer, sondern auch die Schriftsteller die Stimme erheben.

„Zum einen, weil kaum noch lebende oder vor kurzem verstorbene Schriftsteller Raum im NAT bekommen haben, aber auch, weil der einzige ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertész ausgespart wurde. Zum anderen bemängelt der Schriftstellerverband, dass es gerade einmal zwei Schriftstellerinnen in den NAT geschafft haben, eine dramatische Unterrepräsentation, wie der Verband findet. Die Schriftsteller stellen dies „mit Entsetzen“ fest. Generell sei der NAT ungeeignet, um Grund- und Mittelschülern die Freude am Lesen zu vermitteln, viel eher sei er von Ideologie und Indoktrination geprägt“ – schrieb Budapester Zeitung in seinem Artikel über den neuen Rahmenlehrplan.

Pflichtlektüre

Albert Wass, Magda Szabó, Ferenc Herczeg und zum ersten Mal ein Roma-Dichter, József Choli Daróczi, gehören zu den neuen ungarischen Autoren, die in den Lehrplan aufgenommen wurden. Es gibt auch neue Figuren der Weltliteratur wie Bohumil Hrabal, García Marquez, Daniel Defoe, Tonke Dragt, Antoine de Saint-Exupéry, George Orwell und Agatha Christie. Es gibt jedoch keine populären zeitgenössischen Autoren, obwohl irgendwann die Aufnahme von Harry-Potter-Büchern vorgeschlagen wurde. Es ist auch etwas überraschend, dass das Werk von Imre Kertész – dem einzigen ungarischen Nobelpreisträger in der Literatur – nicht mehr zu den Pflichtschriftstellern gehört.

In der Geschichtserziehung beinhaltet der Lehrplan das Vertrauen in eine interpretative, auf Debatten basierende Lehrmethode, erklärt jedoch, dass „Debatten dem Erlernen der Geschichte dienen können, wenn sich der Schüler des Unterschieds zwischen historischen Fakten und Interpretationen bewusst wird.

Presseschau: Streit um den Geschichtslehrplan

Ungarische Minderheiten, Ungarn mit Wohnsitz außerhalb Ungarns und die Situation der ungarischen Roma sind auch stärker vertreten.

Protest gegen neuen Lehrplan 

In einem Interview mit der linken Tageszeitung Népszava kritisieren László Miklósi, Vorsitzender des Geschichtslehrerverbandes, sowie andere Fachleute den neuen Lehrplan (siehe BudaPost vom 10. Januar). Diesen Kritikern zufolge verzerrt der neue Lehrplan die ungarische Geschichte. Demnach spiegele sowohl der Geschichts- als auch der Literaturlehrplan die nationalistisch-autoritäre Vision der Regierung wider. Darüber hinaus halten sie es für hochgradig problematisch, dass derselbe Lehrplan an verschiedenen Schultypen unterrichtet werde und die Lehrer keinerlei Spielraum hätten, einmal von ihm abzuweichen. Der neue Lehrplan erinnert einige seiner Kritiker an die ideologisch motivierten kommunistischen Lehrpläne vor 1989.

Auch Oppositionspartei Párbeszéd wird dem Parlament einen Vorschlag unterbreiten, Änderungen des nationalen Lehrplans (NAT), den die Regierung am vergangenen Freitag veröffentlicht hat, abzuschaffen.

Párbeszéd fordert die Abschaffung des nationalen Lehrplans

Der Lehrplan wird ab dem Schuljahr 2020/2021 in der ersten, fünften und neunten Klasse umgesetzt und schrittweise an die anderen weitergegeben. Außerdem müssen die Schulen bis zum 30. April ihr pädagogisches Programm entsprechend des neuen NAT überarbeiten.

(Via: Péter Cseresnyés – Hungary Today, Budapester Zeitung, budapost.de, Beitragsbild: MTI – Zoltán Balogh)