Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist gestern in Budapest angekommen, wo er von seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán empfangen wurde. In Ungarn ist es seit der Wende der erste Besuch eines israelischen Regierungschefs. Nachdem zwei Vereinbarungen – ein Abkommen zur kulturellen Zusammenarbeit sowie eine Kooperation bei Innovationstechnologien – von den jeweiligen Ministern gestern unterschrieben worden waren, hielten Netanjahu und Orbán eine gemeinsame Pressekonferenz.
Viktor Orbáns Presseerklärung nach seiner Unterredung mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wurde auf seiner offiziellen Webseite miniszterelnok.hu veröffentlicht.
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wünsche Ihnen einen guten Tag!
Ich begrüße hochachtungsvoll Herrn Ministerpräsidenten Netanjahu und seine Delegation, die offizielle Delegation des Staates Israel hier in Budapest. Ich fasse all das kurz zusammen, worüber wir uns mit dem Herrn Ministerpräsidenten unterhalten haben.
Als Erstes möchte ich die öffentliche Meinung Ungarns darüber in Kenntnis setzen, dass der Ministerpräsident des Staates Israel im Laufe seines Aufenthaltes seinen Respekt für Ungarn zum Ausdruck gebracht hat, und ich habe den Herrn Ministerpräsidenten über den Respekt Ungarns für den Staat Israel versichert. Wir haben festgestellt, dass die Grundlage jedweder zwischenstaatlicher Kontakte der gegenseitige Respekt ist, und Ungarn wird auch in der Zukunft diesem Grundsatz folgen. Nach dreißig Jahren, das erste Mal im Laufe von zwanzig und mehr Jahren in der Geschichte des demokratischen Ungarn geschieht es, dass uns der Ministerpräsident des Staates Israel mit einem offiziellen Besuch beehrt. Das Ziel ist, die Verbindungen der beiden Länder für eine lange Zeit zu konsolidieren und zu festigen.
Wir alle wissen es, auch der Herr Ministerpräsident weiß es, dass in Ungarn eine bedeutende jüdische Minderheit lebt. Ich habe dem Herrn Ministerpräsidenten deutlich gemacht, dass für ihre Sicherheit, die sie ungarische Staatsbürger sind, der ungarische Staat in vollem Maße garantiert. Ich haben dem Herrn Ministerpräsidenten verdeutlicht, dass die ungarische Regierung gegenüber jedwedem Antisemitismus die Nulltoleranz erklärt hat. Ich habe dem Herrn Ministerpräsidenten mitgeteilt, dass das jüdische Leben heute in Ungarn eine Renaissance erlebt, und wir hierauf stolz sind. Wir sind der Ansicht, dass die Renaissance des jüdischen Lebens einen ernsthaften Beitrag zur gemeinsamen Leistung der ungarischen Nation darstellt. Selbstverständlich haben wir auch über die Geschichte gesprochen, dies ist im Rahmen eines solchen Treffens nicht nur unvermeidlich, sondern auch wünschenswert. Ich habe dem Herrn Ministerpräsidenten erklärt, dass wir uns dessen bewusst sind, dass wir eine schwerwiegende Geschichte hinter uns haben. Ich wollte auch für ihn auf offensichtliche Weise darlegen, dass die Regierung Ungarns in einer früheren Periode einen Fehler, ja ein Verbrechen begangen hatte, als sie Ungarns Bürger jüdischer Abstammung nicht beschützte. Ich möchte klarstellen, dass nach unserer Auffassung es die Aufgabe einer jeden ungarischen Regierung ist, jeden ihrer Bürger ungeachtet ihrer Herkunft zu schützen. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs hat Ungarn dieser Anforderung, dieser moralischen und politischen Anforderung nicht Genüge geleistet. Das ist ein Verbrechen. Denn wir haben uns damals entschieden, statt des Schutzes der jüdischen Gemeinschaft die Kollaboration mit den Nazis zu wählen. Ich habe dem Herrn Ministerpräsidenten deutlich gemacht, dass dies nie mehr geschehen darf, die ungarische Regierung wird in der Zukunft jeden ihrer Staatsbürger schützen.
Was die Zukunft anbetrifft, meine sehr geehrten Damen und Herren, so öffnet dieser Besuch ein neues Kapitel. Wir haben mit dem Herrn Ministerpräsidenten die Möglichkeiten dieser sich jetzt eröffnenden Zukunft gründlich durchgesprochen. Wir stimmten darin überein, dass unsere Leistung hinter dem Potential der Zusammenarbeit der beiden Länder zurückbleibt, aber wir beide stimmten darin überein, dass es bei der jüdisch-ungarischen Zusammenarbeit um die Zukunft gehen muss. Wir stimmten darin überein, dass am wichtigsten die Sicherheit sein wird. Ich habe dem Herrn Ministerpräsidenten meinen Dank für jene Anstrengungen zum Ausdruck gebracht, mit denen Israel zur Sicherheit Europas beiträgt. Wir stimmten darin überein, dass die Zunahme des Antisemitismus in Europa gebremst werden muss, und im Interesse dessen eine entschlossene Politik umgesetzt werden muss. Seitens der ungarischen Regierung habe ich verdeutlicht, dass wir Israels Recht zur Selbstverteidigung anerkennen, und auch uns geht es so, dass wir erwarten, dass unser Recht auf die Verteidigung unserer selbst anerkannt werde. Ich habe klar dargelegt, dass Ungarn in ernsthaften Diskussionen innerhalb der Europäischen Union steht, Ungarn möchte nämlich keine gemischte Bevölkerung, es will seine derzeitige ethnische Zusammensetzung nicht verändern, es ist nicht bereit, irgendeinem künstlichen, äußeren Einfluss nachzugeben. Wir möchten so bleiben, wie wir sind – auch dann, wenn ich einräumen muss, dass wir nicht vollkommen sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir sprachen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der Herr Ministerpräsident schlug vor, wir sollten anstelle der gewöhnlichen bürokratischen Annäherung lieber eine auf das Geschäft konzentrierte, projektbezogene Annäherung wählen. Wir haben einige Bereiche festgelegt, in denen wir unsere Geschäftsleute ausgesprochen zur Zusammenarbeit ermuntern werden, solche sind der High-Tech-Bereich und das sich jetzt eröffnende, neue Zeitalter der Autoindustrie. Wir haben über die Zusammenarbeit im Bereich der Kultur, des Unterrichts und der Wissenschaft gesprochen, und ich bin der Ansicht, dass wir wichtige Schritte in Richtung auf die Intensivierung der Kontakte der beiden Länder, auf die Stärkung der Bande gemacht haben.
Zusammenfassend muss ich Ihnen sagen, dass ich mich freue, dass Ungarn heute einen engagierten Patrioten in Budapest empfangen durfte. Ich bin davon überzeugt, dass heute in der Welt die patriotischen Regierungen die erfolgreichen Regierungen sind, und auch in der Zukunft werden jene die erfolgreichen Länder sein, die die nationale Identität und das Interesse der Nation nicht ausklammern, sondern diese vielmehr an die erste Stelle ihres Wirkens setzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Es gibt auch zu lernen von Israel. Israel lehrt der Welt und so auch den Ungarn, dass wir das, um das wir nicht kämpfen, verlieren. Da man in der modernen Welt um alles kämpfen muss. Ich hoffe sehr, dass dieses eherne Gesetz des modernen Zeitalters auch immer mehr unserer ungarischen Mitbürger verstehen werden.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit!”
In der ungarischen Presse wurde von Gábor Horváth der israelische Ministerpräsident kritisiert. Der linksorientierte Kommentator bezeichnet die beiden Regierungschefs aus Ungarn und Israel in Anlehnung an das berühmte Bühnenstück von Neil Simon als „ein seltsames Paar“. Netanjahu, so Horváth in Népszava, brauche einen Partner innerhalb der Europäischen Union, der die in ihr vorherrschende entschieden kritische Haltung gegenüber den israelischen Siedlungsprogrammen im Westjordanland abschwächen könnte, während sein ungarischer Kollege einen israelischen Ministerpräsidenten benötige, der „Antisemitismus in Ungarn mit Stillschweigen übergeht“. Der Kommentator aus dem linken Spektrum geht davon aus, dass die Kritik des israelischen Botschafters in Budapest an der gegen George Soros gerichteten Plakatkampagne ein authentischer Ausdruck der israelischen Haltung mit Blick auf Antisemitismus in Ungarn gewesen sei. Netanjahu habe ihn lediglich aufgrund von politischen Erwägungen korrigiert.
Mariann Őry von der Tageszeitung Magyar Hírlap interpretiert dagegen den Besuch Benjamin Netanjahus als Widerlegung von Antisemitismusvorwürfen, die in jüngster Zeit gegen die Regierung in Budapest erhoben wurden. Es sei absurd anzunehmen, dass sich Netanjahu aus welchen Gründen auch immer hinter antisemitische Vorgänge stellen würde, notiert die Journalistin des rechten Spektrums und bezeichnet den ersten Besuch eines israelischen Premiers im demokratischen Ungarn als ein Ereignis von historischer Bedeutung. Aber genau das sei auch der Grund für den Ärger bei den Linken, behauptet die Autorin, für die es sich auch ganz von selbst versteht, dass Kritik an Soros nicht mit Antisemitismus zu verwechseln sei. Antisemitismusvorwürfe sollten jedoch die amtierende Regierung in Misskredit bringen. Deswegen gerate die Logik auf Seiten der Opposition unter die Räder. Deren Problem liege laut Őry darin, dass es sich bei Netanjahu ebenfalls um eine glaubwürdige Quelle handele, die Soros-Kritiker nicht automatisch für Antisemiten halte – und dass er selbst einer dieser Kritiker sei.
via miniszterelnok.hu, mti.hu, budapost.de; Foto: Balázs Mohai – MTI