Am 27. August 2015 wurden in einem Kühllastwagen bei Parndorf (Österreich) 71 tote Migranten gefunden. Mitarbeiter von Landesrundfunkanstalten des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben mitgeteilt, dass deren Tod möglicherweise zu verhindern gewesen sei. Das ungarische Innenministerium, der das Amt des Ministerpräsidenten leitende Minister und der Botschafter von Ungarn in Deutschland haben auf diese Medienberichten offiziell reagiert.
Die offizielle Stellungnahme des ungarischen Innenministeriums:
„Die Tragödie hätte sich nicht verhindern lassen – Reaktion des ungarischen Innenministeriums auf die Vermutungen einzelner deutscher Journalisten
Unbegründete Schlussfolgerungen haben Mitarbeiter von Landesrundfunkanstalten des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks gezogen, als sie mitteilten, der Tod der 71 Migranten, die am 27. August 2015 in einem Kühllastwagen bei Parndorf (Österreich) gefunden wurden, sei möglicherweise zu verhindern gewesen, hätten die ungarischen Behörden die abgehörten Telefongespräche der Schlepperbande rechtzeitig übersetzt und ausgewertet. Dem ist entgegenzusetzen, dass den ungarischen Behörden keine Informationen zur Verfügung standen, nach denen die Tragödie noch vor ihrem Eintreten vorhersehbar oder zu verhindern gewesen wäre.
Die auf Bulgarisch, Serbisch und Paschtu geführten Telefongespräche der einzelnen Mitglieder der Verbrecherorganisation wurden von den Behörden aufgezeichnet. Die Anhörung, Übersetzung und Auswertung der aufgezeichneten Gespräche erfolgt den technischen und fachlichen Vorgaben entsprechend nicht parallel zu den geführten Gesprächen. Bei den Ermittlungsbehörden gingen die Gesprächsunterlagen am 4. September 2015 ein. Diese Tatsache ist den Mitarbeitern der Landesrundfunkanstalten des deutschen öffentlichrechtlichen Rundfunks bekannt, wurde jedoch verschwiegen.
Die Opfer dieses mit einer Tragödie endenden Verbrechens haben die Bedingungen und Umstände ihres Transports nicht in Ungarn mit den Schleppern verhandelt. Das Verbrechen wurde nicht von ungarischen Staatsbürgern begangen. Die ungarischen Behörden haben auf der Grundlage der ihnen von den österreichischen Behörden übermittelten Informationen binnen 12 Stunden nach Bekanntwerden der Tragödie die begründet tatverdächtigen Personen und deren Aufenthalt identifiziert und sie festgenommen. Ohne die Kompetenz und die professionelle Ermittlungsarbeit der ungarischen Polizei wären die Aufdeckung der Verbrecherorganisation und ihre strafrechtliche Verfolgung nicht möglich gewesen. Ein Dank an die ungarische Polizei!
Das Innenministerium”
Auszug der Abschrift aus der Pressekonferenz von dem das Amt des Ministerpräsidenten leitenden Minister János Lázár am 16. Juni 2017:
„Journalistenfrage: Medienberichten zufolge wurde die Schlepperbande, derentwegen in Österreich 71 Flüchtlinge in einem Kühllastwagen den Tod fanden, abgehört, die Gespräche wurden jedoch nicht rechtzeitig übersetzt, um dies zu verhindern. Herr Minister, können Sie bestätigen, dass die Gespräche abgehört wurden, kam es zu fachlichen Fehlern und gibt es oder wird es dazu eine Untersuchung geben?
János Lázár: Die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland rücken Ungarn, ich weiß nicht, auf wessen Rat oder Bitten, und ich hoffe, nicht auf Geheiß der ungarischen oder der deutschen Regierung, in ein möglichst negatives Licht. Wer sich diese Nachrichten ansieht, sieht ganz klar, die Botschaft lautet: die Ungarn. Die Ungarn hier, die Ungarn da, die Ungarn haben dies getan, die Ungarn haben das getan; im deutschen öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen läuft eine Schmutzkampagne gegen Ungarn, weil Ungarn keine illegalen Einwanderer von Deutschland übernehmen will oder nicht akzeptieren will, dass Deutschland Einwanderer verteilen will, die es selbst nicht haben will. Wir stehen permanent unter Druck, nicht nur seitens der deutschen Regierung oder der Europäischen Kommission, sondern auch seitens der deutschen Medien, die eine knallharte Kampagne gegen Ungarn fahren.
Das ist auch in den deutsch-ungarischen Beziehungen ein ernsthaftes Problem und es ist ganz offensichtlich angebracht, das nach den Wahlen in Deutschland zu besprechen und zu klären. Es ist nicht mehr nur an Deutschland, Ungarn zu bewerten, denn die Welt hat sich in den letzten 70, 80 Jahren verändert, auch Ungarn steht eine Meinung zu. Ich halte es für unbillig, dass die deutschen öffentlichrechtlichen Medien eine Schmutzkampagne fahren, aktuell gegen die ungarische Polizei, die an der ungarischen Grenze permanent kompromisslos ihren Aufgaben nachkommt. Eine halbe Million illegale Einwanderer aufzuhalten war die Aufgabe. Dafür schützen täglich 7.000 Polizisten, 7.000 Soldaten die deutschen Wähler an der ungarisch-serbischen Grenze, denn wer hier reinkommt, macht frühestens in Deutschland Halt, das haben wir 2015 gelernt.
Die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland täten besser daran, darüber zu berichten oder auch darüber zu berichten, dass Deutschland noch viel mehr Einwanderer hätte, wenn Ungarn den Zaun nicht hochgezogen und nicht entsprechende Rechtsvorschriften zum Grenzschutz erlassen hätte. Aber nicht das passiert, vielmehr werden in einem konkreten Fall schwere Vorwürfe gegen die ungarische Polizei erhoben. Justizminister Pintér hat heute vor der Ungarischen Nachrichtenagentur MTI eine Erklärung abgegeben, die war klar und eindeutig: Wir möchten die Anschuldigungen auf das entschiedenste zurückweisen. Zunächst einmal wären die Täter, unabhängig davon, was im Verfahren um die Straftat geschehen ist, ohne die ungarische Polizei nie gefasst worden. Der ungarischen Polizei ist zu verdanken, dass die Täter von der ungarischen Polizei gefasst wurden.
Es stimmt, die ungarische Polizei hört Gespräche ab, ungeachtet dessen werden in Ungarn, Österreich, Deutschland und überall in Europa 99 % der abgehörten Telefonate nicht in Echtzeit ausgewertet. Das heißt, die Gespräche werden aufgezeichnet, aber die Auswertung der Gespräche, die Analyse der Aufzeichnungen und die ermittlungstechnische Auswertung geschehen nicht in demselben Augenblick. Das ist in Deutschland und Österreich nicht anders. Auch die österreichische und die deutsche Polizei zeichnen Gespräche auf, die dann in Abhängigkeit vom Arbeitspensum, den Kapazitäten und den Möglichkeiten ausgewertet werden. Nur erfolgt die Auswertung und Risikoanalyse der Gespräche oder die Aufzeichnung ihres Inhalts nicht zeitgleich mit dem Gespräch. Zudem wurde im vorliegenden Fall eine Sprache gesprochen, auf die die Polizei im gegebenen Moment keinen Zugriff hatte, das will ich nicht verheimlichen. Dazu kommt, dass die Polizei zu der Zeit bekanntlich einer extremen Arbeitsbelastung ausgesetzt war, bedingt durch die Schließung der Balkanroute und die Grenzsicherung. Diesen Angriff der deutschen öffentlich-rechtlichen Medien hält die ungarische Regierung für unwürdig und ungerecht.
Nachfrage des Journalisten: Es liegt also kein fachlicher Fehler vor?
János Lázár: Meiner Ansicht nach gab es keinen fachlichen Fehler, denn Abhörungen in Echtzeit gibt es nicht.”
Brief des Botschafters von Ungarn in Deutschland Dr. Péter Györkös an die Chefredakteurin des Deutschlandfunks:
„An die Chefredakteurin des Deutschlandfunks
Frau Birgit Wentzien
Köln
Berlin, den 16. Juni 2017
Sehr geehrte Frau Chefredakteurin,
als ich als Botschafter nach Deutschland kam und Ihre Redaktion besuchen konnte, kam in der intensiven Debatte mit Ihren Kollegen auch zur Sprache, dass ich im Prinzip jeden Morgen Ihr Programm höre. Daran hat sich seither nichts geändert. Zwischen 5:15 Uhr und 6:45 Uhr und auch noch im Auto auf dem Weg in die Botschaft verfolge ich die Sendungen des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Für einen Botschafter von Ungarn birgt das wenig Freude, ist doch der DLF hinsichtlich der Nachrichten mit Ungarnbezug einer der kritischsten Sender, hinzu kommt, dass in den Sendungen seit Monaten ausschließlich negative Meinungen vorgebracht werden, den ungarischen Standpunkt hört man (so gut wie) nie. Aber ich respektiere Ihre redaktionelle Freiheit, Sie gehen sicher besonnen vor.
Gestern jedoch war etwas zu hören, was ich nicht unkommentiert lassen kann. In Ihrer Nachrichtensendung hieß es im Zusammenhang mit der sog. Todesfahrt des Kühllasters: Aber die Ungarn verstanden anscheinend zu spät, was vor sich geht.
Was Ungarns offizielle Reaktion angeht, übersende ich Ihnen zu Ihrer freundlichen Information das Transkript der gestrigen Presseerklärung des das Amt des Ministerpräsidenten leitenden Ministers sowie die Stellungnahme des Innenministeriums.
Doch gestatten Sie mir noch eine persönliche Anmerkung: Wir, die Ungarn, einige Millionen, sind seit einem Jahrtausend ein europäisches Volk. Wir haben Tugenden und wir haben Fehler. Bei uns gibt es Blonde und Brünette. „Die Ungarn“ haben sich in der Geschichte einige Male geirrt, aber oft genug haben sie Ihnen und Europa Gutes getan. In der Flüchtlingskrise haben „die Ungarn“ richtig gehandelt.
Es waren also erstens einmal „die Ungarn“, die Bedeutung, Ausmaß, Charakter und Gewicht des Phänomens erkannt haben.
Zweitens haben „die Ungarn“ die Mitgliedstaaten und die gemeinsamen Institutionen unverzüglich in Kenntnis gesetzt (das habe ich selbst getan, denn vor dem 1. Oktober 2015, als ich nach Berlin kam, habe ich mein Land bei der EU vertreten).
Drittens haben „die Ungarn“ die ersten Schutzmaßnahmen ergriffen – bis heute haben wir wohl allen bewiesen, dass die Außengrenze gesichert werden kann – womit sie unter anderem auch Deutschland vor den Massen illegaler Einwanderer bewahrt haben.
Viertens spielten „die Ungarn“ eine Schlüsselrolle beim Zufallbringen des Geschäftsmodells der Schleuser – zumindest auf der Westbalkanroute.
Und fünftens konnten dank des entschlossenen, manche nennen es hartherzigen Auftretens „der Ungarn“ sehr viele Menschenleben gerettet werden, eben weil das Schleusermodell vereitelt wurde.
Als einer der Ungarn aus Ihrer Reportage wünsche ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern ein schönes Wochenende!
In der Hoffnung auf einen Dialog lade ich sie herzlich nach Berlin zu einem Gespräch ein, oder reise selbst gerne zu Ihnen nach Köln.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Péter Györkös”
via berlin.mfa.gov.hu; Foto: hungarytoday.hu