Nach Ansicht von Ministerpräsident Viktor Orbán verdient sein ehemaliger mazedonischer Amtskollege eine „angemessene Behandlung“ in Ungarn. Vor diesem Hintergrund schlägt die Entscheidung der ungarischen Behörden, Nikola Gruevski politisches Asyl zu gewähren, publizistisch weiterhin hohe Wellen. Eine Presseschau von budapost.de.
In seinem vierzehntäglichen Interview mit dem staatlichen Kossuth Rádió erklärte Ministerpräsident Viktor Orbán, er habe keine Kenntnisse darüber, ob die Anklage gegen Nikola Gruevski ausreichend fundiert sei oder nicht. Doch handele es sich bei dem ehemaligen rechtsorientierten Ministerpräsidenten um einen Verbündeten Ungarns, sei er doch der erste Staatslenker gewesen, der sich Ungarn beim Bau eines Grenzzauns zur Verhinderung der illegalen Masseneinwanderung angeschlossen habe. Deswegen verdiene er eine „anständige Behandlung“ durch Ungarn. Weiter sagte Orbán, die den positiven Asylbescheid für Gruevski kritisierenden Organisationen seien dieselben, die Migranten bei der illegalen Überschreitung europäischer Grenzen unter die Arme greifen würden.
Nach Ansicht von Gábor Miklós möchte der ungarische Ministerpräsident der „ältere Bruder“ anderer rechter Führer auf dem Balkan werden. Allerdings hält es der ehemalige Redakteur im Ressort Außenpolitik der mittlerweile eingestellten Tageszeitung Népszabadság für eher zweifelhaft, ob Politiker in der Region eine derartige bevormundende Haltung attraktiv finden würden. In 168 Óra schreibt Miklós, es sei nicht auszuschließen, dass Orbán im Fall Gruevskis durch persönliche Gefühle und ein möglicherweise zuvor gegebenes Versprechen motiviert worden sein könnte. Demnach habe er angeblich dem ehemaligen mazedonischen Ministerpräsidenten Hilfe zugesagt, sollte er einmal in Schwierigkeiten geraten. Allerdings hält Miklós den Preis dieser Geste, den Ungarn mit Blick auf diplomatische Streitigkeiten zu zahlen habe, für zu hoch.
Auf Mérce äußert auch Szilárd István Pap die Vermutung, die ungarische Regierung versuche ein Unterstützernetz auf dem Balkan zu knüpfen und schütze Gruevski, weil der Mazedonier ein Teil dieses Netzes sei. Pap kritisiert die Opposition, weil sie auf diese Art von Beziehungen der Regierung auf dem Balkan ihrerseits nicht reagiere, obwohl dort doch linke Parteien existieren würden, mit denen sie zusammenarbeiten könnte.
Auf Hírklikk räumt Péter Tarjányi ein, dass möglicherweise nationale Sicherheitserwägungen existieren könnten, die die Gewährung von Asyl an Nikola Gruevski rechtfertigen würden. Der ehemalige mazedonische Ministerpräsident, so der linke Experte für Fragen der nationalen Sicherheit, müsse über eine große Menge an balkanspezifischen Informationen verfügen. Demnach mag es sinnvoll erscheinen, die Vorzüge gegen die Nachteile einer Hilfestellung für Gruevski abzuwägen. Sollte der mazedonische Ex-Premier nicht lange in Ungarn bleiben, läge die Vermutung nahe, dass Ungarn nicht von sich aus gehandelt und ihn von Albanien nach Budapest überführt habe, spekuliert Tarjányi.
Auf Pesti Srácok echauffiert sich Tamás Pilhál über oppositionelle Spitzenpolitiker, die dem ungarischen Ministerpräsidenten vorwerfen, Gruevski deswegen Unterschlupf zu gewähren, weil er selbst Angst vor einer strafrechtlichen Verfolgung nach dem eigenen Machtverlust habe. Besonders geschmacklos findet der regierungsfreundliche Kommentator die Bemerkung des Vorsitzenden der Demokratischen Koalition, Ferenc Gyurcsány, wonach „das Gefängnis der richtige Ort für Kriminelle wie Gruevski und Orbán“ sei. Wenn diese „Horrorkoalition“ durch einen aus dem Ausland organisierten Putsch an die Macht kommen würde, wäre das Szenario dasselbe wie in Mazedonien: Politische Gegner würden gejagt und ins Gefängnis geworfen, orakelt Pilhál.
In Magyar Hírlap weist István Kovács, strategischer Direktor des regierungsnahen Zentrums für Grundrechte (Alapjogokért Központ), Kritik zurück, in der der Regierung Doppelmoral vorgeworfen wird, weil sie einerseits Asylanträge aus dem Nahen Osten ablehne, während sie zugleich dem wegen Korruption verurteilten ehemaligen mazedonischen Ministerpräsidenten umgehend Asyl gewähre. Die Kritiker meinten, so Kovács, dass, „wenn jemand von Soros und seinen Leuten hierhergebracht wird, ihm per definitionem Schutz gewährt werden muss, während jemandem, der wegen Soros und seinen Leuten aus seinem Land fliehen muss, Asyl zu verweigern ist“. Auch weist Kovács das Argument zurück, wonach Ungarn, sobald es Mazedonien als sicheres Land betrachte und von dort kommende Asylbewerber ablehne, einem dort wegen Korruption verurteilten Politiker kein Asyl gewähren sollte. Zwar sei die Justiz in Mazedonien nicht unabhängig, doch bedeute das nicht, dass Migranten aus dem Nahen Osten dort verfolgt würden, argumentiert Kovács.
In Magyar Idők, der neben Magyar Hírlap zweiten ungarnweit verkauften regierungsfreundlichen Tageszeitung, macht András Kárpáti auf folgende Tatsache aufmerksam: Gruevski sei von einer von der neuen Regierung eingesetzten Sonderstaatsanwaltschaft angeklagt worden. Zudem sei das Gericht, das über die von dieser neuen Institution vertretenen Anklage geurteilt habe, gespickt gewesen mit von der neuen Regierung ernannten Richtern. Folglich könne der ehemalige mazedonische Ministerpräsident glaubhaft behaupten, dass die Justiz seines Landes ihn nicht fair behandele.
In einem weiteren Artikel für Magyar Idők zitiert Kárpáti den mazedonischen Journalisten Cvetin Chilimanov, der der neuen Regierung seines Landes vorwirft, islamistische ethnisch-albanische Terroristen freigelassen zu haben, die von der Gruevski-Regierung inhaftiert worden waren. Infolgedessen müsse der ehemalige Regierungschef aus guten Gründen um sein Leben zu Hause fürchten. Er sei bereits einmal das Ziel eines Attentatsversuchs gewesen, weswegen er seinen Innenminister auch zum Kauf eines gepanzerten Mercedes angewiesen habe – eine Anweisung, für die er in diesem Jahr verurteilt worden sei. Chilimanov dagegen hält den Korruptionsvorwurf für frei erfunden. (Übrigens ist Chilimanov Gründer der mazedonischen Bewegung „Stop Operation Soros (SOS)“, die der Regierung Gruevskis nahegestanden hatte – Anm. d. Red.)
(Via: budapost.de, Beitragsbild: euractiv.com)