Viktor Orbán wolle seine illiberale Politik auf die europäische Bühne heben – meinen liberale und linke Kommentatoren, während regierungsnahe Journalisten Orbáns Forderung „Ersetzung liberaler Eliten“ zustimmen. Eine Presseschau von budapost.de.
Péter Magyari vom Nachrichtenportal 444.hu geht davon aus, dass Ministerpräsident Orbán mit seinen Ausführungen eine Bewerbung um die Führungsrolle in Europa eingereicht habe. Der liberale Kommentator interpretiert die Rede Orbáns als Hinweis darauf, dass der Regierungschef die Europäische Volkspartei verlassen und sich einer neuen Koalition aus nationalistischen Parteien anschließen könnte, die sowohl die Einwanderung als auch eine weitere Integration der EU ablehnen würden.
Auf Mérce (früher Kettős Mérce) äußert András Jámbor die Vermutung, dass Ministerpräsident Orbán zum Anführer der rechtspopulistischen Parteien in der Region aufsteigen wolle. Er habe seine illiberale Rhetorik auf die europäische Ebene gehoben. Statt die Verteidigung der Ungarn für sich zu reklamieren, wolle er nunmehr das schützen, was er als die europäische Zivilisation bezeichne, so der alt-linke Blogger. Orbán brauche eine solche illiberale Politik, um die Freiheit einschränken und die autoritäre Führung zementieren zu können, behauptet Jámbor.
Regierungschef Orbán habe der Europäischen Kommission den Krieg erklärt und die Europäische Volkspartei erpresst. Das schreibt Zoltán Lakner vom Wochenmagazin 168 Óra. Der linke Analyst glaubt, Orbán wolle die EU nach seinen illiberalen Vorstellungen reformieren, anstatt sie zu verlassen. Mit Blick auf Ungarn geht Lakner davon aus, dass die Regierung einen noch vehementeren Kulturkrieg vom Zaun brechen werde, um ihre Wählerklientel entlang ideologischer Bruchlinien weiter zu festigen.
Gyula T. Máté bezeichnet die Botschaften von Ministerpräsident Orbán als ganz eindeutig: Ungarn übernehme die Verantwortung für die Ungarn im Karpatenbecken, wolle die unter der Führung der „deutsch-französischen Achse“ stehende ausufernd-bürokratisierte EU bekämpfen und sich gegen die „liberale Diktatur“ in Politik und Kultur wehren. In Pesti Srácok hält der regierungsnahe Kommentator die liberalen Behauptungen, die Migrationskrise sei überwunden und die Zuwanderung kein wichtiges Thema in Europa mehr, für absurd. Máté führt die „hysterischen“ liberalen Reaktionen auf die Ausführungen Orbáns in Tusnádfürdő auf die Befürchtung der ungarischen Liberalen zurück, sie könnten demnächst ihre europäischen Verbündeten im Kampf gegen die Orbán’sche Politik verlieren.
In einem lapidaren Kommentar auf 888 legt Gábor G. Fodor nahe, dass Orbán den Beginn eines neuen Zeitalters verkündet habe. „Liberale Eliten müssen besiegt werden“, fasst der regierungsfreundliche Analyst die Rede von Tusnádfürdő zusammen.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: Nándor Veres – MTI)